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Porträt

Musikalischer Grenzgänger

Von: Irene Genhart

28. Mai 2013

Nik Bärtsch und seine Band Ronin gelten als eine der wichtigsten Jazzformationen der Schweiz.

Montagabend, am Escher-Wyss-Platz. Derweil Zürich sich der Nachwochen­end-Entspannung hingibt, gehen im Exil die Lichter an. Nik Bärtsch und Ronin laden zum Konzert, dies Montag für Montag, seit der Club unter der Hardbrücke im August 2009 eröffnete. 2001 hat Bärtsch Ronin gegründet. Bevor die Band ins Exil zog, war sie montags im Bazillus anzutreffen; nebst Bärtsch am Flügel gehören zu Ronin: sein Freund aus Kindertagen und Montagsmitgründer, der Schlagzeuger Kaspar Rast, Sha an Altsaxofon und Bassklarinette, Thomy Jordi am Bass. Bärtsch bezeichnet den Ronin-Sound als «Ritual Groove Music» und «Zen Funk». Es ist stark rhythmisierte Musik, von der man sich mit geschlossenen Augen hinwegtragen, zum Meditieren und Träumen verleiten lassen kann. Es ist zugleich aber auch spannende, innovative, eigenwillige Musik, deren Verläufen man mit wachen Sinnen folgen und von deren verblüffenden Wendungen und Arrangements man sich überraschen lassen kann. Klassik, Strawinsky, Funk, James Brown, japanische Ritualmusik sind Begriffe und Namen, die fallen, wenn Bärtsch von Vorbildern und Einflüssen spricht. Es sind bei Ronin aber auch Elemente von Jazz, Progressive Rock, Minimal Music auszumachen; am Ursprung, sagt Bärtsch, stehe seine in der Kindheit entwickelte Affinität zur rhythmischen Musik. Wie bei seinen Auftritten, in schwarzer Hose, schwarzem Shirt, einen dunklen Schal um den Hals, trifft man Bärtsch mittwochs zu Hause im Kreis 5. Das Haus stammt von der vorletzten Jahrhundertwende. Die Räume sind hoch und geräumig. In Bärtschs Arbeitszimmer stehen ein Flügel, ein Fender Rhodes, zwei Arbeitstische, diverse Gestelle. Irgendwo liegt eine Kamera, auf einem Tisch steht ein Mac. Über dem Piano hängt ein Gemälde: schwarz-blau-weiss, in den gleichen Farben gehalten wie alles darum herum; bloss die Post-it-Zettel, welche diverse wohlsortierte Papierstapel zieren, bringen etwas Buntheit ins Arrangement. Bärtsch sitzt auf einem Klavierhocker.

Jazz als Extremsportart
Die konzise Konzentration seiner Konzerte ist einer wachen Aufmerksamkeit gewichen. Huscht während der Auftritte bisweilen ein Strahlen über sein sonst ernstes Gesicht, so erscheinen seine Gesichtszüge nun weich, manchmal lacht er hell auf. Er trägt dieselbe wuchtige Armbanduhr wie auf der Bühne. Dazu gibt es eine Anekdote. Sie handelt von Bärtschs Suche nach einer Uhr, die leicht, zugleich so stabil ist, dass sie beim Klavierspiel nicht stört, aber auch nicht in Brüche geht, wenn er damit – etwa beim Griff in den Flügel – anstösst. Die Wahl fiel schliesslich auf eine Klettereruhr, was einen Musikkritiker zur Bemerkung verleitete, dass Jazz in der Schweiz eine Randsportart sei. Dies aber sah Bärtsch sich gezwungen zu korrigieren. Für den Spiritus Rector der vielleicht international erfolgreichsten Jazzformation der Schweiz ist Jazz in der Schweiz eine Extremsportart: die bewusst getroffene Entscheidung, etwas zu tun, das nicht alle tun und das zu bewältigen extremes Training erfordert.
Er hätte sich wohl locker in eine renommierte Musikmetropole absetzen und dort Karriere machen können, der 1971 geborene Sohn eines Grafikers und einer Mutter, die ihrem Kind das Flair für die Mode mitgab. Er ist im Seefeld aufgewachsen, hat in den 90ern an Zürichs Musikhochschule Klassisches Klavier, an der Universität Philosophie, Linguistik und Musikwissenschaft studiert. Danach ging er ins Ausland. Er ging dabei, wie bei vielem, das er tut, seinen eigenen Weg: Obwohl ihm das Stipendium der Stadt Zürich den Aufenthalt in einer Kulturmetropole wie Paris, London, New York oder Berlin ermöglicht hätte, zog er mit seiner Lebenspartnerin für ein halbes Jahr nach Kobe.

Nach Japan zu gehen, in die Kultur einzutauchen, in der die von Bärtsch seit Jahren praktizierte Kampfkunst Aikido ebenso ihre Wurzeln hat wie die sein Schaffen prägende Zen-Meditation, war für seine Entwicklung extrem wichtig. Die Distanz zur Heimat, sagt er heute, habe seinen Blick für das geöffnet, was ihm in Zürich wichtig sei: Freunde, übersichtliche Strukturen, gut funktionierende Institutionen, die Nähe von Stadt und Natur, der FCZ. Man staunt, doch Bärtsch, der mit Kinnbart und kahl rasiertem Kopf an einen Zen-Meister erinnert, ist ein waschechter «Zürihegel».

Das Lokale ist ihm wichtig, und er hat das geschafft, was gemeinhin als schwierig gilt, nämlich: in Zürich mit seinem Club, seiner Band etwas auf die Beine zu stellen, das international ausstrahlt. Bärtsch hat Familie, drei Töchter. Er tourt mit seiner Band um die Welt, und doch ist ihm der Alltag, sind ihm klare Lebensstrukturen wichtig: Montag ist Clubtag, Dienstag Kindertag.
Bärtsch komponiert. Nicht nur für Ronin, sondern auch im Auftrag: fürs Zürcher Kammerorchester, den Sound zu Marco Fumasolis kultigen «Swiss View»-Filmen, die Musik zu Modeperformances von Christa de Carouge. Er hat ein eigenes Plattenlabel und einen Musikverlag. Er ist Mitgründer des Exils, gibt Workshops, hat nebst Ronin eine zweite Band, Mobile; Mobile-Auftritte sind «musikalische Gesamtkunstwerke in rituellen Zusammenhängen», einmalige Performances in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern: dem Schweizer Butohtänzer Imre Thormann, dem Zürcher Architektenteam OOS, dem Berliner Iaidomeister Martin Krahl.

Nik Bärtsch ist ein eigenwilliger Grenzgänger und Grenzensprenger, zugleich ein sensibler Vermittler. Er liebt das Rituelle, die Wiederholung, die Präzision. Er ist ein scharfer Denker und Wortschmied, der Formulierungen wie «Ekstase durch Askese» nicht nur von sich gibt, sondern auch umsetzt. Er nennt seine Kompositionen «Modul», ergänzt jede mit einer Nummer. «Ronin» notabene kommt aus dem Japanischen, bedeutet wörtlich «Wellen und Mensch» und bezeichnet «einen Krieger, der keinem Herrn dient».

Die Montagabendkonzerte sind für Ronin eine Gelegenheit für Proben im konzertanten Rahmen, zugleich ein Angebot ans Publikum, sich regelmässig zu treffen. Am 3. Juni laden Ronin zum 444. Montagskonzert im Exil. Zur Schnapszahlfeier werden diverse musizierende Gäste erwartet, unter anderen der vor einigen Monaten aus der Band ausgeschiedene langjährige Ronin-Bassist Björn Meyer.

Nik Bärtsch zum Reinhören:

www.youtube.com/watch

www.youtube.com/watch

 

 

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