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Porträt

Gehören zu den Urgesteinen der Zürcher Gastrolandschaft: Katharina und Max Karrer, die Betreiber des Cafés Mandarin am Stadelhofen. Bild: JS

"Wir führen unser Mandarin mit Herzblut bis zum Schluss"

Von: Jan Strobel

06. Oktober 2015

Gastronomie: Ein Buchprojekt setzt Lebensgeschichten hinter Zürcher Beizen ein Denkmal. Eine davon ist die von Max und Katharina Karrer. Sie betreiben das legendäre Mandarin am Stadelhofen. Wir besuchten das Wirtepaar in seinem Café, das 2017 aus dem Stadtbild verschwinden wird.

«Es war eine schöne Zeit», sagt Katharina Karrer, und sie lächelt zärtlich zu ihrem Mann hinüber, «aber alles Schöne hat einmal ein Ende. Das ist der Lauf der Dinge.» Max Karrer nickt seiner Frau zu. «Du bist 60, ich bin 65. Das Gastgewerbe ist eine Welt, die alles von einem abverlangt. Irgendwann ist es Zeit, aufzuhören. Wir werden das Mandarin mit einem guten Gefühl schliessen. Die Geschichte wird mit uns enden – als unser eigenes Lebenswerk, ohne,  dass es ein Nachfolger eventuell ruinieren könnte.»

Liebe und Gelassenheit
Die Gelassenheit des Wirtepaars Karrer überrascht den Interviewer. Sie ist fast schon von einer buddhahaften Seelenruhe. Da ist keine Nostalgie, kein Anklammern an vermeintlich bessere alte Zeiten, keine Verbitterung, die den Blick auf die Welt vernebeln würde. Die Liebe zueinander, das Engagement, das Herzblut – das sind die Ingredienzen der Tinte, mit der die Karrers die Geschichte des Mandarins seit über 30 Jahren schreiben, dieses Cafés, das der Gegend um den Stadelhoferplatz ihr ganz eigenes Gepräge gibt. Jeder Zürcher kennt die orangen Schriftzüge mit ihrem unverwechselbaren 70er-Charme. Viele teilen mit dem Mandarin prägende Erinnerungen: das erste Rendez-vous oder umgekehrt – das lange gefürchtete Trennungsgespräch, bei dem das Marmormuster des Bistrot-Tischs hinter Tränen zu einem rötlich-braunen Aquarell verschwimmt.

Bis vor zwanzig Jahren begleitete das alles noch das Plätschern eines kleinen Brunnens, der mitten im Café stand. Darin schwammen Goldfische, und über allem thronte ein Buddha in unerschütterlicher Ruhe und Selbstbezogenheit, bis ihn die städtischen Bau- und Hygienevorschriften zu Fall brachten. Heute steht dort die Kuchenvitrine, der Buddha  wirkt von einer Ecke beim Buffet aus auf das Leben im Café.

Die Geschichte der Karrers und des Mandarins ist nicht zuletzt auch die Geschichte des Wandels in der Zürcher Gastrolandschaft, dem besonders während der letzten 20 Jahre einige Institutionen zum Opfer gefallen sind (siehe Box). Zu Beginn der 80er-Jahre war Max Karrer Betreiber des Cafés Lord am Kreuzplatz, in dem sich heute das Starbucks befindet. «Ich war ein unternehmungslustiger, geschäftstüchtiger Junggeselle und suchte ein zweites Lokal, das ich betreiben konnte.»

Die Gelegenheit bot sich mit dem Mandarin, 1970 gegründet, dessen Betreiber aber schliesslich Konkurs anmelden musste. Unternehmer Karrer schlug zu und  übernahm 1984 das Lokal an bester   City-Lage.   Fünf   Jahre   später stieg seine Frau Katharina nach einiger Überzeugungsarbeit ins Geschäft ein, die dafür ihren Job bei der Zürcher Handelskammer an den Nagel hing und das Wirtepatent erwarb. Liebe und Überzeugung seien es gewesen, die sie diesen Entschluss fällen liess. «Und plötzlich war ich, die ich mich bis dahin immer in einer ­Bürogemeinschaft bewegt hatte, Chefin eines Gastrobetriebs. Das war eine enorme Herausforderung», erzählt Katharina Karrer. «Meine Frau wurde ins kalte Wasser geworfen. Heute macht sie es besser als ich», lacht ihr Mann.  Sie führte das Café Lord, er das Mandarin. Später kam in Wollishofen das Bistro Mandarin dazu als Dépendance des «Mutterhauses» am Stadelhofen.  

Ihr kleines Gastroreich verlangte den Karrers einiges ab. Ferien lagen kaum drin, an Kinder war nicht zu denken. Private Wünsche mussten zurückstehen zugunsten des Unternehmens. Immerhin zeichnet sich das Mandarin auch dadurch aus, dass es Montags bis Freitags durchgehend bis 23 Uhr und sonntags bis 22 Uhr geöffnet ist. Schon allein das macht es bis heute zu einem ziemlichen Unikum in der Stadt. Dennoch gelingt es den Karrers, gewissermassen eine Grenze zu ihrem  selbst geschaffenen Universum zu ziehen. «Wir sind keine Wirte, die ihr ganzes Leben, also auch die Freizeit, in ihrem Betrieb verbringen. Wir haben das immer klar getrennt, damit wir auch Zeit füreinander haben», sagt Max Karrer. «Das hat uns vielleicht auch unseren Enthusiasmus erhalten.»

Dieser Pragmatismus zeichnet den Lebensweg der Karrers aus, ihre ganze Lebensplanung. Mit der Zeit stiessen sie ihre beiden Zweiglokale ab, um sich nur noch auf das Mandarin zu konzentrieren, das sie trotz sanfter Renovation in seinem charmanten, etwas altmodischen Stil beliessen. Gerade diese ungekünstelte Konstanz hatte das Lokal schliesslich zu der Institution gemacht, die es heute ist. Die Stammgäste sind den Karrers immer treu geblieben. Das Mandarin ist ihr Hafen in einer  Gastrolandschaft, in der eigentlich kaum noch etwas sicher ist. Junge Wirte starten mit viel naiver Verve ins Gastroabenteuer, inszenieren ihr Lokal im gekünstelten Retrostil –und landen nach wenigen Monaten auf dem harten Boden der Realität. Viele werfen das Handtuch, weil der Realismus fehlt, der Businessplan nicht stimmig ist. «Es gibt nicht mehr viele Lokale, bei denen die Rechnung stimmt», ist Max Karrer überzeugt. Wirte, die zu konstanten Grössen in der Gastrowelt werden mit ihren un­verwechselbaren Lokalen – sie scheinen so immer seltener. Manche dieser Beizen oder Cafés ­weichen Coffee-Shops, Fast-Food-Ketten oder Kebabständen. ­Katharina Karrer zeigt in Richtung   der   McDonald’s-Filiale   vor dem Bahnhof Stadelhofen. Bis 2005 befand sich dort das Restaurant O’Henry, auch so eine verschwundene Institution.

Im Juni 2017 werden nun auch die Karrers den Schlüssel abgeben. Dann läuft der Mietvertrag endgültig aus. Die Stadt hat das Haus, Baujahr 1819, aus dem Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte entlassen. Es soll einem Neubau von Star­architekt Santiago Calatrava weichen, zusätzlich werden 1000 neue Veloplätze entstehen. Ob ein neues Café oder Restaurant Teil des neuen Baus sein wird, ist noch offen. Max Karrer leuchtet der Abriss des Mandarin-Hauses aber ein: «Eine umfassende Renovation des alten Gebäudes hätte sich einfach nicht gelohnt, man muss das realistisch sehen, auch wenn es für unsere Stammgäste natürlich sehr traurig ist.» 

Neulich durfte Katharina Karrer dann auch noch einem ganz besonderen Gast einen Kaffee servieren – im Mandarin sass an diesem Nachmittag kein Geringerer als Santiago Calatrava.

Das Buchprojekt:
Autorin Daniela Kuhn widmet in ihrem Buch «Meine Beiz. 12 Lebensgeschichten aus Zürcher Gaststuben» Lokalen, die dem Zeitgeist trotzen, eine Hommage. Unter den zwölf Porträts finden sich neben den Karrers vom Mandarin zum Beispiel auch die Persönlichkeiten hinter dem Café Schlauch oder dem Ferlin. Erscheinen soll das Werk im November im Limmat-Verlag. Wer Daniela Kuhn bei ihrem Projekt finanziell unter die Arme greifen will, kann dies mit einem Beitrag auf der Crowdfunding-Plattform Wemakeit.ch tun.

Während der letzten 20 Jahre fiel so manche Zürcher Institution dem Zeitgeist zum Opfer. Bereits 1994 schloss das renommierte Feinschmecker-Restaurant Agnes Amberg beim Pfauen seine Tore. Im Jahr 2000 verabschiedete sich die Olga-Bar an der Oberdorfstrasse 13 aus der Gastrolandschaft. 2003 folgte ihr das Boulevard-Café St. Gotthard. Zwischen 2010 und 2015 setzte in Zürich eine rasante Verdrängung ein. Den Startschuss gaben das Ende des legendären Tessinerkellers und der Casa-Bar 2010. Zwei Jahre später kam das Aus für das Café El Greco am Limmatplatz. 2013 gab das beliebte Café Zino beim Stauffacher seinen Betrieb auf. Es folgten das Restaurant Bierfalken und die Pigalle-Bar. 2014 schliesslich verschwanden das Restaurant Bahnhof Stadelhofen und das Restaurant Mühletal an der Limmatstrasse. 

Welchem Lokal trauern Sie nach? Schreiben Sie es uns auf: echo@tagblattzuerich.ch

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