mobile Navigation

Porträt

«Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt»: Sämi Winkler.

Runde Geburtstage: Was sie uns bedeuten

Von: Ginger Hebel

08. Oktober 2013

Wenn der Runde naht, beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Eine Null auf dem Rücken hat für viele eine besondere Bedeutung. Wie feiern die Menschen in Zürich ihren Geburtstag, was wünschen sie sich? An welchem Punkt im Leben stehen sie mit 20, 30, 50 oder bald 100 Jahren? Wir haben Personen gefragt, welches die ­guten und schlechten Aspekte ihres Alters sind.

Sämi Winkler, Polymechaniker (20)

«Mehr als auf den Zwanzigsten freute ich mich auf den 18. Geburtstag; volljährig sein, Auto fahren. Doch 20 ist ein gutes Alter, weil man noch jung ist, einem noch vieles verziehen wird, man schon etwas Geld verdient und doch viele Freiheiten hat», sagt Sämi Winkler. Der Polymechaniker hat gerade mit seinem Maschinenbau-Studium begonnen, wohnt noch bei den ­Eltern und verbringt den Grossteil seiner Freizeit mit Fussballspielen. Ausziehen wird er die nächsten Jahre nicht, denn eine eigene Wohnung kann er sich als Student nicht leisten. «Es ist gut, wie es ist. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.»

Thomas Jenny, kaufmännischer Angestellter bei einer Versicherung
(wird 30)

Traurig, dass die unbeschwerten Zwanziger bald vorbei sind, ist Jenny nicht. «Ich bin zufrieden mit meinem Leben bisher. Ich musste nie grosse Rückschläge einstecken, es ist eigentlich immer alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe – beruflich wie privat.» Jenny hatte immer genaue Vorstellungen vom Leben. Er studierte Betriebsökonomie im Fernstudium und arbeitet seit zehn Jahren in Zürich als kaufmännischer Angestellter bei einer Versicherung. Dreimal die Woche spielt er Fussball – er ist Captain der 1. Mannschaft beim FC Urdorf. «Als Fussballer ist man mit 30 nicht mehr jung, ab 32 kann man bei den Senioren spielen.»

Privat hat er grosse Pläne. Nächstes Jahr heiratet er die langjährige Freundin. «Wir wünschen uns Kinder.» Zuerst möchten sie eine grös­sere Reise unternehmen. «Wenn man einen Job hat und eine Wohnung, kann man nicht mehr so einfach monatelang verreisen. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit.» Er freut sich auf den neuen Lebensabschnitt. «Ich hoffe, dass die nächsten Jahre so gut werden wie die bisherigen.»

Claudia Wintsch, Inhaberin der PR-Agentur Wintsch PR (40)

«40 zu werden, ist, als würde ein neues Leben anfangen», sagt Claudia Wintsch. Vor ­ihrem Runden hatte sie einen Anflug von Melancholie verspürt. «Mit 20 und 30 wusste ich, dass noch alles möglich ist, mit 40 ist man zwar noch jung, aber es stehen einem nicht mehr so viele Türen offen wie früher.» Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, dass die bessere Hälfte ihres Lebens jetzt vorbei ist. Doch mittlerweile sieht sie die Situation entspannt. An ihrem Vierzigsten schmiss sie eine grosse Party. «Ich habe bisher alle meine runden Geburtstage gefeiert. Es ist auch eine Möglichkeit, Freunden und Familie danke zu sagen», findet Claudia Wintsch. Seit drei Jahren ist sie verheiratet, Kinder hat sie keine. «Mit 40 wollte ich dieses Thema abschliessen. Für uns stimmt es so, wie es ist. Glücklicherweise hatte ich nie einen starken Kinderwunsch, und wenn man keine Kinder hat, dann kann man sie auch nicht vermissen.»

Dafür gibt sie beruflich Vollgas. Mit 38 gründete sie ihre eigene PR-Agentur Wintsch PR, ist unter anderem im Presseteam des Zurich Film Festival und Pressesprecherin des Zurich Openair. «Es hat Mut gebraucht, die feste Stelle zu kündigen, aber ich habe den Schritt nie bereut. Mein Beruf ist abwechslungsreich, ich bin viel unterwegs, treffe interessante Leute.» Zuvor hat sie viele Jahre in der Unterhaltungsbranche und bei einer Kommunikationsagentur gearbeitet und sich ein gutes Netzwerk aufgebaut. Auch ihr Mann ist selbstständig, ihm gehört die Möbel Factory. «Selbstständig zu sein, ist auch mit einem gewissen Risiko verbunden, das tragen wir beide, doch es bietet einem auch viel Befriedigung.»

Die 40 hat auch ihre guten Seiten. «Ich bin gelassener als früher. Dieses Urvertrauen, dass alles gut kommt, hatte ich zwar schon immer. Dank den Erfahrungen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, weiss ich heute jedoch, dass es tatsächlich auch so ist.»

Giusy Meschi, Geschäftsführerin des Metzgereipersonal-Verbands der Schweiz (50)

«Ich fühle mich in einem Topmoment meines Lebens», sagt Giusy Meschi. Die Midlifecrisis hat sie nicht befallen. Im Dezember wird sie zum ersten Mal Oma, sie kann es kaum erwarten. «Ein Enkelkind ist das Schönste, was mir passieren kann.» Ihren Fünfzigsten feierte sie gebührend mit einem rauschenden Fest, zu dem sie 80 Leute einlud. «Es war ein wunderschöner, emotionaler Tag.» Giusy Meschi ist eine Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht und sich zu behaupten weiss. Mit 22 heiratete sie, mit 26 hatte die Dolmetscherin bereits drei Kinder und gründete parallel dazu ihre eigene Übersetzungsagentur mit vier Angestellten. «Ich habe schon mit 15 gewusst, dass ich mit 30 eine Familie haben werde. Ein Leben ohne Kinder konnte ich mir nie vorstellen.»

Doch dann kam es zur Scheidung – Giusy Meschi wagte einen Neuanfang. «Eine Scheidung ist schlimm. Aber es ist auch eine Chance, sich neu zu positionieren und noch einmal durchzustarten. Man muss nur an sich selber glauben.» Die Kinder standen in ihrem Leben immer an erster Stelle. «Es war mein Ziel, ihnen Geborgenheit zu geben und die besten Startchancen für ein gutes Leben zu ermöglichen.» Seit fünf Jahren ist sie Geschäftsführerin des Metzgereipersonal-Verbands der Schweiz. «Ich arbeite in einer reinen Männerdomäne, man muss sich durchsetzen können.»

Milojka Vranic, Raumpflegerin (60)

«Wenn man jung ist, dann träumt man von der Zukunft, mit 60 ist ein Teil der Lebensgeschichte geschrieben. Das Leben ist jetzt wie ein Buch, in dem man blättert.» Die gebürtige Kroatin ist als junge Frau nach Zürich gekommen und arbeitet bei der Stadt als Raum­pflegerin. Sie mag ihre Arbeit, weil sie dadurch immer neue und interessante Menschen kennen lernt. Im August wurde sie 60. Exakt an ihrem Geburtstag las sie den Aufruf im «Tagblatt». «Ich dachte sofort, da melde ich mich. Ein Artikel in der Zeitung ist etwas, das mich immer an meinen 60. Geburtstag erinnern wird.» Ihren grossen Tag hat sie gleich mehrmals gefeiert, mit der Familie, mit Freunden und Geschäftskolleginnen. «Es ist ein schönes Gefühl, zu sehen, dass viele liebe Menschen an einen denken. Auch habe ich viele wunderschöne Blumensträusse erhalten», sagt Milojka Vranic.

Sie versucht in allem das Gute zu sehen. «Ich bin dankbar, dass ich gesund bin. Man darf nicht zu viele Träume haben und zu viel verlangen vom Leben, da kann man nur enttäuscht werden und unglücklich sein.» Sie hat ein sehr gutes Verhältnis zu ihren zwei Söhnen und den Schwiegertöchtern und viel Freude an ihren Enkelinnen. «Mein Wunsch war immer, eine Familie zu gründen – er ist in Erfüllung gegangen. Dafür bin ich dankbar.»

Peter Hillenberg (wird 70)

Langeweile kennt er nicht. Und daheim sitzen und nichts tun, das käme ihm schon gar nicht in den Sinn. Heute, als bald 70-Jähriger, leitet er seine eigene Firma für Unternehmungsberatung in der IT-Branche und verwaltet Immobilien. «AHV heisst ja umgangssprachlich Agenda huere voll», sagt er und schmunzelt. Ihm fällt auf: «Mit 70 fallen viele aus der Gesellschaft heraus. Man erhält nicht mehr die gleiche Beachtung, hat weniger neue Bekannte, weil man meistens nicht mehr arbeitet und einem ­zusehends Freunde und Familienan­gehörige wegsterben.» Möchte er noch einmal jung sein? «Klar, die Zeit, als die Frauen ins Spiel kamen, die war schon toll, mit viel Wirbel.»

Doch er trauert vergangenen Zeiten nicht nach. «Ich konnte mich früher schnell aufregen, heute atme ich zuerst ein paarmal tief durch, ich bin viel gelassener ­geworden.» Hillenberg ist zum Buddhismus konvertiert, er trainiert oft im Fitnesscenter, hält sich mit Schwimmen fit und fährt mit dem Motorrad durch die Gegend. «In meinem Alter gibt es keine Sachzwänge mehr, das ist das Schöne. Ich kann heute getrost mal sagen, nein, ich habe keine Lust.»

Annelies Cattin (fiebert ihrem 100. ­entgegen)

Irgendwann ist es zu spät, um von der Zukunft zu träumen. Was bleibt, ist die Erinnerung; was zählt, ist das Jetzt. Annelies Cattin fiebert der magischen 100 entgegen. «Ich würde dieses Alter gerne erreichen, weil ich gerne lebe. Ich hatte eine entbehrungsreiche Jugend. Dafür ist mein Alter doppelt schön.» Seit acht Jahren ist sie Bewohnerin des Alters- und Pflegewohnheims Neumünster an der Minervastrasse. 52 Jahre lebte sie an der Hottingerstrasse in ein und derselben Wohnung, jahrzehntelang mit ihrem Mann und ihrer ledigen Schwester. «Ich bin mein Leben lang praktisch nie umgezogen, aber im Heim wegen Umbauten gleich dreimal», erzählt Cattin. Vor ein paar Wochen stürzte sie beim Versuch, das Tram zu erwischen, und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch. Die Operation hat sie gut weggesteckt, tags darauf lief sie schon wieder mit dem Rol­lator durch den Spitalgang.

Cattin wuchs in Breisach am Rhein (D) auf, erlebte den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, Angst, grosse Not und Inflation. Beklagen über die harten Zeiten im Leben würde sie sich nie, denn sie sind Vergangenheit. Sie weiss noch genau, wie sie als kleines Mädchen nur eines wollte: nähen. Eine Ausbildung zu finden, war damals sehr schwierig. 1931 folgte sie ihrem Bruder und ihrer Schwester nach Zürich und lernte ihren Mann kennen – einen Schneider. «Das war ein glücklicher Zufall.» Sie führten ein Schneidergeschäft, es wurde ihre Existenz. «Muster zeichnen und Feinmassanzüge fertigen, das liebte ich ungemein.» Von der elfköpfigen Familie ist sie die zweitjüngste, die noch lebt. Kinder hat sie keine.

Das Leben hat sich stark verändert im letzten Jahrhundert. Annelies Cattin war immer ein Teil davon. «Ben Hur» war der erste Film, den sie mit der Schulklasse im Kino sah, mit 40 bestieg sie zum ersten Mal ein Flugzeug. Heute kann sie sich glücklich schätzen. Sie ist gesund und fit im Kopf. Sie legt Wert auf ein gepflegtes Äusseres, trägt heute eine zart geblümte Bluse zum knielangen Rock. «Ich trug mein Leben lang nur ­Jupes, nie Hosen, nur Unterhosen», sagt sie und lacht.

Im Altersheim fühlt sie sich daheim. Täglich trifft sie sich mit einem männlichen betagten Heimbewohner, sie gehen spazieren und geniessen die Nähe zu­einander. «Aber keine Schmuserei, wir sind wie Bruder und Schwester», sagt sie schnell. Er redet nicht mehr viel, aber das stört Annelies Cattin nicht, obschon sie eine redegewandte Dame ist. «In meinem Alter erwarte ich keine grossen Gespräche mehr, ich geniesse die Stille.»

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare