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Reportage

Rauchte ihre erste Zigarette heimlich im Alter von 15 Jahren:

Das Ende einer Lebenslüge

Von: Maja Zivadinovic

04. Juli 2017

RAUCHSTOPP Unsere Kolumnistin Maja Zivadinovic war während 21 Jahren Kettenraucherin. Im Juni 2016 zog sie einen Schlussstrich unter ihre Zigarettensucht. Ein Selbsterfahrungsbericht über den Kampf gegen den inneren Schweinehund.

«Den Tiefpunkt erreichte ich im Jahr 2006, als ich meine erste eigene Wohnung bezog. Ab diesem Moment begann ich, auch nachts zu rauchen. Nicht, dass ich eigens dafür den Wecker stellte, ich wachte sowieso auf, weil ich aufs WC musste. Oder Durst hatte. Oder vergessen hatte, beim Handy den Flugmodus zu aktivieren.

Alles halb so wild, redete ich mir ein. Solange ich ja – eben – den Wecker nicht stellte, um zu rauchen, ist alles easy, beruhigte ich mich. Meinem damaligen Freund, der meiner nächtlichen Raucherei auf die Schliche kam und der mir deswegen ins Gewissen redete, verbot ich harsch den Mund. Irgendwann sterben wir sowieso. Was, wenn ich morgen unters Auto komme? Sowieso und überhaupt: Ein Laster muss okay sein. Und solange ich gerne rauche, kann es mir auch nicht so schaden. Es ist beeindruckend, wie einfach Süchtige Rechtfertigungen formulieren und sich selber belügen.

Den Husten ignorierte ich

Die Wende kam im April 2016. Bei mir wurde eine Schilddrüsenüberfunktion diagnostiziert. Aufgrund dieser musste ich mich im September 2016 einer Operation unterziehen, die mit drei Tagen Spital verbunden war. Meine Ärztin riet dringend, mir das Rauchen abzugewöhnen. Zu dieser Zeit konsumierte ich ein bis eineinhalb Päckli, 20 bis 30 Zigaretten – am Tag. Meine Sucht ging so weit, dass ich Langstreckenflüge mied und stets wusste, welche Bars und Restaurants über bediente Fumoirs verfügten. Die Zigarette, so bildete ich mir ein, gab mir Kraft, wenn ich welche brauchte. Trost bei Kummer und Genuss, wenn es mir gut ging. Den chronischen Husten, der mich schon seit Jahren plagte, ignorierte ich. Auch meine Lungenkapazität, die mich schon nach ein paar Minuten Jogging keuchen liess, nahm ich hin.

Und nun also, an diesem sonnigen Donnerstag im April 2016, sollte ich meiner Sucht abschwören. Meine Ärztin verschrieb mir Nikotinpflaster. Heulend und mit den Nerven am Ende entschied ich, dass ich mir noch ein Wochenende mit Zigaretten erlaube, bevor es am Montag die Pflaster richten sollen. Die letzten drei Tage gönnte ich mir zwei Päckli am Tag. Ich hoffte, dass mir die Glimmstängel in dieser Menge von alleine zu viel würden. Wurden sie nicht.

Als ich am Montagmorgen das erste Pflaster auf meinen Arm klebte, wusste ich, dass das nichts wird. Ich war noch nicht so weit, mich von meinen heiss geliebten Zigaretten zu trennen. Ich schmiss die Pflaster in den Müll und rauchte weiter. Kurze Zeit später blätterte ich mehrere Hundert Franken für eine Rauchstopp-Hypnose hin. Ohne Erfolg. Als ich dann am 12. Juni 2016 tatsächlich meine letzte Zigarette rauchte, wusste ich nicht, dass es die letzte sein würde. Es war ein regnerischer Sonntag, an dem ich mit Bauchweh erwachte. Mich hielt der Zustand nicht davon ab, als Erstes eine zu rauchen. Und dann noch eine. Die zweite Zigarette gab mir den Rest. Ein Hustenanfall und eine Übelkeitsattacke, wie ich sie vorher noch nie hatte, zwangen mich in die Knie.

Mir wurde klar: Das will ich nicht mehr. Ich will nicht mehr Sklavin meiner Sucht sein. Will nicht mehr, dass sich alles um die nächste Zigarette dreht. Ich will keine Panik vor dem Spital haben, weil ich nicht weiss, wie ich an den Tagen nach der Operation ohne Rauchen auskommen soll. In einer schon fast beängstigenden Ruhe verbannte ich Aschenbecher, Feuerzeuge, Zündhölzli und mein angebrochenes Päckli in den Müll, den ich sogleich rausbrachte. Dann lud ich mir eine Rauchstopp-App runter, die mir jederzeit aufzeigte, wie viele Zigaretten ich nicht geraucht und wie viel Geld ich gespart habe und was alles Positives in Sachen Gesundheitsfortschritt passiert.

Angst vor der Lust

Trotz des Befreiungsschlags hatte ich Angst. Vor der Lust aufs Rauchen, vor dem nächsten Tag, der nächsten Krise, dem nächsten Essen ohne Verdauungszigarette, vor der nächsten Situation, die mich nervös macht und während der ich mich nicht an der Zigarette festhalten kann. Dann kam der nächste Tag. Die nächste Krise. Die Lust. Die Leere, die das Wegbleiben der jahrelangen Gewohnheit mit sich brachte. Und die Erkenntnis, dass das Fehlen der Zigaretten nicht nur nicht schlimm, sondern befreiend und erstaunlich einfach ist. Und das mit jeder nicht gerauchten Zigarette das Selbstbewusstsein, die Fitness, der Geschmackssinn, die Gesundheit gewinnen.

Am 12. Juni 2017 war es um 17.09 Uhr dann so weit: Mein erstes Jahr ohne 7300 Zigaretten war geschafft. Ich habe 2393 Franken gespart. Das ist viel Geld. Aber wirklich unbezahlbar sind Lebensqualität und Freiheit, die ich als Ex-Raucherin gewonnen habe. Heute ist es mit der Zigarette wie mit der alten Liebe: Manchmal, wenn ich an sie denke, fehlt sie mir. Dann wird das Herz ein kleines bisschen schwer und wehmütig. Bis es sogleich wieder federleicht schlägt und sich daran erinnert, dass es ihm noch nie so gut gegangen ist wie just in dieser Sekunde.»

Interview zum Thema:

«Eine Zigarette reicht, um alte Muster zu aktivieren»

Der Lungenfacharzt und Rauchstoppspezialist Macé Schuurmans vom Universitätsspital Zürich beantwortet im Interview die wichtigsten Fragen rund um das Rauchen und den Weg aus der Sucht.

Es gibt viele Arten, mit dem Rauchen aufzuhören. Welche halten Sie für besonders effizient, und wovon raten Sie ab?

Die vielversprechendste Art, mit dem Rauchen aufzuhören, ist wiederholte professionelle Beratung in Kombination mit Rauchstoppmedikamenten. Die meisten Rauchenden sind überzeugt, dass es lediglich eine Kopfsache sei, den Rauchstopp umzusetzen. Leider ist dieses Konzept für die Mehrheit in hohem Masse mit Misserfolg assoziiert. Wenn man diesen «Spontanaufhörversuch» einmal versucht und es nicht funktioniert hat, dann ist es Zeit für professionelle Hilfe.

Warum werden viele schnell rückfällig, und warum greifen Ex-Rauchende nach Jahren wieder zur Zigarette?

Obwohl der körperliche Entzug nach wenigen Wochen weitgehend abgeschlossen ist, kann die psychische Abhängigkeit dazu führen, dass erneut zur Zigarette gegriffen wird. Hier helfen Beratungsgespräche, in denen solche Situationen thematisiert und nach Handlungsalternativen gesucht wird. Besonders bei starkem Stress oder unter dem Einfluss von Alkohol kann es zum Rückfall kommen.

Stimmt es, dass das Konsumieren einer einzigen Zigarette unweigerlich zum Rückfall führt?

Eine einzelne Zigarette ist ausreichend, um die Abhängigkeit wieder zu wecken und alte Muster zu aktivieren. Wenn man den Rauchstopp erfolgreich und dauerhaft umsetzen will, dann sollte man gar keine Zigarette mehr konsumieren.

Was raten Sie gegen Entzugserscheinungen in den ersten Wochen?

Genügend hoch dosierte Nikotinersatzprodukte. Auch sind Ablenkungen enorm wichtig. Wenn man Lust auf eine Zigarette hat, kann eine neue Routine helfen. Zum Beispiel ein Glas Wasser trinken, ein Bonbon lutschen und Treppensteigen oder Spazieren.

Wie äussern sich physische Entzugserscheinungen, wie psychische?

Im Gehirn führt das Nikotin zur Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin, was zu Glücks- und Belohnungsgefühlen führt. Wenn die Zufuhr von Nikotin unterbrochen wird, kommt es zu Reizbarkeit, Nervosität, gesteigertem Appetit, Schlafstörungen oder Depression. Das Maximum an Entzugssymptomen ist nach zwei bis drei Tagen erreicht. In der Regel ist die körperliche Suchtproblematik nach vier Wochen überstanden. Die psychische Abhängigkeit äussert sich in einem Zwang zum Tabakkonsum, wobei ein starkes Rauchverlangen und häufige Gedanken an die Zigarette auftreten. Das Rauchverlangen kann auch Jahre nach dem Rauchstopp noch in bestimmten Situationen auftreten.

Wie können wir Jugendliche für die Gefahren des Rauchens sensibilisieren?

Wichtig ist, das Nichtrauchen als gesellschaftliche Norm zu etablieren. Dies wurde über Jahre als Ziel der Tabakprävention angestrebt und grösstenteils erreicht. Die neueren Entwicklungen mit zahlreichen zigarettenähnlichen Produkten wie E-Zigaretten unterwandern diese Norm zunehmend. Hier wäre ein deutliches Zeichen der Politiker gefragt. Leider ist davon momentan nichts feststellbar. Die Schweiz hat die Rahmenkonvention der WHO als eines der wenigen entwickelten Länder nicht ratifiziert.

Ich habe vor einem Jahr meine letzte Zigarette geraucht. Was ist seit diesem Zeitpunkt körperlich bei mir passiert?

Nach wenigen Stunden bis Tagen ist die Konzentration von Kohlenmonoxid, einem Zellgift, wieder normalisiert und das Nikotin nicht mehr nachweisbar. Nach einem Jahr ist das Risiko eines Herzinfarkts halbiert. Nach 15 Jahren ist dieses Risiko wieder auf dem Niveau der Nie-Rauchenden. Nach 10 Jahren ist das Lungenkrebsrisiko halbiert. Das Risiko für Lungenkrebs sinkt jedoch nie auf das Niveau von Nie-Rauchenden.

Können Sie einige Zahlen und Fakten rund ums Rauchen nennen?

25 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren rauchen. Bei den Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren liegt dieser Anteil bei hohen 24 Prozent. 9500 Personen sterben jährlich an den Folgen des Rauchens. Nicht zuletzt spielt das Rauchen auch eine grosse Rolle bei psychiatrischen Erkrankungen, wobei das Rauchen selbst als Suchterkrankung eingestuft wird.

Weitere Infos unter:
www.lunge-zuerich.ch/rauchstopp
www.suchtmonitoring.ch

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