mobile Navigation

Porträt

«Mir war stets wichtig, dass diese Männer nicht mein

Opfer der Schlafzimmerräuber: Die schwierige Zeit danach

Von: Christian Saggese

28. Mai 2019

Verarbeitungsprozess Ruth Müller*, heute 48 Jahre alt, wurde vor rund zehn Jahren in ihrem eigenen Bett überfallen, gefesselt, man drohte damit, ihr die Finger abzuschneiden. Sie wurde Opfer der berüchtigten Schlafzimmerräuber, die während sechs Wochen die Schweiz mit brutalen Gewaltverbrechen terrorisierten. Nun erinnert sich Ruth Müller an diese schreckliche Zeit zurück, auch, um anderen Opfern von Gewalttaten Mut zu machen.

Vor rund zehn Jahren versetzten die Schlafzimmerräuber die Schweiz in Angst und Schrecken. Bewaffnet und maskiert begingen sie vier brutale Einbrüche, verletzten Menschen teils sehr schwer, ehe die Polizei sie erwischte. Eines ihrer Opfer war Ruth Müller*, damals wohnhaft in Opfikon.

Mit dem schrecklichen Vorfall habe sie inzwischen abgeschlossen, so Ruth Müller. Zumindest so gut, wie es die Psyche zulässt. Dennoch blickt sie nun noch einmal auf diese grausame Nacht und die schwierige Zeit danach zurück. Dies, um weiteren Opfern von Gewaltverbrechen Mut zu machen. Um ihnen zu zeigen, dass man nicht die eigene Angst über sich gewinnen lassen sollte, sondern im Leben mit vielen positiven Gedanken weitermachen muss.

Der Überfall

Rückblick. Der Dienstag, 9. Februar 2010, war für Ruth Müller eigentlich ein Tag wie jeder andere. Die damals 39-Jährige ging zur Arbeit, kaufte ein. Am Abend wäre sie von Freunden noch zu einem Konzert eingeladen worden. «Doch ich hatte keine Lust, vielmehr wollte ich mal wieder früh ins Bett», erinnert sich die zweifache Mutter. Noch ahnte sie nicht, dass sich ihr Leben in jenen Stunden drastisch verändern sollte.

Gegen 21 Uhr legte sie sich hin. Sie war allein, ihre Kinder verbrachten die Nacht bei ihrem Ex-Mann. Zwei Stunden später wurde Ruth Müller durch einen lauten Knall geweckt – jemand hatte die Schlafzimmertür in ihrer Wohnung aufgerissen. «Es ist erstaunlich, wie viele Gedanken das Gehirn innert einer Sekunde ausspucken kann. Ich wachte auf, total erschrocken, verstand die Welt nicht mehr. Noch redete ich mir kurz ein, dass mir meine Freunde einen Streich spielen wollen.» Dem war aber nicht so. Drei Männer mit schwarzen Sturmmasken betraten das Schlafzimmer. Sie hatten sich Zugang über ein aufgekipptes Fenster verschafft.

Die Stimmung unter den Einbrechern war laut und aggressiv. «Ich hatte plötzlich ein Messer vor meinem Gesicht. Kein kleines Küchenmesser. Eine richtige Waffe.» Kurz sah sie funkelnde Augen aus den Schlitzen der Masken. Dann stopften ihr die Männer eine Socke in den Mund, stülpten ihr ein Kissen über das Gesicht, fesselten die Hände der wehrlosen Frau. «Sie hatten kein Material dabei, sondern holten Sachen aus dem Schrank und zerrissen meine Kleider.»

Es war auch jener Moment, als Ruth Müller glaubte, dass ihr Leben vorbei war. Dass die Täter sie vergewaltigen und töten. «Es war alles so surreal und geschah innert kürzester Zeit. Sie fanden meine Geldkarten und wollten die PIN-Codes wissen.» Das Opfer befand sich in einem Schockzustand, «ich hatte noch nie einen so hohen Pulsschlag.» Durch die Socke im Mund konnte sie auch schlecht atmen. Dennoch fiel ihr der vierstellige PIN ihrer Bankkarte ein. Dieser aber weckte das Misstrauen der Räuber: «Vermutlich, weil zwei Täter aus Deutschland kamen und es dort keine so kurze Passwörter gibt. Keine Ahnung.» Sie drohten ihr: «Sollten die Zahlen nicht stimmen, werden wir dir die Finger abschneiden!»

Zwei der Männer durchsuchten weiter die Wohnung. «Der Dritte war ein Schweizer, ich nenne ihn Max. Er setzte sich zu mir aufs Bett und begann mit mir zu sprechen.» Es war der erste Moment, als Ruth Müller wieder etwas Hoffnung verspürte. «Er sagte mir, dass ich ruhig bleiben soll, dann geschehe mir nichts.» Ruth Müller fragte ihn, warum sie das machen. «Das ist unser Beruf», antwortete er. Und wollte gleich wissen, was sie so macht. «Ich arbeite bei einem Radio», antwortete sie und war selbst verwirrt, warum sie ihm diese Auskunft gab. «Dann werden wir wohl morgen in den Medien erwähnt!», meinte er. Ob mit Stolz oder Gleichgültigkeit, das wisse sie nicht mehr.

Die anderen Männer kamen zurück und fesselten Ruth Müller noch stärker, «ich war zu einem Paket zusammengebunden.» Dann verliessen sie die Wohnung. Ruth Müller wartete noch ab. Wollten ihr die Räuber eine Falle stellen? Lauerten sie hinter einer Ecke? Da sie mit dehnbarem Stoff verschnürt wurde, konnte sie sich von allein befreien. Doch sie wartete ängstlich ab.

Erst, als kein Laut mehr zu hören war, rettete sie sich aus ihrer misslichen Lage. Hilfe holen war aber schwierig. Ihr Handy war gestohlen. Der Laptop zerstört. Die Leitung ihres Festnetztelefons durchgeschnitten. «Ich nahm allen meinen Mut zusammen und rannte zu meinem Nachbarn, wo ich endlich die Polizei kontaktieren konnte.»

Die Reaktion

Wie kann man eine solch unvorstellbare Grausamkeit verarbeiten? «Entweder man zieht sich zurück oder blickt nach vorn. Ich entschied mich für Letzteres.» Vom ersten Tag an war es ihr wichtig, «dass diese Männer nicht mein ganzes Leben bestimmen. Dass ich sie nicht etwa auf ein Podest stelle, sie für mich übermächtig erscheinen lasse. Vielmehr wollte ich stets den Tätern ins Gesicht schauen und fragen, warum sie das alles getan haben.»

Diese Chance erhielt sie glücklicherweise schnell. Viermal innert sechs Wochen sind die Schlafzimmerräuber damals an verschiedenen Orten eingebrochen. Zuerst in Schlieren, dann bei Ruth Müller und kurz darauf in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Beim vierten Einbruch in Uster wurde ein Nachbar aufmerksam und alarmierte die Polizei. Diese konnte nach einem Schusswechsel zwei Täter festnehmen. Der Dritte, Max, hatte sich bereits nach dem Einbruch bei Ruth Müller ins Ausland verdrückt. Doch auch dort konnte er verhaftet und schliesslich in der Schweiz vor Gericht gestellt werden.

Dass die Bevölkerung so aufmerksam war, ist ebenfalls Ruth Müller zu verdanken. Nur wenige Stunden nach dem Überfall gab sie ihrem damaligen Arbeitgeber, einem Zürcher Radiosender, ein Interview. Dies löste eine grosse Lawine und weitere Medienberichten aus: «Ich wollte gehört werden», sagt sie heute. Und obwohl sie stets anonym aufgetreten ist, war ihr die Solidarität aus der gesamten Bevölkerung eine grosse Hilfe. «Trotz einiger Klugscheisser, die meinten, sie hätten die Täter natürlich überwältigt oder ihnen einen falschen Code gegeben. Ab und an sollte man einfach die Klappe halten.»

Eine grosse Unterstützung erhielt sie auch durch ihre Therapeutin: «Man muss reden.» Unverzichtbar sei auch die Opferhilfe gewesen: «Dort half man mir finanziell aus, schliesslich hatten mir die Räuber viel Geld gestohlen. Zudem unterstützte man mich bei administrativen Arbeiten. Ich hätte damals beispielsweise nicht daran gedacht, diesen Vorfall sofort bei der Krankenkasse und der Versicherung zu melden. Die Opferhilfe erledigt eine sehr wertvolle Arbeit, die man unterstützen und im Notfall auch nutzen sollte.»

Die Konfrontation

Ein weiterer wichtiger Punkt für die Verarbeitungsphase sei auch die direkte Konfrontation mit den Tätern gewesen. Bereits bei der ersten Einvernahme wollte sie, dass die Einbrecher anwesend sind. «Aus den Monstern jener Nacht wurden normale Typen, die sich, im Wissen, dass sie bestraft werden, in billige Ausreden und Entschuldigungen flüchteten.» Auch dies habe ihr wieder frische Kraft verliehen. Ebenso der Kontakt zu Max’ Mutter. Ruth Müller machte diese ausfindig und rief sie an. «Da steckte keine Strategie dahinter. Ich wollte einfach eine Antwort auf das Warum.» Die Mutter besuchte eines Tages Ruth Müller und brach in Tränen aus, als sie noch Restspuren des Einbruchs sah.

Das war vermutlich mit ein Grund, weshalb Max plötzlich intensiv den Kontakt zu seinem Opfer suchte. Mehrfach rief er sie an. Ruth Müller besuchte ihn sogar im Gefängnis. «Entweder suchte er nach Vergebung, oder es war Kalkül dahinter. Sein Anwalt bat mich nämlich plötzlich, für Max eine ‹Fürbitte› ans Gericht zu schreiben.» Dies lehnte Ruth Müller entschieden ab.

All das half ihr aber, die Tat langfristig für sich richtig einzuordnen. «Ich habe schon gehört, dass sich die Opfer eine Mitschuld an solchen Verbrechen geben. Das ist aber falsch. Das Opfer ist nie schuld. Es sind schlicht Menschen, die skrupellos genug sind, um andere Menschen für ihr eigenes miserables Leben in den Dreck zu ziehen.» Hat Ruth Müller aber jemals eine Antwort erhalten, warum die Täter so handelten? «Nicht wirklich. Das werde ich wohl nie.»

Max wurde 2012 zu 9 Jahren, die anderen ­Männer zu 11 und 12 Jahren Haft verurteilt. Das heisst, die Täter sind oder werden bald auf freiem Fuss sein. Bereitet das Ruth Müller Sorgen? «Nein. Mich ärgert es mehr, dass ich seit dem Verbrechen seitens der Justiz keinerlei Informationen mehr erhalten habe. Die Opfer müssen doch wissen, ob sie ihren Tätern plötzlich wieder auf den Strassen begegnen können.»

* Name geändert

 

5 Fragen an Marcel Graf, Polizist und Präventionsspezialist bei der Kantonspolizei Zürich

 

Wie kann man sein Zuhause ideal vor Einbrechern schützen?

Marcel Graf: Oft reichen schon einfache Massnahmen wie eine Zeitschaltuhr, ein Licht-Bewegungsmelder, Vortäuschung von Anwesenheit, ein aufgeräumter Garten und eine aufmerksame Nachbarschaft aus, um dieses Ziel zu erreichen. Jeder sollte sich überlegen, welche Schutzmassnahmen den persönlichen Bedürfnissen entsprechen und für ihn verhältnismässig und wirtschaftlich erscheinen. Wer bereit ist, gewisse Investitionen in einbruchhemmende Massnahmen (beispielsweise Türen und Fenster mit mindestens der Widerstandsklasse 2) zu tätigen und mögliche Schwachstellen an der Aussenhülle eines Einfamilienhauses zu sichern, reduziert das Risiko zusätzlich. Je mehr mechanische Sicherheitsvorkehrungen gut sichtbar vorhanden sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines Einbruchs. Dort, wo mechanischer Schutz an seine Grenzen stösst, beispielsweise eben an Stellen, wo Einbrecher längere Zeit ungestört arbeiten könnten, kann eine Alarmanlage zusätzlich Sinn machen. Am effizientesten sind Schutzmassnahmen, die individuell auf das Objekt und die Bedürfnisse ihrer Bewohner – unter Einbezug von unabhängigen Experten – abgestimmt sind. Die Kantonspolizei Zürich bietet sogenannte Schwachstellenanalysen im Wohnbereich an: kostenlos, unabhängig und kompetent.

Sollte der Einbruch gelingen und es kommt zur Konfrontation mit den Tätern, wie sollte man sich verhalten?

Täterkonfrontationen sind sehr selten. Denn auch Einbrecher kalkulieren das Risiko: Sie scheuen Lärm, Aufwand, Komplikationen und bei Dunkelheit das Licht. In der Regel ergreifen Einbrecher die Flucht, wenn man sich laut bemerkbar macht und Licht anmacht. Sie möchten lieber niemanden antreffen. Bleibt die Frage: Was tun, falls man trotz aller Vorkehrungen Einbrecher im Haus, in der Wohnung begegnet? Niemals Einbrecher zurückhalten, weil vorher nie klar ist, wie sie reagieren. Auch Täter haben Stress. Sich defensiv verhalten und nicht den Helden spielen. Besser sich zurückziehen, beobachten und nach Möglichkeit sofort die Polizei Tel. 117 anrufen.

Welche Rolle spielen die Nachbarn?

Eine der wirksamsten Hürden, die man gegen Einbrecher aufstellen kann, ist eine gute Nachbarschaft. Je mehr sich Nachbarn einander vertrauen, desto grösser wird die Bereitschaft sein, immer auch auf das Eigentum oder die Wohnung nebenan ein wachsames Auge zu haben. Die Nachbarn auch über allfällige (Ferien-)Abwesenheiten informieren. Bei Gefahr (Hilferufe, ausgelöste Alarmanlage) und in dringenden Verdachtsfällen sofort die Polizei über den Notruf Tel. 117 alarmieren. Sich das Aussehen der Täterschaft, Fahrzeug, Fluchtrichtung einprägen, sofern das gefahrlos möglich ist.

Sind die Täter wieder verschwunden, worauf sollen die Opfer achten, um der Polizei möglichst viel brauchbares Material zu liefern?

Auch wenn es verständlich ist, nach einem Einbruch wieder Ordnung in sein Haus, seine Wohnung zu bringen: Nichts anfassen, aufräumen und wegputzen, bevor die Polizei die Spuren sichern konnte. Ansonsten der Polizei (Spezialisten der Spurensicherung) erklären, was man wie angefasst hat. Gestohlene Wertsachen sollten so präzise wie möglich beschrieben werden, denn die Informationen werden in einer polizeilichen Datenbank erfasst. Falls Diebesgut zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftaucht, respektive ermittelt wird, können nach einer eindeutigen Zuordnung die Wertsachen wieder ausgehändigt werden. Kaufbelege, Gerätenummern etc. sind zum einen bei der Deliktsbeschreibung hilfreich und andererseits in der Regel auch für Rückforderungen bei der Versicherung nötig.

Für Opfer, die ihren Einbrechern begegnen, ist dies eine traumatische Erfahrung. Was raten Sie?

Zweifelsohne ist ein Einbruch eine belastende Erfahrung, auf die jede Person aber anders reagiert. Opfer eines Einbruchs erleben oft Stress­reaktionen, fühlen sich unsicher, kämpfen mit Ängsten oder haben Schlafstörungen. Schweigen ist nicht immer Gold. Mit Freunden und Vertrauten über den Einbruch und über ihre Ängste und Sorgen reden. Bei stark und länger anhaltenden negativen Reaktionen nicht zögern, ärztliche oder therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Weitere Informationen/Broschüren: www.kapo.zh.ch; www.skppsc.ch

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

Gefällt mir 3 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare