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Porträt

Ein wahrer Künstler: Hans Gautschi in seiner Metallbau- und Kunstschmiede mitten in der Altstadt.

Sie gehören zu den Letzten ihrer Zunft

Von: Ginger Hebel

20. Mai 2014

Altes Handwerk: Neben all den Ladenketten und Designerläden gibt es sie noch: kleine Ateliers und Werk­stätten, wo Menschen von Hand arbeiten und so Kunst und Kulturgut erhalten. Das «Tagblatt» hat vier besucht.

Kunsthandwerk in Präzision:
Metallbau und Kunstschmiede Hans Gautschi

Aufhören zu arbeiten, nur weil man das Rentenalter erreicht, das kam für Hans Gautschi nie infrage, «dann ist man doch noch so jung». Praktisch sein ganzes Leben arbeitet der 78-Jährige schon in der Zürcher Altstadt, seit 1966 in seiner eigenen Metallbau- und Kunstschmiede am Neumarkt 29. Er erinnert sich noch gut an seinen allerersten Auftrag, als er ein Geländer für die Bäckerei Vohdin schmiedete. Hans Gautschi ist spezialisiert auf Kunstschmiede- und Gürtlerarbeiten sowie Restaurationen von historischen und denkmalgeschützten Objekten. Gürtler ist ein ausgestorbener Beruf, man bezeichnete damit Schlosser, die nur Messing bearbeiteten. «Messing ist ein gutes Material, biegsam, verformbar, beständig.» Er bearbeitet es durch Drücken, Hämmern und Treiben. Hans Gautschi ist ein Meister der alten Schule und bildet noch heute Lehrlinge zu Metallbauschlossern aus. «Altes Handwerk verschwindet immer mehr und damit ein Stück Kultur, das finde ich schade.»

Gautschi holt seinen Ordner hervor, darin abgebildet auf Fotos ein Teil seiner Werke, ein Bruchteil derer, die er in den vergangenen Jahrzehnten schuf, aber die, auf die er am meisten stolz ist, darunter kunstvoll geschmiedete Falken und Flamingos aus Kupfer, Messing und Neusilber. Er schuf die Kunstobjekte für einen Juwelier, die meisten wurden nach Oman verkauft oder ans marokkanische Königshaus. Für die Therme Vals fertigte er die Messingarbeiten, auch die Treppengeländer im Zürcher Restaurant Terrasse hat er entworfen. Begibt man sich auf einen Spaziergang durch die Altstadt, begegnen einem seine Werke auf Schritt und Tritt; da ein verschnörkeltes Türgitter, dort ein verziertes Geländer oder ein schmiedeeisernes Schild. Demnächst gestaltet er für das Bezirksgebäude neue Treppengeländer aus Baubronze.

Hans Gautschi absolvierte eine Schlosserlehre im Geschäft seines Vaters an der Oberdorfstrasse. Als dieser verstarb, übernahm er es mit 29 Jahren. Er hat sich seinen guten Ruf hart erarbeitet. Die Liste namhafter Designer und Architekten, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet, ist lang. Tina Turner besuchte ihn schon mehrmals in seiner urchigen Werkstatt. Er gestaltete das schmiedeeiserne Tor für ihre Küsnachter Villa. Und für den spanischen Architekten Santiago Calatrava, der auch den neuen Bahnhof Stadelhofen erbaute, fertigt er immer wieder gewaltige Kunstobjekte aus Stahl.

Seine Hände sind kräftig, trotzdem ist er noch mit bald 80 in der Lage, filigrane Arbeiten mit grösster Präzision und Sorgfalt auszuüben. «Ich habe zum Glück keine Gicht wie viele in meinem Alter.» Er zeigt eine handgetriebene Schale aus Eisen mit einem perfekt geformten Äffchen, 200 bis 300 Stunden hat er darin investiert, als er dieses Werk schuf, war er gerade ­einmal 20. Schon damals hatte er die Entwürfe selber gezeichnet, von der Skizze zum Unikat, das ist sein Credo bis heute. Früher arbeitete Hans Gautschi gut und gerne 10 bis 12 Stunden pro Tag in seiner Werkstatt, so viel ist es heute nicht mehr. Doch sein Arbeitswille und seine Leidenschaft sind ungebrochen.

Hemden wie angegossen:
Chemiserie Wellis

Es gibt viele Männer, die – oft unbewusst – schlecht sitzende Hemden von der Stange tragen, bis sie eines Tages in ein Masshemd schlüpfen und merken, dass es passt wie eine zweite Haut. «Es ist wichtig, dass ein Hemd im Schulter- und Brustbereich nicht spannt und nicht zu eng ist, weil man sonst gerne schwitzt», sagt Margarethe Graf, Eigentümerin der traditionsreichen Chemiserie Wellis am Kreuzplatz, dem vermutlich wohl einzigen echten Feinmassatelier für Hemden in der Schweiz. Während bei einer Masskonfektion Hemden oder Kleider einem bestehenden Grundmass angepasst werden, erhält man bei Wellis handgefertigte Unikate von A bis Z.

Seit vielen Jahren beschäftigt Margarethe Graf Weissnäherinnen aus Polen und Italien. Hierzulande wird in diesem Beruf niemand mehr ausgebildet. Die Näherinnen arbeiten hochkonzentriert und mit ruhiger Hand. An traditionellen Maschinen entstehen Knopflöcher mit weit über 120 Stichen sowie feinste Nähte. Für jeden Neukunden wird im Atelier ein Probehemd angefertigt. Dies erlaubt, noch vor dem endgültigen Zerschneiden des Stoffes erwünschte Veränderungen am Schnittmuster vorzunehmen. «Männer, die beispielsweise Tennis oder Golf spielen, ­haben oft einen einseitig muskulöseren Arm, was sich bei einem Feinmasshemd problemlos kaschieren lässt», erklärt Graf.

Im Laden und Atelier am Kreuzplatz können die Kunden aus einer Vielzahl von Stoffmustern und Farben auswählen. Subtile Finessen sind derzeit gefragt; gemusterte oder geblümte Manschetten zu einem unifarbenen Hemd oder ein Kragen, der an der Innenseite bunt oder kariert ist. Haifisch, Kent, Button-down oder eine Kopie des persönlichen Lieblingskragens – alles ist möglich, da bei Wellis auch die Kragen von Hand gefertigt werden.

Margarethe Graf bestellt die Stoffe aus qualitativ hochwertigster ägyptischer Baumwolle beim Appenzeller Produzenten Alumo. Drei bis sechs Wochen dauert es, bis ein individuelles Hemd entsteht. «Es ist schön, neben prominenten Kunden aus der Wirtschafts- und Show­welt unzählige alteingesessene Zürcher Familien zu unseren Stammkunden zählen zu dürfen. Diese geben ihr Qualitätsbewusstsein an die Söhne weiter, die sich nach der Begeisterung für ein erstes Feinmasshemd zur Konfirmation als erwachsene Männer selbst eines schneidern lassen möchten», sagt Graf. Fertig konfektionierte Hemden, Blusen und Handschuhe gibts bei Böhny, dem dazugehörigen kleinen Spezialgeschäft an der Augustinergasse – seit 1870.

Handgenähte Taschen:
Lederladen Adrian Zürcher

Adrian Zürcher hat schon immer gerne mit seinen Händen gearbeitet. Während der Mittelschulzeit half er im Lederladen an der Schipfe 29 aus und verkaufte dort seine selbst gebastelten Portemonnaies. Später studierte er Jura und war in der Rechtsberatung tätig, doch das Handwerkliche fehlte ihm so sehr, dass er seinen Beruf an den Nagel hängte und im Jahr 2000 den Lederladen kaufte. Sein Lädelchen am Wasser ist winzig, auf seinem Arbeitstisch türmen sich grosse Lederstücke – robustes Rindsleder aus der Toskana, pflanzlich gegerbt. «Es hat eine grobe Struktur, manchmal eine Narbe, das gefällt mir», sagt Adrian Zürcher.

Maschinen sucht man beim Lederhandwerker vergebens, er fertigt seine Einkaufs-, Akten- und Umhängetaschen alle von Hand. Die Schipfe ist ein alteingesessenes Quartier, von den Zürchern wird es manchmal ein bisschen vergessen, nicht aber von den Touristen. Die Scharen, die hier vorbeiziehen, blicken in seinen Lederladen, winken, fotografieren, doch was das Schöne ist: Sie schauen nicht nur, sie kaufen auch, sogar Zürcher Spitzenpolitikerinnen schätzen seine qualitativ hochwertigen und zeitlosen Taschen. Zwei Stück fertigt der gebürtige Zürcher in seiner Miniwerkstatt pro Tag, Ladenhüter gibts hier nicht, er verkauft sie alle irgendwann. Adrian Zürcher schneidet das Leder zu, stanzt Löcher aus und näht die verschiedenen Lederflächen zu einer Tasche zusammen, klassisch von Hand, mit Nadel und Faden. «Das Nähen hat etwas Meditatives.»

Der 49-Jährige schätzt es, dass er nicht an Endlosprojekten arbeiten muss, sondern immer sofort ein ­Resultat sieht. Er liebt die Zeitlosigkeit von Leder, dass es mit den Jahren immer schöner wird, «je verlebter, desto besser», sagt er. Obwohl das Kleingewerbe kränkelt, kann sich Adrian Zürcher nicht beklagen, er kann von seinem Taschenbusiness leben. «Ich habe keinen Druck, keine Angestellten, ich mache alles selber. Ich bin eine One-Man-Show.»

Träume aus Papier:
Handbuchbinderei Doris Feldmann

Alte Maschinen, exklusives Papier und mittendrin die passionierte Handbuchbinderin Doris Feldmann. Seit 20 Jahren besitzt sie die nostalgische Werkstatt an der Wohllebgasse 9 am Fusse des Lindenhofs. Ihrem Vater gehörte eine kleine Orthopädie-Schuhmacherei, und so war für Doris Feldmann schon in jungen Jahren klar, dass auch sie später in einem kleinen Laden arbeiten möchte statt in einem Grossbetrieb. Auf Vorschlag des Berufsberaters absolvierte sie die 4-jährige Lehre zur Handbuchbinderin. «Für diesen Beruf sollte man eine Affinität zu schönen Materialien haben und möglichst keine Schweisshände, damit es auf den Papieren keine Abdrücke gibt.»

Mit ihrer Mitarbeiterin Rebekka Baumann zelebriert sie das klassische Buchbinderhandwerk. Sie arbeiten an alten Rillmaschinen, Stapelschneidemaschinen und mit der Pappschere und drucken Papier selber. Für Geschäfte und Bibliotheken binden sie Zeitschriften und Bücher und gestalten auf Kundenwunsch Bilderrahmen, Geschenkschachteln, Fotoalben und Tagebücher oder restaurieren die Einbände von Bibeln mit Leder, Pergament und Vergoldung. Liebhaber von exklusiven Papieren finden hier italienische und deutsche Buntpapiere, Nepalpapiere und japanische Hand- und Siebdrucke mit Schablonen- und Stempeldruck auf handgeschöpftem Papier. Die fantasievollen Muster des ­edlen Chiyogami orientieren sich an japanischen Kimonostoffen.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Berufsfeld verändert. «Bibliotheksarbeit war früher der Broterwerb für uns Buchbinder, heute wird vieles digital gemacht oder ins Ausland verlagert.» Dennoch stellt Doris Feldmann eine Trendwende fest: «Die Leute schätzen es, dass wir mitten in der Zürcher Altstadt Unikate von Hand herstellen. Zudem ist die Freude an besonderen Materialien wieder grösser als früher.» Auch Menükarten aus handgeschöpftem Papier gehören zu ihrem Repertoire. «Viele Restaurants kommen langsam weg von Speisekarten aus Plastik.» Reich wird man als selbstständige Handbuchbinderin nicht. Doch Doris Feldmann liebt, was sie tut. «Die Erhaltung von Kunst und Kulturgut ist mir wichtig. Schönes Papier verleidet mir nie.»

 

 

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