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Reportage

«Hier musst du stärker betonen»: Hörspielproduzentin Regina Keller mit Martin. Bild: Sacha Beuth

Auf den Spuren der Schlieremer Chind

Von: Sacha Beuth

04. Juni 2013

Erstmals durften Schüler für die Lernplattform Cleverkids selber eine Hörspiel-CD besprechen und gestalten. Das «Tagblatt» hat eine 6. Klasse aus Höngg ins Tonstudio begleitet.

Ein zum Tonstudio umfunktionierter Keller an der Birmensdorferstrasse. Unruhig rutscht Margareta auf ihrem Stuhl hin und her, wippt mit den Knien und knetet ihre Hände. Die Textpassage scheint gar nicht so schwierig zu sein. Doch wenn die Elfjährige zum «Mann mit der roten Jacke» gelangt, gerät sie ein ums andere Mal ins Stottern. «Ganz ruhig», meint Aufnahmeleiterin und Produzentin Regina Keller von Cleverkids. «Du musst dich nicht beeilen, das ist kein Wettrennen. Lies erst einen Satz vor. Dann machst du eine Pause, in der du still für dich den nächsten Satz liest, und erst danach liest du diesen laut vor.» Margareta tut, wie ihr geheissen, und tatsächlich klappt es dieses Mal. Doch leider hat Tontechniker Nik Gehring vergessen, die Aufnahmetaste zu drücken, und so muss Margareta noch ein weiteres Mal ihren Part ins Mikrofon sprechen. Dann ist die Szene im Kasten, und die Schülerin atmet erleichtert auf. «Das war nicht einfach, aber Du hast das sehr gut gemacht», lobt Keller.

Begonnen hatte alles einige Monate zuvor, im Januar 2013. Cleverkids hatte einen Projektwettbewerb für eine CD mit 15 Hörspielen lanciert und Schulklassen in der Deutschschweiz über Medien und Internet aufgefordert, eine Geschichte mitsamt Drehbuch und Cover beizusteuern. «Es gab nur zwei Bedingungen: Das Stück musste Sequenzen auf Französisch beinhalten und durfte nicht mehr als 10 000 Zeichen aufweisen», erklärt Regina Keller.

Ihr damaliger Lehrer stellt den Sechstklässlern des Schulhauses Riedhof in Höngg das Projekt vor und fragt, ob sie mitmachen wollten. Die Resonanz fällt unterschiedlich aus. Während sich die eine Hälfte der Schüler ziert, sind Zoë, Lara und Cedric sofort Feuer und Flamme und regen ihre besten Freunde zum Mitmachen an. «Mich mussten sie nicht mal überreden. Ich will sowieso einmal Schauspieler werden», erklärt Martin.

Mit Unterstützung des Lehrers kreieren sie eine Story, in der fünf Schüler zu einem Sprachaufenthalt nach Paris reisen, dort bestohlen werden, den Dieb aber mithilfe ihrer französischen Freunde überführen können. «Zuerst wollten wir ja ein blutigeres Stück inszenieren, wo ein Koch erstochen wird. Aber auf Intervention der Mädchen haben wir es gelassen», erzählt Cedric.

Als schliesslich Anfang April der Bescheid eintrifft, dass ihre Eingabe zu den Siegerstücken zählt und aufs Album darf, ist die Freude riesig. Fleissig wird in der Schule, aber auch in der Freizeit einstudiert. «Allerdings gab es manchmal auch Abende, wo wir die Manuskripte weglegten und dann ganz andere Sachen machten», gibt Lara mit einem verschmitzten Lächeln zu. Das ganze Projekt erinnert ältere Semester unweigerlich an die Hörspiele der Schlieremer Chind. Diese sind jedoch den Höngger Schülern – bis auf Zoë – gänzlich unbekannt. Zudem fehlt in ihrem Stück der Gesang. «Das wäre bei einem Krimi wie dem unseren aber auch unpassend», betont Cedric leicht entrüstet.

«Endungen nicht verschlucken»

Während Margareta ihre wohlverdiente Pause antritt, nehmen nun ihre ­Gspäändli das Tonstudio in Beschlag. Während die einen noch etwas Anlaufzeit benötigen, sind die anderen sofort in ihre Rollen geschlüpft. Darunter natürlich Cedric, der äusserst glaubwürdig einen Deutsch sprechenden Franzosen spielt. Das Manuskript mitlesend, verfolgen Gehring, Keller und deren Assistentin Carolin Schär und unterbrechen sofort, wenn etwas falsch läuft. «Pass auf, dass du die Endungen nicht verschluckst!» «Näher ans Mik, sonst schimpft der Nik.» «Du musst die Wörter ‹un› und ‹iphone› verbinden!» Gerade Keller, hauptberuflich Französischlehrerin und in Frankreich wohnhaft, achtet auf die korrekte Aussprache der Franz-Vokabeln.

Nachdem die Sprechrollen sitzen, müssen noch die Nebengeräusche aufgenommen werden: Geschwafel und Geklimper in der Schulpause, Sprachengewirr in der Notre-Dame usw. Dann, nach drei Stunden Arbeit, ist es vollbracht. Erschöpft, aber glücklich gönnen sich die Schüler im nahen Migros-Restaurant eine Erfrischung, bevor sie sich auf den Heimweg machen. Ob es ihnen gefallen hat und ob sie wieder einmal bei einem Hörspiel mitmachen würden, will der Journalist zum Abschied wissen. «Aber ja!», kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück.

Auch Regina Keller ist zufrieden. «Wir haben ja schon einige Lernalben herausgebracht, für die wir normalerweise Kinder und Jugendliche gecastet haben. Hier sind die Sprecher reine Amateure mit mal mehr, mal weniger Talent. Da muss man gelegentlich ein Auge zudrücken.» «Oder ein Ohr», wirft Schär lachend ein. Laut Keller läge das Gewicht bei diesem Projekt ohnehin nicht in der Perfektion. «In erster Linie wollen wir bei den Kindern ja Begeisterung für das Französische wecken.» Ihre Erfahrung habe gezeigt, dass so viel mehr haften bleibe, als wenn man die Kinder zum Lernen zwinge. «Ich hoffe, das erkennt auch der Lehrmittelverlag Zürich und nimmt uns in sein Repertoire auf, wenn unser Album im August erscheint.»

Weitere Infos: www.cleverkids.ch 

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