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Porträt

Regisseur Dominik Locher: "Ich war nie zufrieden. Habe immer gehofft, dass noch etwas Besseres kommt. Wie der Hans im Schneckenloch." Bild: Lisa Brühlmann

Wenn das Leben ein einsames Rennen ist

Von: Jan Strobel

06. Mai 2014

Der Regisseur Dominik Locher hat mit "Tempo Girl" einen Film über eine Generation in der Krise gedreht.

Wir treffen uns an einem Ort des Durchgangs. Gerade fährt die S 16 Richtung Herrliberg weiter. Auf der Bellerivestrasse wechselt die Ampel auf Grün, und ein Auto biegt in den Parkplatz ein. Eine Dame steigt aus, gestresst. Sie rennt über den rissigen Asphalt zum Bahnhof. Auf der Terrasse des Spuntino Tiefenbrunnen sitzt Dominik Locher, raucht eine Zigarette, und sein Goldzahn blitzt in der Morgensonne.

Locher liebt diesen Ort, der eigentlich ein Unort ist, wäre da zwischen all dem Beton nicht der Blick auf den See, der diese kleine Café-Terrasse mit etwas Fantasie zu einem der charmantesten Treffpunkte der Stadt macht. Er erinnert den 31-Jährigen ein bisschen an seine alte Heimat, das Wallis. Genauer an das Rhonetal bei Leuk, durch das sich die Kantonsstrasse zieht, an der sich diese stillgelegte Tankstelle aus den 60er Jahren befindet. Auch so ein zauberhafter Ort des Durchgangs, «ein Sehnsuchtsort», sagt Locher, in dem früher einmal sein Onkel wohnte und heute während des Sommers ein Aprikosenverkäufer lebt. Diese Tankstelle bei Leuk hat Locher nun als Hauptschauplatz für seinen Film «Tempo Girl» gewählt.

«Alles kann, nichts muss»
In «Tempo Girl» richtet sich Dominique, eine junge Möchtegern-Schriftstellerin aus Berlin, zusammen mit ihrem türkischen Freund Deniz in dieser Leuker Tankstelle ein. Die Zelte in der deutschen Hauptstadt hat sie Knall auf Fall abgebrochen. Das piefige Hipster-Dasein in Kreuzberg oder Friedrichshain, diesen Mallorcas für Alternative, langweilt sie zu Tode. Es ist ein Leben zwischen der Vegan-Pizzeria ums Eck und den immer gleichen Partys, an denen man über die immer gleichen Probleme diskutiert, die keine sind. Eine ziemlich unergiebige Inspirationsquelle also für ihr autobiografisches Buchprojekt über die «Generation Krise», wie sie die um 1989 Geborenen zusammenfasst. Es ist eine Generation, die nach einer Devise lebt: «Alles kann, nichts muss.» Sie wandeln durch die harten Realitäten dieser Welt, Frühneurotiker, die nirgends richtig hin gehören wollen, weil ihnen vermeintlich ohnehin alle Wege offenstehen, weil sie vermeintlich ohnehin alles können. Sie sind die rastlosen, temporeichen Wanderer unserer Zeit. Dominique und Deniz verschlägt es ins Rhonetal nach Leuk, und die Tragikomödie um einen Standpunkt im Leben kann erst hier richtig beginnen, eine Reifeprüfung der etwas durchgeknallten Art.

Diese Dominique im Film könnte auch als das weibliche Spiegelbild ihres Schöpfers Dominik verstanden werden, obwohl er ja eigentlich noch knapp einer anderen Generation angehört. «Auch ich hatte diesen ruhelosen Drang, möglichst schnell etwas erreichen zu wollen. Anerkennung ist mir wahnsinnig wichtig», bekennt der Filmemacher. Dazu sei dieses diffuse Gefühl gekommen, dass man sich auf niemanden richtig einlassen kann und will. «Ich war nie zufrieden. Habe immer gehofft, dass noch etwas Besseres kommt. Wie der Hans im Schneckenloch.»

Und schliesslich ist auch er ein Mensch, der ständig auf Wanderschaft war, ein Mensch des Durchgangs. «Ich wollte mich nicht festlegen, hatte dauernd Angst, etwas zu verpassen», sagt Locher.

Sexkino, Altersheim, «Blick»
Aus dem Wallis zog es den Sohn eines Maurers und einer Behindertenbetreuerin zuerst nach Brienz und gleich nach dem Gymi nach Irkutsk, mitten in den öden, garstigen Weiten Sibiriens, wo es sich trefflich über Lebenspläne philosophieren liess. Locher tat das auf seine Weise: «Ich hatte da eine tolle Liebesgeschichte mit einem Punkmeitli», lächelt er. In der umtriebigen Punk- und Besetzer-Szene fand er ein Biotop, das seinen Bedürfnissen perfekt entsprach - auch als er von Sibirien nach Zürich kam. In der Binz realisierte er erste eigene Theaterstücke, ein Punktheater, das seine Kumpels und er gerne auch mal in ein Tram verlagerten, «kleine Skandal-Stückchen, mit denen wir die Fahrgäste überrumpelten», erzählt Locher. Die Reise ging für ihn rastlos weiter. Er arbeitete im Sexkino Radium an der Kasse, war Bauarbeiter und Animator in einem Altersheim. Er schrieb nebenbei unter dem Pseudonym Christl Brunner einen Kioskroman, dem er den sinnigsten Titel gab, den es für einen wie Locher geben konnte: «Bleib in den Bergen, Schatz: Warum suchst du das Glück in der Fremde?» Weil die Schulden drückten, heuerte er kurzerhand beim «Blick» als People-Reporter an. Der «Punk» schrieb über «heisse Girls» und «Top- statt Popp-Models», führte Interviews mit der Cervelat-Prominenz - und mit Anatole Taubman, der jetzt auch in «Tempo Girl» mitspielt.

Die «Blick»-Zeit, irgendwie war sie auch ein grosses Theater, aber das ist ohnehin Lochers Leidenschaft. Und schliesslich fand er so etwas wie einen ersten Ruhepol in seinem Leben, eine Richtung, die er einschlagen wollte. Locher begann ein Regiestudium an der ZHdK. Ein Stipendium ermöglichte ihm später den Aufenthalt in den USA. Am Amercian Film Institute in Los Angeles verfeinerte er seinen filmischen Blick auf die Welt. Während dieser Zeit arbeitete Locher bereits an «Tempo Girl». Der Film wurde schliesslich sein Abschluss-Projekt für den Regie-Bachelor an der ZHdK und tourte bereits durch diverse Festivals von San José bis Rom. Seinen Einstand gab Regisseur Locher mit «Tempo Girl» an den Solothurner Filmtagen im vergangenen Januar. Und Locher hat jüngst sogar geheiratet, eine Familie gegründet. Für einen, der sein Leben im Durchgangs-Modus lebt, ist das fast ein kleines Wunder. «Es braucht einfach Entschlossenheit und natürlich enormes Glück», sagt Locher. Sein Goldzahn blitzt in der Sonne. 

Den Trailer zum Film gibts hier
                               
"Tempo Girl" läuft zurzeit im Kino Riff Raff.

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