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Porträt

Sanfte Töne für die böse Clownin

Von: Clarissa Rohrbach

23. September 2014

Die Schauspielerin Gardi Hutter ist als Hanna weltbekannt. Nun singt sie in «Wanderful» Schlager. Das passt so gar nicht zu ihrer Figur und entspannt sie umso mehr.

«Ciao! Ciao a tutti!» Gardi Hutter stürzt auf die Bühne und schmatzt Küsschen in die Luft. Ihre raue Stimme weckt Erinnerungen. An die Mäusin, die sich für ein Stück Käse in immer grössere Probleme verstrickt. Oder an die Schneiderin, der nach einem Missgeschick eine Schere im Kopf steckt und der es graut zu sterben. Es sind die bösen und deswegen so lustigen Stücke, mit denen sie als Clownin weltbekannt wurde. Doch von Hanna, ihrer Figur mit Strubelhaaren und dickem Po, ist an diesem Probetag im Theater am Hechtplatz nichts da. Hutter schwingt elegant ihre Arme in ­einer Reihe mit Sandra Studer und ­Michael von der Heide, während sie lieblich Schlager singt.

«Dieses Projekt erfüllt für mich den Extrawunsch.» Hutter sitzt nun auf der Terrasse des Rathaus-Cafés. Sie wirkt viel gesammelter und zurückhaltender, als man es von einer Clownin erwarten würde, als ob die Privatperson nichts mit der Bühnenfigur zu tun hätte. Sie erzählt, wie sie vor 12 Jahren erstmals Sandra Studer begegnete. Beide warteten auf ihren Auftritt an der Eröffnung des Casinotheaters Winterthur, die eine Clownin, die andere Sängerin und TV-Moderatorin. In der Garderobe entstand eine Freundschaft und für Hutter der Wunsch zu singen. Unter der Regie von Dominik Flaschka spielten die Frauen 2004/05 das erste Mal in «Drei Bräute für ein Halleluja» zusammen. Nun stehen sie wieder für «Wanderful» mit Michael von der Heide auf der Bühne. Die Story: Das prominente Trio wartet auf seinen Auftritt an einer glamourösen Alpengala, doch backstage bröckelt das Showbusiness, die Stars streiten, zweifeln an sich selbst und lenken sich mit Liedern ab.

In der Revue nimmt Gardi Hutter ein Stück weit sich selber aufs Korn. «Etwas Perfektes wäre nicht lustig», sagt sie in einem ruhigen Ton. Die 61-Jährige wirkt ernsthaft, wenn sie über ihr Metier spricht. «Im Gesang liegt reines Gefühl – als Clownin kippe ich das immer ins Komische. Ich geniesse die Abwechslung.» Hanna, die würde nicht singen, sondern laut krächzen.

Den Tod weglachen
Hanna ist frech, stur, bösartig. Auf der Suche nach dem Glück tritt sie in jedes Fettnäpfchen. Und scheitert immer. Seit über 30 Jahren stellt Hutter mit ihrer überspitzten, radikalen Figur die Tragik des Lebens dar. Sie benutzt die Grausamkeit des Märchens: je mehr Hanna leidet, desto lauter lachen die Zuschauer. «Humor ist eine Überlebensstrategie. Wer nicht über seine Probleme lacht, bleibt darin gefangen», sagt die Artistin. Wer könnte besser die Schattenseiten unserer Existenz, Verlust und Tod darstellen als ein Clown? Ein Clown redet wenig, er appelliert nicht an unsere Vernunft, sondern an das Herz. Er packt uns dort, wo es uns am meisten berührt. Wir lachen über das, was uns unerträglich erscheint.

Doch eine Clownin gab es vor Gardi Hutter nicht. Die Frauenrollen im Theater beschränkten sich auf hübsche, schlanke Fräuleins, die liebten, litten und starben – und ein paar lustige Mägde. «Ohne Rolle zum Üben konnte ich mein komisches Potenzial nicht entwickeln.» Während der Ausbildung an der Schauspiel-Akademie Zürich in den 70er-Jahren wich Hutter auf Männerrollen aus. Doch eine Lösung war das nicht.

Also ging sie nach Mailand und wurde Clownlehrling. Drei Jahre lang lernte sie von Mario Gonzales, Pantalone des Théâtre du Soleil, Nani Colombaioni, bekannt durch Fellinis «I Clowns», und Ferruccio Cainero vom Teatro Ingenuo. Es war eine harte Zeit für Hutter. Sie wohnte in einem Wohnwagen, spielte auf der Strasse und manchmal in Parks, um sich überhaupt das Znacht leisten zu können. «Die Geburt von Hanna war eine sperrige Angelegenheit, ich tappte lange im Dunkeln, denn kein Handbuch kann Komik erklären.» Um eine eigene Figur zu finden, müsse ein Künstler Krisen durchstehen, eine Frau, die eine Männerwelt betritt, noch einige mehr.

1981 trat Gardi Hutter das erste Mal in «Giovanna d’ArPpo» als Clownin auf. Und die Welt sagte: «Endlich!» Die Nachfrage war enorm, die Warteliste lang: Hutter arbeitete pausenlos. Das Publikum in den 80er-Jahren sei sehr neugierig gewesen. «Endlich konnte auch über eine Frau gelacht werden, ohne dass sie klein gemacht wurde.»

Seitdem hat Hutter rund 3300 Vorstellungen in 30 Ländern gegeben und dafür 13 Kunstpreise erhalten. Sie hat in Schauspielhäusern und Scheunen von São Paulo bis Shanghai gespielt, hat Freunde auf der ganzen Welt. Aber Hutters Zuhause ist ihr Rustico in Arzo, wo sie seit 29 Jahren wohnt. Im Tessiner Dorf, wo etwas mehr als 1000 Menschen leben, hat die Künstlerin ihre Tochter und ihren Sohn aufgezogen. Dass Mamma Interviews im Sandkasten gab oder ab und zu nach Brasilien reiste und dort mit ihrem Kauderwelsch tosenden Applaus erntete, war für die beiden Kinder selbstverständlich.

Hin zur Leichtigkeit
Am Freitag ist es nun so weit mit Gardi Hutters «Extrawunsch». Im Hechtplatz wird sie sich, zusammen mit Sandra Studer und Michael von der Heide, durch die vielfältigsten und überraschendsten Musikstücke singen. «Das Reizvolle an dieser Produktion ist, dass wir drei so verschieden sind. Wir sind zwar alle im Showbiz tätig, kommen aber aus anderen Welten – und die lassen wir aufeinanderprallen.» Die ersten Gespräche fanden im Val Müstair statt, wo sich das Team zurückzog, um eine Stückidee zu finden und die Songs auszuwählen.

Nach Zürich tourt Gardi Hutter wieder durch die Welt. Kinder und Erwachsene werden über die tollpatschige Hanna lachen. Ihre Wut, Verzweiflung und Sehnsucht sind tiefe, archaische Bilder, die jeder kennt. Die Zuschauer lachen über die Clownin, aber auch, und vor allem, über sich selbst. Denn, in Hutters Worten, wenn einem im schweren Schmerz ein Lachen durchschüttelt, dann ist die Kehrtwende erreicht: hin zur Leichtigkeit.

«Wanderful» im Theater am Hechtplatz dauert bis zum 19. Oktober.

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