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Porträt

Roland Kobel ist der Mann hinter dem Milliardenprojekt Durchmesserlinie.

Mit Vollgas dem Ziel entgegen

Von: Ginger Hebel

10. Juni 2014

Am Samstag wird der Bahnhof Löwenstrasse feierlich eröffnet. Roland Kobel ist der Mann hinter dem Milliardenprojekt.

Irgendwann hat alles ein Ende. Nach sieben Jahren Bauzeit wird am kommenden Wochenende der neue Bahnhof Löwenstrasse, 16 Meter unter der Halle des Hauptbahnhofs, eröffnet. Viele Pendler werden sich freuen, dass die Umsteigewege kürzer werden, doch für Roland Kobel, Leiter des Projekts Durchmesserlinie, ist neben Freude auch Wehmut im Spiel. Seit sieben ­J­ahren ist er für das 2 Milliarden teure Megaprojekt verantwortlich und koordiniert alle Arbeiten rund um die Grossbaustelle. Die Eröffnung ist für ihn gleichzeitig auch ein Abschluss. «Es ist, wie wenn man Kinder hat, die erwachsen werden und ihren Weg gehen. Man muss sie loslassen im Wissen, das Beste getan zu haben.» So erlebt er das mit dem Bahnhof Löwenstrasse jetzt auch auf eine gewisse Weise.

Der neue Bahnhof Löwenstrasse ist ein architektonisches Meisterwerk: grosszügig, klare Linien, goldfarbene Decken und Flüsterschienen. «Die goldene Farbe soll die Abendsonne in den Bahnhof bringen», sagt Kobel. Die neuen Schienen wurden auf Betonschwellen verlegt, diese wiederum sitzen in einer Art elastischer Gummischachtel, die Geräusche dämmt. Die neuen ­Perrons sind 420 Meter lang und je 13,5 Meter breit. «Aktuell verkehren hier S-Bahnen, ab 2015 werden im Bahnhof Löwenstrasse auch Fernverkehrszüge halten. Ein voll besetzter Intercity bringt 1200 Leute, die brauchen Platz», erklärt Kobel. Der erweiterte Bahnhof verfügt jetzt über 57 Rolltreppen und ist auch ein Shopping-Eldorado, in den neuen Hallen und Passagen öffnen 45  Geschäfte ihre Pforten.

Roland Kobel sitzt in seinem Büro nahe dem Hauptbahnhof, er wirkt gelassen, der Druck der letzten Wochen ist Freude gewichen. «Ich bin schon etwas nervös, ob am Samstag auch alles rund läuft, aber ich bin zuversichtlich.» Es gibt die Sorte Mensch, die sich vor jedem wichtigen Ereignis das Schlimmste ausmalt, zu der gehört Roland Kobel nicht, «sonst könnte man diesen Job nicht machen. Geht nicht gibts nicht, wir arbeiten immer an den Lösungen.» Was wäre denn das Worst-Case-Szenario? «Wenn die Staumauer des Sihlsees brechen würde, aber dann hätten nicht nur wir ein Problem.» In den letzten Wochen und Monaten wurden immer wieder Tests durchgeführt, so sind Züge mit voller Geschwindigkeit durch den unterirdischen Bahnhof gefahren. «Die Tests waren wichtig, um Feinabstimmungen zu machen. Wir haben zum Beispiel Signale verschoben, welche die Lokführer nicht richtig sehen konnten.» Auch eine grosse Feuerwehrübung verlief mustergültig. In einem Brandfall wäre man in der Lage, innert sechs Minuten zu evakuieren.

Ab Sonntag verkehren die ersten S-Bahnen fahrplanmässig durch den Weinbergtunnel, der den Bahnhof ­Löwenstrasse mit Oerlikon verbindet. «Seit der Einführung der S-Bahn im Jahr 1990 verzeichnen wir einen Zuwachs von 270 Prozent», sagt Kobel. 1990 wurden 160 000 Passagiere gezählt, letztes Jahr waren es bereits über 400 000 Reisende – täglich. «Erstaunlich war der Zuwachs von 19 000 Personen pro Tag vom Jahr 2012 auf 2013, das ist gigantisch.» Mit dem neuen Bahnhof kann die Kapazität um rund ein Drittel gesteigert werden.

Das grösste Projekt seines Lebens

Roland Kobel startete seine Karriere unten, nämlich als Bauingenieur im Tunnelbau. «Tunnelbau ist wie ein Virus, ist man infiziert, lässt er einen nicht mehr los. Es ist spannend, zu arbeiten, wo noch niemand war.» Beim Bau des Gubristtunnels und des Uetlibergtunnels war er an vorderster Front, er baute Tunnel im Jura und im Wallis. «Das Besondere an unserem Beruf ist, dass etwas bleibt, das ist befriedigend», sagt Kobel. Wenn der 64-Jährige mit seinen Enkeln unterwegs ist, dann fragen sie ihn bei jedem Tunnel: «Grosspapi, häsch du die boue?» «Zum Glück kann ich ein paar mal Ja sagen, ohne zu schwindeln.» Während seiner beruflichen Laufbahn hat er nie daran gezweifelt, den falschen Beruf gewählt zu haben. «Ich wollte nie etwas anderes als bauen.» Vor sieben Jahren wechselte er als Projektleiter zu den SBB, das Projekt Durchmesserlinie ist das grösste seiner Karriere, ein Meilenstein, und das nicht nur für ihn. Die Durchmesserlinie ist das grösste innerstädtische Infrastrukturprojekt der Schweiz. «Ich bin noch nie so prominent in Erscheinung getreten wie bei diesem Job.» Doch er weiss: «Ein Projektleiter macht noch keinen Sommer, es braucht jeden einzelnen Arbeiter, damit es funktioniert.» Dennoch ist die Durchmesserlinie neben viel Arbeit für ihn vor allem eines: «Ein Traumjob.»

Mit der Durchmesserlinie verkürzen sich die Fahrzeiten für Passagiere um durchschnittlich sechs Minuten. Innert sieben Minuten sollte man umsteigen können, da die langen Wege von und zu den Gleisen 51 bis 54 wegfallen. Nach der Eröffnung des Bahnhofs Löwenstrasse wird der provisorische Bahnhof Sihl­post abgerissen, das schafft Platz für die Europaallee mit ihren Läden, Büros und Wohnungen. «Die Durchmesser­linie allein führt noch nicht dazu, dass wir viel schneller werden. Unser grosses Ziel ist es, dass wir in naher Zukunft Knotenpunkte wie Biel oder St. Gallen in weniger als einer Stunde Zugfahrt erreichen, dann läuft es mit dem Takt­fahrplan, und wir können Verbindungen im Viertel- und Halbstundentakt an­bieten.»

Je nach Bauphase waren bis zu 1000 Personen mit den Bauarbeiten beschäftigt. «Es war eine grosse Herausforderung, so tief zu bauen, denn der ganze Bahnhof liegt im Grundwasser», erklärt Kobel. Die grosse Schwierigkeit war, den Bahnhof so zu bauen, dass er dicht ist und schwer genug, damit er nicht aufschwimmt. «Physikalisch gesehen würde er das, denn er hat Auftrieb, aber die Auflasten sind gross, so bleibt er, wo er ist.» 2009 sorgte ein Zwischenfall für Aufsehen, als eine kleine Tunnelbohrmaschine bei einer Druckprüfung auseinandergerissen wurde und unter dem Bahnhofplatz stecken blieb. «Die Gefahr oder das Risiko einer Senkung der Oberfläche bestand. Es hat aber nie eine Senkung an der Oberfläche gegeben, trotz dem Hohlraum im Untergrund», sagt Kobel. Nach diesem Vorfall wurde der Bahnhofplatz sofort für 21 Stunden gesperrt. «Wenn man auf alles vorbereitet ist, kann man schnell handeln.»

Ansonsten gab es keine schweren Zwischenfälle, auch sind die Bauarbeiten pünktlich fertig geworden. Jetzt freut sich Roland Kobel aufs grosse Eröffnungsfest. Was wäre die schönste ­Reaktion der Besucher? «Strahlende Gesichter und überraschte Menschen.» Danach gönnt er sich eine Verschnaufpause und macht Sommerferien. Die Zügel hält er aber weiterhin in der Hand, denn der Bahnhof Löwenstrasse ist erst die erste Etappe der 9,6 Kilometer langen Durchmesserlinie. Die beiden Brücken zwischen dem Hauptbahnhof und Altstetten werden Ende 2015 und der Umbau des Bahnhofs Oerlikon mit den beiden zusätzlichen Gleisen 7 und 8 sowie den neuen Läden im Herbst 2016 fertig sein. Roland Kobel: «Ab Ende 2015 investiert der ZVV jährlich zusätzlich 22 Millionen Franken in den Busverkehr. Die Angebote im öffentlichen Verkehr werden in Zukunft massiv verbessert.»

Am Samstag, 14. Juni, findet von 10 bis 18 Uhr das grosse Eröffnungsfest statt. Das Highlight sind die Gratisfahrten mit dem Tunnelturbo vom Bahnhof Löwenstrasse durch den neuen Weinbergtunnel und zurück. Tickets gibts online: www.durchmesserlinie.ch

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