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Reportage

Die Bürkliterrasse mit Ganymed-Skulptur von Hermann Hubacher – der beschauliche Teil des Bürkliplatzes. Bild: Helena Wehrli

Als Zürich zur Grossstadt wurde

Von: Urs Hardegger

28. Oktober 2014

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt in einer Serie jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Bürkliplatz.

Mit oder ohne Ganymed? Vor dieser Entscheidung stehen Touristen, wenn sie auf der Bürkliterrasse ihr obligates Erinnerungsbild knipsen. Einen stimmungsvollen Hintergrund bekäme man auch ohne Hermann Hubachers Bronzeskulptur vors Objektiv. Andererseits vermag vielleicht der nackte Jüngling, der gerade von Zeus, in Gestalt eines Adlers, in den Götterhimmel entführt wird, dem Foto den besonderen Reiz zu geben. Stolz streckt er seinen rechten Arm in den Himmel, was er uns Zürchern damit wohl sagen will?

Es war ein grosser Tag, im Juli 1887, als die Quaianlage mit einem Volksfest eingeweiht wurde. Ein Kinderumzug, eine internationale Regatta, Feuerwerk und ein Bankett mit 200 geladenen Gästen standen auf dem Programm. Viel Anerkennung erhielt Stadtingenieur Arnold Bürkli (1833–1894). Sein Name werde mit dem Quai für immer verbunden sein, bekam er zu hören.

Zürich hatte mit der grossen Kelle angerichtet, um sich aus seinem provinziellen Mief zu befreien. Wie das Paris des Georges Eugène Hauss­mann sollte das «West-Ende» in neuem Gewand erstrahlen, wollte die Stadt mit einem Prachtboulevard, stattlichen Verwaltungsgebäuden und einer grossstädtischen Quaianlage beeindrucken. Sechs Jahre dauerte die Bauzeit, über 200 000 Quadratmeter Land wurden dem See abgerungen, bis die «Schauseite der Stadt» dem Repräsentationsbedürfnis des Bürgertums entsprach.

Herkunft als wichtigstes Kapital

Wie kein anderer steht Bürklis Name für Zürichs Gründerzeit, denn er war eine der treibenden Kräfte des neuen Zürich. Sein Werdegang ist nicht besonders aufregend, Ingenieursgehilfe, Techniker, Bauführer und Studium an der Bauakademie in Berlin. Sein wichtigstes Kapital war seine Herkunft, denn er gehörte zu jenen angesehenen Zürcher Familien, denen sich viele Türen auf wundersame Weise öffneten. Die Bürklis verdienten ihr Geld mit Seide und mischten aktiv in der Zürcher Politik mit.

Was den neuen städtebaulichen Ansprüchen nicht mehr genügte, hatte seine Existenzberechtigung ver­loren. Deshalb musste das Chratzquartier mit seinen verschachtelten Altstadthäusern und engen Gässchen weichen. Viele kleine Handwerksbetriebe, Steinmetze, Kürschner, Wäscherinnen, Näherinnen und Wirtinnen verloren ihre Bleibe. Ein richtig grossstädtischer Platz war stattdessen am See entstanden, so wie es sich Bürkli gewünscht hatte. Vom Stadthaus bis zur halbrunden Seeterrasse dehnte sich der «Stadthausplatz» aus, wie er damals genannt wurde. Doch was gross­städtisch begann, endete im Klein­karierten. Der Neubau der Schweizer Nationalbank und fünf Fahr- und zwei Tramspuren haben den Platz zerkleinert und zer­schnitten.

Alle paar Jahre tauchen wieder Pläne für ein Seerestaurant auf. Schon 1947 gab es Bestrebungen, in den 1970er-Jahren schmetterten die Stimmberechtigten das Seeparkprojekt von Architekt Werner Müller an der Urne ab. Nun will der kantonale Baudirektor Markus Kägi erneut mit einem Panoramarestaurant das Seebecken «bereichern».

Was wohl Ganymed von solchen Ideen halten würde? Na klar, erst jetzt dämmert es mir. Sein Handzeichen bedeutet: Stopp, kein weiteres Verstellen des Seeufers! Ein unmissverständliches Veto gegen das geplante Unding legt der «Schönste aller Sterblichen» ein. Ganymed, ich bin voll und ganz deiner Meinung.

Quellen:
Baumann Walter: Arnold Bürkli 1833–1894. Aufbruch in eine neue Welt, 1994. Hochbaudepartement Zürich: Fast wie in Paris. Zürich 2001.

Lesen Sie am 12. November den Beitrag über die Hammerstrasse.

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