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Porträt

"Wir wollten endlich frei denken, frei leben." Bild: PD

Sie haben abgeschworen

Von: Jan Strobel

07. Juli 2010

Shahram, Masoumeh und ihre Kinder traten erst aus dem Islam aus, dann aus dem Christentum - heute sind sie überzeugte Atheisten.

Eigentlich sind Shahram und Masoumeh ein glückliches Paar, nur manchmal, wenn sie sich beim Kebab-Stand um die Ecke ein Abendessen holen wollen, ist er da, der Schatten. Die anderen Iraner im Laden beginnen zu flüstern. Shahram und Masoumeh sind «kafar» - Ungläubige, Verräter. In ihrer Heimat würden sie nicht davonkommen, sie und ihre Kinder haben die Todsünde begangen, einfach aus dem Islam auszutreten. Noch schlimmer - die Familie schloss sich vor über einem Jahr mit anderen Gleichgesinnten zum Zentralrat der Ex-Muslime zusammen. Die Gruppe machte hierzulande den Tabubruch öffentlich, um die «ewig gültigen, heiligen Wahrheiten» ihrer Religion infrage zu stellen, die, sagt Shahram, «einfach jeden Lebensbereich kontrollieren». Die Freiheit, die sie meinen, berufe sich auf humanistische, ethische Werte, auf jene zivilen Umgangsformen, welche die Haupterrungenschaft der Aufklärung gewesen seien. «Wir wollten endlich frei denken, frei leben. Die Welt besteht nicht nur aus Regeln», bekräftigt seine Partnerin Masoumeh und schenkt dem Gast Coca-Cola nach.

Mohammed statt Michael Jackson
Wenn die 39-Jährige Regeln sagt, denkt sie zuerst an ihre Zeit im Iran, in ihrer Heimatstadt Rasht, ganz oben am Kaspischen Meer. Damals trug sie den Tschador, wie jede Frau. «Ich habe mich nie wohl gefühlt darin. Aber es war ein Zwang, den wir einfach so hinnahmen. Es diente der islamischen Sache, und deshalb dachten alle, dass es schon irgendwie richtig sei.» Masoumeh durfte nicht allein auf die Strasse, keine Jungen treffen, keine Bars besuchen. Spiele waren verboten, Schach, Fussball, Billard. Eine weggesperrte Frau, scheinbar ohne Zukunft. Dabei wollte sie Näherin werden. Möglich wurde das erst Ende der 80er-Jahre, nach dem Tod von Ayatollah Khomeini, als das Regime die Regeln ganz sachte etwas lockerte. Masoumeh wurde verheiratet, bekam ihre zwei Töchter Negin und Nooshin. Die junge Familie beschloss, ein Leben in der Hauptstadt Teheran zu versuchen. Erst später sollte Masoumeh dort ihren Shahram kennen lernen.

Der sorgte auf den Strassen Teherans für die Einhaltung der Sitten. Die islamische Revolution war alles für ihn. «Der Islam ist wichtiger als deine Eltern. Das hatten sie uns schon in der Schule und der Moschee eingetrichtert.» Deshalb trat er bereits als 13-Jähriger in die Basij ein, eine Revolutionsgarde, die sich aus Freiwilligen rekrutiert. Shahrams Aufgabe bestand nicht nur darin, Werbung für den Islam und die Revolution zu machen, sondern auch seine Mitschüler zu kontrollieren. Er meldete jeden, der gegen die Gesetze verstiess, seinem Milizchef. «Danach durfte ich die Leute schlagen. Ich fand nichts Schlechtes dabei. Im Gegenteil: Ich war überzeugt, für eine bessere Welt zu kämpfen.» Er verteufelte die westlichen Demokratien, nahm an jeder Pflichtdemonstration gegen die USA teil. Danach stieg der junge Milizionär manchmal auf sein Mofa und suchte mit seinen Kameraden in den Quartieren nach Verdächtigen. «Wir durften machen, was wir wollten. Ein Mensch war für uns, wer betet und sich kleidet, wie es der Islam vorschreibt», erzählt Shahram. Seine Vorbilder waren nicht Michael Jackson oder Madonna, sondern der Prophet Mohammed und Imam Ali, der Vater der Schiiten.

Irgendwann kreuzten sich in der Hauptstadt seine Wege mit Masoumeh und deren Mann. Von Liebe konnte bei dem Paar nicht wirklich die Rede sein, das musste auch Shahram sehen. Ihm jedenfalls gefiel die junge Mutter. Zugeben durfte er das natürlich nicht, besonders als Mitglied der Basij. Aber auch wenn Shahram die Linie der islamischen Revolution weiterverfolgte, irgendetwas hatte sich plötzlich bei ihm eingeschlichen. Das dauernde Kontrollieren, das Denunzieren, es bekam einen schalen Beigeschmack. Das Feuer war weg. Umso mehr begehrte er die verheiratete Masoumeh - und es schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Aber der Glaube verlangte von ihm Gehorsam.

Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Dämme brechen würden. Shahram, das einst so linientreue Rädchen in der Maschinerie, begann zu streiken. Als ihn die Miliz in die saudiarabische Botschaft schickte, um dort zu spitzeln, weigerte er sich. Er widersetzte sich allen Ernstes. Shahram verschwand im Gefängnis, in den Zellen der Geheimpolizei. Sie folterten ihn 20 Tage lang.

Draussen wartete Masoumeh mit ihren Töchtern auf ihn. Sie lebte nicht mehr mit ihrem Mann zusammen, aber eine Trennung war nicht möglich. Man hätte sie gesteinigt. Währenddessen lernte Shahram im Gefängnis Mahmoud Rahebi kennen, einen christlichen Priester. «In unserer Einsamkeit haben wir lange diskutiert. Ich wollte eigentlich mit Religion nichts mehr zu tun haben. Ich hatte ja selbst gesehen, was sie anrichtet, wie sie politisch wird und die Menschen zerstören kann», erzählt Shahram. Der Priester seinerseits versuchte dem Zweifler klarzumachen, dass das Christentum eine Alternative böte. Dass hier Menschlichkeit und Solidarität möglich seien. «Werde Christ, sei freier», sagte Mahmoud Rahebi, und für Shahram auf seiner schmutzigen Pritsche klang das in diesem Moment wie ein Versprechen auf ein besseres Leben. Er beschloss, heimlich zu konvertieren. Nach einem Monat liessen sie ihn für eine Woche aus dem Gefängnis. Vor dem Prozess sollte er seine Besitzverhältnisse regeln. Es musste jetzt schnell gehen. «Wäre herausgekommen, dass ich mit einer verheirateten Frau zusammenlebe, hätte das unser Ende bedeutet.» Sie beschlossen die Flucht. Innerhalb eines Tages verliessen sie Teheran und gelangten über die Türkei nach Griechenland. Dort lebte die neue Familie drei Jahre, bis sie 2006 nach Zürich kam.

«Die Burka ist ein Gefängnis»
Shahram las am Anfang viel in der Bibel. Aber auch hier stiess er bald auf Passagen, die seinem Weltbild einfach nicht entsprechen konnten. Sie hatten dem Islam abgeschworen, um frei zu sein von Zwängen und Ungleichheit. «Und in der Bibel erschuf Gott die Frau aus der Rippe des Mannes. An einen solchen Gott wollten wir nicht glauben.» Schliesslich habe der Tschador, findet besonders Masoumeh, in ihrer Heimat genug Unheil angerichtet. Wenn sie Schweizerinnen wie Nora Illi im Fernsehen sehe, die sich aus freien Stücken vollständig verhülle, könne sie nur den Kopf schütteln. «Welche Ahnung haben solche Frauen, wie es uns im Iran wirklich ging? Die Burka ist kein Kleidungsstück. Sie ist ein Gefängnis.» Wie die Burka empfinden Shahram und Masoumeh auch das Kopftuch als Symbol von Brutalität, als Auslöschung von Individualität. «Die Frau wird ihrer Gesichtszüge beraubt. Es ist ein primitives Menschenbild, das der Islam transportiert», sagt Shahram. Eigenverantwortung existiere nicht. Deshalb setzt sich der Zentralrat der Ex-Muslime auch vehement für ein Burkaverbot ein. Auch Negin, Masoumehs 18-jährige Tochter, hat dazu eine dezidierte Meinung. «Integration kann doch nur so funktionieren. Weshalb sollte etwas erlaubt sein, was unsere aufgeklärten Werte und unser Verständnis von Gleichberechtigung mit Füssen tritt? Das leuchtet mir nicht ein.» Aber gibt es nicht auch einen toleranten Islam, vertreten von Intellektuellen wie Salman Rushdie oder Taslima Nasrin, die beide mit dem Tod bedroht wurden? Atheist Shahram winkt ab. «Es würde niemandem einfallen, einen europäischen Intellektuellen als ‹christlich› zu bezeichnen. Der Islam lässt sich offenbar in den Köpfen nicht abschütteln.»

Der Zentralrat der Ex-Muslime wächst langsam, aber stetig. Das Vorbild heisst Mina Ahadi, eine Menschenrechtsaktivistin, die in Deutschland vor versammelter Presse dem Islam abgeschworen hat und 2007 den ersten Zentralrat in Deutschland gründete. Shahram und Masoumeh sind überzeugt, dass sich vor allem bei den jugendlichen Muslimen ein kritischeres, ethischeres Denken durchsetzen werde. Für ihre Mission nehmen sie das Geflüster am Kebab-Stand in Kauf, denn sie sind eigentlich eine glückliche Familie.

Lesen Sie auch: Kacem, Allah und die Menschenwürde.
www.tagblattzuerich.ch/aktuell/portraet/portraet-detail/article/kacem-allah-und-die-menschenwuerde.html

 

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