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Porträt

"Schoscho", der Jurist und TV-Star

Von: Jan Strobel

11. Juni 2013

Joseph Baowendpouiré Tapsoba aus Burkina Faso ist in Westafrika eine Berühmtheit. Jetzt steht der 39-Jährige in Schwamendingen auf der Bühne.

Wo er hinkommt, rufen sie ihn «Schoscho». In den Strassen von Lomé, Yamoussoukro, Niamey oder Bamako ist Joseph Baowendpouiré Tapsoba die grosse Nummer, er ist der Fernsehstar aus Burkina Faso, der sich aus den staubigen Hinter­höfen von Ouagadougou heraus in die Herzen der Westafrikaner gespielt hat. Jetzt sitzt er in Schwamendingen, im Biergarten der Ziegel­hütte, trinkt ein Bier und sagt: «Ja, natürlich bin ich bekannt. Aber glauben Sie mir, ich bin so geblieben, wie ich bin, nämlich bescheiden. So läuft das mit den Schauspielern in Afrika.»

Schoscho macht gerade Pause. In der alten Holzscheune nebenan laufen die Proben zum Stück «L’héritage/Das Erbe», das morgen im Rahmen des Kulturfestivals Pas de Problème! in der Ziegelhütte Premiere feiert. Im Stück treffen zwei Familien aufeinander, die eine aus Zürich, die andere aus Ouagadougou. Beide durchlaufen ihre ganz eigenen Höhepunkte und Krisen, Schwangerschaften, Beerdigungen, Zukunftsängste, aufbegehrende Teenager; es geht, kurz gesagt, um Generationen­konflikte, die eine Familie eigentlich erst zur Familie machen. Regisseur Roger Nydegger lässt die schweizerische und die west­afrikanische Welt zusammenprallen, findet am Ende aber eine entscheidende Quintessenz: Auch wenn die Lebensrealitäten meilenweit von­einander entfernt sind, die Probleme und Freuden im Familienleben sind sich im Grunde ähnlich. Familie bleibt Familie. Schoscho spielt in diesem Stück den burkinischen Vater. «Diese Generationenkonflikte», erzählt er, «beginnen jetzt auch in Burkina Faso immer stärker zu werden. Früher folgte die Jugend dem Rat und dem Vorbild der Eltern. Heute möchten sie ihren eigenen Weg gehen, auch wenn die Familie weiterhin das Zentrum ihrer Welt bleibt.»

Kultur als Exportschlager
Schoscho selbst wuchs in einem dieser grossen Familienverbände auf, mit sechs Brüdern und einer Schwester. In Karpala, einem Stadtteil von Ouagadougou, bewohnten sie Tapsobas einen eigentlichen Häuserblock, der um einen Hof angesiedelt ist. Hier spielte sich das Familienleben ab. «In dieser kleinen Welt wurde schon immer Theater gespielt. Das lag uns Kindern von Karpala sozusagen in den Genen», sagt Schoscho. Eine wichtige Rolle nahmen für ihn die zahlreichen Schul- und Quartiertheater Karpalas ein, die aber vor allem erzieherischen Charakter haben.

Auf diesen Bühnen sammelte er seine ersten Schauspielerfahrungen, hier nahm der Traum, ein Künstler zu sein, Gestalt an. Oft zog es ihn auch in die zwei grossen Kinos der Hauptstadt oder ins Theater C.I.T.O, das, einmalig in Westafrika, seine Eigenproduktionen oft über 40-mal spielt und im Vergleich zu europäischen Theaterhäusern eine geradezu traumhafte Auslastung aufweist. Im Publikum mischen sich Arbeiter mit Studenten, Schulkinder mit Regierungsmitarbeitern. Und die Schauspieler werden bezahlt. «Burkina Faso gilt als Kulturhochburg in Westafrika, das Theaterschaffen und die Filmindustrie sind richtige Exportschlager», sagt Schoscho, der sich nach einem Jurastudium bald selbst ohne finanzielle Mittel seine eigene Kulturoase schuf – das Théâtre de l’aube. Sein Projekt wurde über die Jahre zu einer Kulturwerkstatt, die eigene Theaterproduktionen oder Kurzfilme realisiert. Die Filmgruppe Kino Ouaga ist dabei besonders produktiv, «während zehn Tagen haben wir kürzlich 120 Kurzfilme gedreht. Das war unglaublich, diese Solidarität untereinander, alle arbeiteten zusammen», schwärmt Schoscho.

Doch ohne seinen Namen als Aushängeschild hätte sein Projekt in Burkina Faso kaum so erfolgreich werden können. Der Jurist Schoscho erlebte ab 2003 seinen eigentlichen Durchbruch. Im Theater C.I.T.O spielte er in Shakespeares «Sommernachtstraum» oder in Nikolai Gogols «Der Revisor», beides unter der Regie des Zürchers Roger Nydegger. Gleichzeitig entdeckte ihn die Filmwelt für sich. Der französische Filmemacher Laurent Salgues engagierte ihn für sein preisgekröntes Drama «Rêves de poussière», daneben startete Schoscho eine Karriere als Hauptdarsteller in burkinischen TV-Serien, die seinen länderübergreifenden Ruf erst richtig begründeten. In der Krimiserie «Commissariat de Tampy» spielt er einen Kaffeeverkäufer, der gleichzeitig als Spion für Kommissar Zami und Inspektor Rock agiert. Auch in «Affaires Publiques» geht es um Kriminalität, dieses Mal jedoch nicht um die kleinen Gaunereien, sondern um das grosse Ungetüm Korruption. Die beiden Serien gehören zu den beliebtesten Programmen der burkinischen TV-Zuschauer, neben brasilianischen Liebesschnulzen.

Finanziert wurde «Affaires Publiques» allerdings ausgerechnet von der nicht gerade blütenweissen Regierung selbst. «Ein richtiger Propagandastreifen», gibt Schoscho un­umwunden zu. «Sie wollen der Bevölkerung zeigen, dass sie aktiv gegen die Korruption vorgehen.» Denn dass die Regierung in einen Film investiert, ist eine Seltenheit. Das Geld kommt meistens aus Frankreich, Belgien oder von NGOs, die es an private, inländische Produzenten weiterleiten. «Während diese Produzenten damit reich werden, bleibt für uns Schauspieler kaum etwas übrig. Auch wenn du ein Star bist, gehörst du noch lange nicht zur Elite», sagt Schoscho. Doch immerhin: Seine Gruppe Kino Ouaga zeigt zurzeit in Hamburg ihre neusten Kurzfilme, und er selbst sitzt hier in Schwamendingen, in der Ziegelhütte. «Natürlich ist das ein Privileg», sagt er, «ein Privileg, das es mir erlaubt, meine Familie zu ernähren.»

Infos und Programm zum Kulturfestival in der Ziegelhütte: www.pasdeprobleme.org

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