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Reportage

Stadtrat Daniel Leupi (links) gratuliert am Wahlsonntag seinem Parteikollegen Martin Neukom (Grüne) zur Wahl in den Regierungsrat. Der Auftakt zu einer konstruktiveren Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land? Bild: JS

Am Wahltag schien die Zürcher Sonne nicht für jeden

Von: Jan Strobel

26. März 2019

Wahlsonntag: Im Konferenzzentrum Walcheturm spielten sich an den Regierungs- und Kantonsratswahlen die Freuden und Dramen der Politbühne ab. Die Stars des Nachmittags hiessen Martin Neukom von den Grünen und Natalie Rickli von der SVP. Düster hingegen zeigte sich die Stimmung bei den Freisinnigen.

Sonniger hätte dieser Sonntagnachmittag über Zürich nicht sein können, aber im Konferenzzentrum Walcheturm ist gegen 14 Uhr in den  Gesichtern der Freisinnigen von Schönwetterstimmung keine Spur. Vor ein paar Minuten ging die erste Hochrechnung zu den Regierungsratswahlen durch die Nachrichtenkanäle, und Hans-Jakob Boesch, Präsident der FDP Kanton Zürich, ringt sich vor den Kameras ein Lächeln wie eine eiserne Klammer ab.  Schon dräut das Debakel für seine Partei über jedem Gespräch, das er führt. Im Regierungsrat wird die FDP einen Sitz verlieren, auch wenn Thomas Vogel eigentlich das erforderliche Mehr erreicht hätte, aber als «überzählig ausscheiden» wird. Für Wahlkämpfer ist diese kühle Formulierung fast noch eine schlimmere Ohrfeige. Journalisten rätseln bereits, ob Vogel, der tragische Verlierer, sich überhaupt den Kameras im Konferenzzentrum stellen wird.

Boeschs Parteikollegin und Nationalrätin Regine Sauter versucht sich dennoch in Optimismus, die Emotionen gleichsam wieder zurück auf den Boden der politischen Realität zu bringen und einige Pflöcke als Leitlinien einzuschlagen. «Natürlich ist das jetzt eine Zitterpartie», sagt sie, «aber wir werden auch weiterhin eine bürgerliche Regierung im Kanton Zürich haben, das ist klar.» 

«Grüner, urbaner, liberaler»
Woher der neue Wind weht, wird allerdings wenig später draussen auf dem Vorplatz deutlich. Dort herrscht jetzt plötzlich Aufregung. Einer der Stars dieses Wahlnachmittags ist aufgetaucht, der Grüne Martin Neukom aus Winterthur, dessen überraschende Wahl in den Regierungsrat zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht. Manche sprechen von einer Sensation, gar von einer Zeitenwende in der Zürcher Politik. Und anders, als die anderen gewählten Kandidaten und Regierungsräte, nimmt Neukom nicht den schnöden Hintereingang ins Konferenzzentrum, sondern stellt sich, besonnt vom Erfolg, den Kameras und Mikrofonen der Medien. Der gerade einmal 32-Jährige ist das smarte Gesicht eines neuen grünen Selbstbewusstseins, beflügelt von der gegenwärtigen Klimaschutzdebatte und den Klimastreiks. Überspitzt könnte man sagen: Der Greta-Thunberg-­Effekt hat auch die politische Landschaft zwischen Dietikon und Andelfingen mitgeformt. Damit gerechnet hat an diesem Nachmittag allerdings niemand, galt doch der Kanton Zürich bislang – sieht man von den Städten Zürich und Winterthur einmal ab – als Bastion des bürgerlichen Lagers.

 «Bass erstaunt» über den Erfolg von Martin Neukom zeigte sich auch Regierungsratskandidat Jörg Mäder von den Grünliberalen, der zusammen mit AL-Kandidat Walter Angst immerhin einen Achtungserfolg hinlegen konnte. 

Draussen empfängt der frisch gewählte Regierungsrat Neukom Gratulationen und Küsschen. Grünen-Präsidentin Marionna Schlatter ist sich sicher: «Wir werden etwas verändern. Bei einer höheren Wahlbeteiligung hätten wir sogar noch mehr zulegen können.» Martin Neukom wirkt nach aussen hin kontrolliert, auch wenn er selbst von seinem Erfolg «überwältigt» wurde, wie er sagt. Seine Wahl sende ein Signal aus nach seinem jahrelangen Einsatz für den Klimaschutz. Auch die Stadt Zürich hat mit Stadtrat Daniel Leupi einen Vertreter geschickt. Das Verhältnis zwischen Stadt und Kanton war gerade während der letzten Monate alles andere als einvernehmlich gewesen. Doch der Wahlsieg des Grünen stimmt Stadtrat Leupi geradezu euphorisch: «Es hat eine Verschiebung stattgefunden», meint er. «Der Kanton ist grüner, urbaner und liberaler geworden. Das ist sehr positiv für die künftige lösungsorientierte Zusammenarbeit zwischen Stadt und Kanton. Das Resultat zeigt, dass andere Verhältnisse gewünscht sind.» 

Mittlerweile sind auch die letzten Wahlkreise ausgezählt. Gegen 17.15 Uhr tritt, fast etwas bescheiden aus einer Nebentür, der neu gewählte Regierungsrat vor die Presse. Medienerfahren sind sie alle, aber ein Mitglied sticht im Blitzlichtgewitter besonders hervor. Natalie Rickli von der SVP ist neben Martin Neukom  der zweite Star des Wahltags. Der Winterthurer Darling der Bürgerlichen gibt sich selbstbewusster als alle anderen den auf sie gerichteten Kameraobjektiven hin, als befände sie sich nicht im gesichtslosen Konferenzzentrum Walcheturm, sondern auf dem roten Teppich der Politprominenz. Ein Stadtzürcher Passant mit Velo und Velohelm, der das Spektakel von der Strasse aus beobachtet, zeigt sich verärgert über den Sieg der SVP-Politikerin und findet unschmeichelhafte Worte. Für manche Städter ist die Winterthurerin eine Projektionsfläche: Attraktiv, weiblich, erfolgreich und bürgerlich, das geht für sie nicht zusammen. 

Derweil hat sich das Gesicht von FDP-Präsident Hans-Jakob Boesch weiter verdüstert. Wie ein Stückchen Winter im sich ankündenden Frühling steht er beim Apéro-Buffet. Zu verdauen gilt es eine weitere schlechte Nachricht: seine Abwahl aus dem Kantonsrat. 

Der Mann mit dem besten Wahlergebnis: SP-Regierungsrat Mario Fehr zog entgegen den Erwartungen an allen vorbei. 

Medienrummel: Der Regierungsrat stellt sich im Konferenzzentrum Walcheturm dem Blitzlichtgewitter. 

Ein bitterer Wahlsonntag: FDP-Nationalrätin Regine Sauter (Zürich) verfolgt mit Hans-Jakob Boesch (Zürich), Präsident der FDP Kanton Zürich, die ernüchternden Resultate der Freisinnigen. Bild: Keystone

Der neue Regierungsrat des Kantons Zürich (v.l.): Jacqueline Fehr (SP, bisher), Martin Neukom (Grüne, neu), Natalie Rickli (SVP, neu), Mario Fehr (SP, bisher), Silvia Steiner (CVP, bisher), Ernst Stocker (SVP, bisher) und Carmen Walker Späh (FDP, bisher). Bild: Facebook

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