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Porträt

"Wir Krimiautoren sind die Schmuddelkinder des Literaturbetriebs." Bild: Pino Ala

Manchmal muss es eben Mord sein

Von: Isabella Seemann

26. Februar 2013

Beruflich blickt Michael Herzig in Abgründe, in der Freizeit lässt er töten. Letzteres hat ihm eine Nomination für den Zürcher Krimipreis eingebracht.

An der Langstrasse, einen Katzensprung von seiner Wohnung entfernt, befindet sich seine bevorzugte Bar, das Mata Hari. Dort gibt es gute Rockmusik, dort kann sich Michael Herzig beim Biertrinken der Beobachtung seiner Mitmenschen widmen, und dort können sich langsam die Fragen ins Bewusstsein setzen, inwiefern die Dramen im Quartier zu einem Fall für Johanna di Napoli werden könnten.

Johanna di Napoli ist Kriminalbeamtin bei der Stadtpolizei, eben löst sie ihren vierten Fall, dessen Auflösung allerdings ins Stocken geraten ist. Berlin als Rückzugsort zu wählen, um den neuen Krimi fertig zu schreiben, erwies sich als unschlau. «Die Ablenkungen waren noch zahlreicher als zu Hause», sagt Michael Herzig. Statt Schreibisolation lockten Bars, Clubs und Krimikollegen. «Richtige Schriftsteller rümpfen die Nase über uns. Wir Krimiautoren sind die Schmuddelkinder des Literaturbetriebs, das schweisst uns zusammen.» Klar ist also schon zu Beginn des Gesprächs, dass der Autor seiner Heldin Johanna di Napoli seinen Sarkasmus und den Hang zu Unmässigkeiten vererbt hat.

Benommen vom Alkohol
Am Anfang ihres letzten Falls, «Töte deinen Nächsten», der für den Zürcher Krimipreis nominiert ist, erwacht die coolste Polizistin der Stadt noch benommen vom Alkohol in einem fremden Bett, ohne zu wissen, wie sie da reingekommen ist, noch wer der schnarchende Typ neben ihr ist. Wegen eines Disziplinarverfahrens und übermässigen Alkoholkonsums steht sie auf dem beruflichen Abstellgleis. Die Kollegen lassen sie spüren, dass sie eh nur «die Quotenfrau» ist, zumal sie sich für die von oben verordnete Bevorzugung aufgrund ihres Geschlechts wenig dankbar zeigt. Sie ist aufmüpfig und widerspenstig, denkt eigenständig, und keiner kann ihr was vormachen, am wenigsten sie sich selber. Das macht sie zu einer schwierig zu führenden Beamtin – und sympathisch für die Leser.

Schriftsteller werden ständig gefragt: Was in Ihrem Roman sind Sie selbst? Die Antwort lautet stets: nichts. Die Figuren und Handlungen seien ein intellektuelles Konstrukt. Leser und Interviewer nehmen das den Autoren aber nicht ab. Und man einigt sich darauf, dass die Fiktion auf der Wirklichkeit gründet, ohne mit ihr identisch zu sein. Sympathisch wirkt auch Michael Herzig, das Gesicht ist hell, der Blick durch die schwarze Brille skeptisch. Seine Stimme schwankt nur selten in der Tonhöhe, wenn er redet. Aber fürs Reden ist Michael Herzig nicht gemacht. Als bockbeinig und hintersinnig beschrieb Gotthelf die Leute aus dem Emmental. Dort wuchs Herzig auf.

Er könne aber auch anders, nämlich wenn er mit seiner Countryband oder mehr noch mit seiner Punkband The Goodbye Johnnys auf der Bühne steht und Elektrobass spielt, bis ihm der Schnauf ausgeht. Wenn sie «Face Down in the Vomit» («Das Gesicht in der Kotze») spielen, flippt das jugendliche Publikum aus. «Unsere Altherrenpunkband wirkt wohl sehr authentisch, denn wir haben die Blütezeit des Punks noch selbst erlebt», sagt der 48-Jährige. Rockstar oder Journalist wäre er gern geworden. Aber die Unterfangen scheiterten. Und so landete er nach einem Studium in Geschichte, Staatsrecht und Politologie an der Universität Bern beim Zürcher Sozialamt, als Staatsangestellter. Später erwarb er noch ein MBA in Betriebswirtschaft an der Hochschule St. Gallen. Heute ist er Bereichsleiter Sucht und Drogen im Sozialdepartement, führt rund 200 Mitarbeiter, leitet das SIP, ist zuständig für die Fixerstübli, die Alki-Treffs, die Be­ratungsstelle Flora Dora für Strassenprostituierte und die Sexboxen. Noch gibt er in dieser Funktion mehr Interviews als in seiner Nebenbeschäftigung als Krimiautor. Von Sklaverei-ähnlichen Arbeitsbedingungen auf dem Strich erzählt er dann den Reportern, von der Gewalt der Zuhälter und Freier, von Elend und Not.

Wie in Menschenblut geschrieben
Klar ist also auch, dass der Krimi­autor nah dran ist am Dunklen, Brutalen, Dreckigen. Und so schiebt er immer neue Blätter zwischen sich und was er erlebt: harte und oftmals wie in Menschenblut geschriebene Sätze, die wehtun und die einen glauben lassen, dass sich im Schreiben von Kriminalromanen eine tiefere Wahrheit verberge, dass sich allein in ihnen das wahre Gesicht des Menschen zeigen lässt. Herzig selbst freilich sieht das entschieden anders: «Ich bin kein Informationsvermittler und bilde nicht die Wirklichkeit ab.» Auch schreibe er weder aus persönlicher Betroffenheit noch als Therapie, Krimis sollen unterhalten. Die Kunst bestehe darin, die Realität geistreich zu überhöhen. Inspiration findet er denn auch eher in Kunstwerken, in der Musik, in Filmen, in der Literatur, als in seinen Akten. Das Heraufbeschwören einer Atmosphäre wie sie der Hardboiled-Fiction mit ihren düsteren Szenarien und verlorenen Figuren eigen ist, sei ihm wichtiger als die Frage nach dem Mörder. «Krimis sind eine gute Methode, um Gesellschaft und Politik den Spiegel vorzuhalten.» Dabei bekommen jene ihr Fett weg, die ihn am meisten nerven: die Spiesser. Und die ortet er keineswegs bloss in einem politischen Spektrum. «Spiesser findet man bei den Linken genauso wie bei den Rechten.» Nur kurz öffnet er die Tür zu seiner inneren Schreibwerkstatt, bloss einen Spalt weit. Er erzählt, dass er ein Buch am liebsten am Stück schreibt und nicht stundenweise an den Feierabenden. Für seinen zweiten Roman «Die Stunde der Töchter» nahm er einen Monat Ferien und verbrachte sie ganz allein in einem Haus in der Bretagne, wo er zehn Stunden täglich schrieb. Denn wenn er schreibt, dann schreibt alles in ihm, wie im Rausch. «In diesen Phasen bin ich nicht gesellschaftstauglich.» Nur zum Einkaufen und Kochen unterbricht er das Morden. Auf gutes Essen und Trinken möchte er nicht verzichten. Überhaupt hängt er an seinem hohen Lebensstandard. Obwohl er mit Krimis eine Mordskarriere macht, will er seinen Beamtenjob nicht hinter sich lassen. Warum auch. Seine kompromisslose Ermittlerin Johanna di Napoli aber, die stets alles auf eine Karte setzt, würde seinen Entscheid vermutlich nicht goutieren.
www.michaelherzig.ch

Am Freitag verleiht der Quartierverein Wipkingen den Zürcher Krimipreis. Nominiert sind: Mitra Devi, «Der Blutsfeind», Michael Herzig, «Töte deinen Nächsten», und Sunil Mann, «Uferwechsel». Die Veranstaltung findet um 20 Uhr im GZ Wipkingen statt.
www.krimipreis.ch

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