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Porträt

"Jeder Jude sollte einen Beitrag leisten, damit die Idee Israels weiterlebt." Bild: PD

Vom Enge-Quartier in die Golanhöhen

Von: Jan Strobel

20. Juni 2012

Als 19-Jähriger entschied sich David Engelmayer, Zürich zu verlassen, um sein religiös-zionistisches Ideal zu verwirklichen – das «Tagblatt» besuchte ihn im Golan.

Noch einmal zeichnet sich in der Ferne der schneebedeckte Gipfel des Hermon ab, während David Engelmayer die letzte Kurve nimmt, die ihn zu seinem Dorf führt. Es ist lange her, seit der 43-Jährige das letzte Mal Schweizerdeutsch geredet hat mit einem Gast. Zürich, das Elternhaus an der Rossbergstrasse im Enge-Quartier, die Synagoge an der Freigutstrasse, die Kanti Freudenberg, das alles ist hier, auf dem Hochplateau des Golan, unendlich weit weg. Seine Heimat heisst Chispin. Es ist ein Yeshuv, eine Gemeinde, gegründet 1977 auf nicht landwirtschaftlicher Basis. Vor zwölf Jahren hat sich Engelmayer mit seiner Frau hier ein Haus gekauft und es für seine sechs Kinder geräumig ausgebaut. Er wollte weg von der Stadt, ein bescheideneres Leben führen.

In Israel ist dieser Yeshuv vor allem für seine religiös-zionistischen Ausbildungsstätten bekannt. Auf dem zentralen Platz geniesst gerade eine Gruppe von Schülern im Schatten einer Platane ihre Mittagspause. Chispin, scheint es, ist ein idyllisches, wohlgeordnetes Fleckchen, erbaut auf dem Grund fester Überzeugungen und Werte. «Was uns Bewohner der Golanhöhen ausmacht», sagt David Engelmayer, der jetzt den Blick über seine so geliebte Landschaft schweifen lässt, «ist unsere Verbundenheit zu diesem Boden, unsere Solidarität und Toleranz untereinander.»
Die syrische Grenze liegt direkt vor dem Dorf. Syrien, das ist dort, wo der Krieg tobt, wo die sattgrünen Gemüseplantagen plötzlich aufhören und die UNO-Posten über die fragile entmilitarisierte Zone zu wachen versuchen. An den Strassenrändern rosten Panzer der syrischen Streitkräfte vor sich hin. Sie sind Zeugen des Yom-Kippur-Krieges von 1973, als Israel den Blitzangriff der Araber erneut erfolgreich abwehrte. Die Israelis besetzten sieben Jahre zuvor den Golan, nicht zuletzt, weil sie von den dortigen Anhöhen herab mit Leichtigkeit beschossen werden konnten und den mehrmaligen Angriffen praktisch wehrlos ausgeliefert gewesen waren. «Dem musste ein Ende gesetzt werden, wollte man die eigenen Leute nicht zum Abschuss freigeben», sagt David Engelmayer.

Zionismus und Thora
Er hat sich intensiv mit diesem Krieg auseinandergesetzt, engagiert sich dafür, dass sein Golan ein Teil Israels bleibt. Getragen wird er dabei auch von einer starken, religiös-zionistischen Überzeugung. David Engelmayer bezeichnet sich selbst als «Chardal», als modern-orthodoxen Juden, der die Gesetze der Thora strikt einhält und sie gleichzeitig mit dem säkularen Gedanken des Zionismus verbindet. «Israel beschützt alle Juden. Und jeder Jude, egal, wo er lebt, sollte seinen Beitrag leisten, damit diese Idee weiterlebt.» Das war auch der Grund, weshalb er sich nach seiner Matur 1987 entschloss, Zürich den Rücken zu kehren, um in der «Tzahal», der israelischen Armee, zu dienen. Auch nicht israelische Juden und Jüdinnen können in speziellen Programmen bewaffneten Dienst leisten. David Engelmayer sah das als seine Pflicht an, trotz der Sorgen seiner Eltern.

Es war alles andere als ein ruhiges Jahr, in dem David Engelmayer nach Israel kam. In der Negev-Wüste absolvierte er sein fünfmonatiges Ausbildungscamp, um danach in die harte Realität geworfen zu werden. Die erste Intifada, der Aufstand der Palästinenser, erschütterte das Land. Eigentlich wäre David Engelmayer gerne Fallschirmspringer geworden, aber jetzt stand er auf den Dächern von Gaza oder Rafah und hielt jugendliche Steinewerfer in Schach. Manchmal flog auch ein Molotowcocktail in seine Reihen. «Eine echte Lebensgefahr ging davon aber nie aus», sagt der stolze Soldat in ihm. Immerhin war er Teil der Givati Brigade, einer Infanterieeinheit, die sich bereits im israelischen Unabhängigkeitskrieg hervorgetan hatte.
Der junge Zürcher merkte schnell, dass er nicht der einzige Ausländer in der Truppe war. «Da dienten auch Franzosen, und ein Basler patrouillierte mit mir durch die Strassen.» Als religiöser, jüdischer Ausländer verpflichtete sich David Engelmayer für das sogenannte Mahal-Hesder-Programm. In diesem Rahmen leistete er 18 Monate Militärdienst und studierte ein Jahr an einer Jeschiwa, einer Talmudschule. War er nicht im Dienst, wohnte er bei einer Tante in Jerusalem.

Starke Religiosität und Armeedienst – das ist in Israel ein gesellschaftlicher Dauerkonflikt. Auch für David Engelmayer war das ein Balanceakt. Er bestand darauf, sich zwischen den Feiertagen Pessach und Schawuot nicht rasieren zu müssen. Andererseits machte es ihm nichts aus, am Schabbat ein Gewehr zu tragen oder im Jeep herumzufahren. Seinen Traum vom Fallschirmspringer konnte er tatsächlich verwirklichen, nachdem er in einer Spezialeinheit der Givati gedient hatte. Später wollte er in der prestigeträchtigen Air Force, der Eliteeinheit der Armee, Pilot werden. Doch obwohl er die Prüfungen bestand und auf einem Jet fliegen lernte, musste er eine erste Ablehnung einstecken. Nur sehr wenige schaffen es, den zweijährigen Kurs zu absolvieren. «Das hat mich damals ziemlich verletzt.»

1990 entschloss er sich, in die USA umzuziehen. In New York begann er ein Mathematikstudium und lernte auch seine Frau kennen, «an einem Vortrag von Benjamin Netanyahu», lächelt David Engelmayer. Auch in New York blieb er seinem zionistischen Ideal und der Armee treu. Er baute in Queens eine Jugendgruppe auf, um beim Nachwuchs die Solidarität mit Israel zu stärken.

1997 kehrte er selbst dorthin zurück, «habaita», wie die Israelis sagen, «nach Hause». Er gründete seine eigene Firma als Aktuar, und natürlich fand er den Weg zurück zur Givati Brigade. Er dient in ihr bis heute in der Reserve und absolviert einmal im Jahr einen fünfwöchigen Wiederholungskurs. «Im Ernstfall muss ich sofort einsatzbereit sein», sagt David Engelmayer. Dieser Ernstfall trat im Juli 2006 ein, als die israelische Armee im zweiten Libanonkrieg gegen die Hizbollah vorrückte. Der Reservist hatte Glück – er wurde in der Grenzpatrouille eingesetzt, einen Terroristen bekam er im hügeligen Dickicht zum Südlibanon nie zu Gesicht. Auch wenn der damalige Einsatz, wie David Engelmayer sagt, im Grunde gescheitert sei, sei er von seinen Überzeugungen nie abgerückt. Und dennoch schleicht sich am Ende eine leichte Sorge ein: «Es fehlt in diesem Land manchmal die Toleranz zwischen rechts und links, zwischen religiös und nicht religiös. Wenn wir nicht mehr an unsere gemeinsame Idee glauben, werden wir auch gegen Bedrohungen nicht mehr gewappnet sein.»

Letzten Winter nahm David Engelmayer seine Kinder auf den Hermon, zum Skifahren. Es erinnerte ihn an die Schweizer Alpen – an ein Stückchen Heimat.

Lesen Sie auch: "Tel Aviv ist meine neue Heimat" - Wie sich Christian Bindella seinen Traum in der israelischen Metropole verwirklicht.
www.tagblattzuerich.ch/aktuell/news/news-detail/article/tel-aviv-ist-meine-neue-heimat.html

 

 

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