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Reportage

Die flammenden Geschosse entwickeln im Kern bis zu 2500 Grad Hitze. Bild: PD

Der Gerichtsfall

Von: Isabella Seemann

30. April 2013

Fussball, Fackeln und Fanatismus

Radovan* sitzt auf der Anklagebank, als müsste er schon wieder mit einem schweren Treffer der gegnerischen Mannschaft rechnen. Er ist niedergeschlagen, fühlt sich angegriffen, fast genauso wie vor anderthalb Jahren, als GC-Fans die Flagge seines geliebten FCZ anzündeten. Immerhin hagelt es diesmal, bei der Verhandlung am Obergericht, keine Petarden, sondern nur Fragen. «Nun sagen Sie, wie haben Sie es mit dem Fussball?», stellt der Oberrichter als Erstes die Gretchenfrage.

Er muss die Frage ein paar Mal wiederholen und das Mikrofon lauter stellen. Radovan ist schwerhörig. Seit seinem Stadionverbot interessiere ihn Fussball kaum noch, und er treffe quasi niemanden mehr vom Fanclub. «Dieses Umfeld ist schlecht für mich», sagt er. «Ich gehe den Leuten aus dem Weg, sie stiften einen nur zum Blödsinn an.»

Dann stieg die Anspannung
Fussball war Radovans Leidenschaft und sein Lebensinhalt. Er erlebte Auf- und Abstiege mit seinem Lieblingsclub, dem FCZ. Seit seiner frühen Jugend war er in der Szene, hatte eine Saisonkarte. Ehrensache, dass er auch beim Derby FCZ - GC am 2. Oktober 2011 im Letzigrundstadion dabei war. Die Stimmung unter den Anhängern war gerade noch gelassen, dann aber stieg die Anspannung. Eine Provokation gegen einen gegnerischen Fan in der aufgeheizten Atmosphäre eines Stadions kann wirken wie der Schmetterlingsflügelschlag, der die Welt ins Chaos stürzt. Eine Provokation zurück. Und schon ist eine Massen­keilerei im Gange.

GC hatte soeben das 2:1 erzielt, da zündeten seine Fans eine FCZ-Fahne an. Radovan geriet darob dermassen in Rage, dass er zusammen mit anderen FCZ-Anhängern vermummt aus der Südkurve zur Osttribüne in Richtung des Fanblocks der Hoppers stürmte. Panik brach aus. Dann passierte das Unvorstellbare. Eine Feuerdusche prasselte auf unschuldige Kinder, Frauen, Familien. Die flammenden Geschosse entwickeln im Kern bis zu 2500 Grad Hitze, brennen rund 60 Sekunden lang und können nicht gelöscht werden, weder durch Ersticken noch durch Ein­tauchen in Wasser. Diese Seenot­rettungsfackeln, auch als Bengalos bezeichnet, fallen unter das Sprengstoffgesetz und sind in Stadien verboten. Ein Ausweichen wäre in der dicht gedrängten Menge nicht möglich gewesen. Die Schutzengel hatten alle Hände voll zu tun. Eine Person wurde nur gering verletzt und kam mit kleinen Hautrötungen davon.

In den darauffolgenden Tagen veröffentlichten Medien die Fotos der Bengalo-Chaoten. Radovan stellte sich. Entsetzen und Empörung der Öffentlichkeit über die «Schande von Zürich» schlugen über dem Angeklagten zusammen. Vor einem Jahr wurde er vom Bezirksgericht wegen Gefährdung des Lebens, versuchter einfacher Körperverletzung, mehrfacher Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz sowie wegen Verstosses gegen das Vermummungsverbot zu zwei Jahren Freiheitsentzug bedingt verurteilt.

Radovan und sein Verteidiger legten Berufung ein. Mehr als die Gretchenfrage will Radovan aber nicht beantworten. «Bedauerlich, hätte ich doch noch so viele Fragen an Sie gehabt», sagt der Richter. Er wollte von ihm wissen, ob Fans wie seinesgleichen dem FCZ nicht schadeten? Er denke auch an das Geld, das die Clubs wegen des Verhaltens ihrer Fans bezahlen müssten. Und ob es dem Wunsch des FCZ entspreche, wenn sich seine Fans auf der Anklagebank wiederfänden? Indes, die Fragen bleiben unbeantwortet. Radovans Schweigen ist nicht ohne Risiko, wenn auch sein Recht.

«Ich liess mich hinreissen»
Der 25-Jährige hat ein offenes, freundliches Gesicht, kleidet sich gepflegt, zwei Kolleginnen begleiten ihn ans Gericht. Intelligent, sympathisch und vernünftig, so beschreibt ihn auch der Richter. Radovans Chefin lobt ihn im Arbeitszeugnis für seine Zuverlässigkeit und Konfliktfähigkeit. Man kann sich gut vorstellen, dass der Briefträger ein guter Angestellter und braver Sohn ist. Er wohnt noch zu Hause bei der Mutter.

Was sucht einer, der aussieht wie er, in dieser Szene? «Na ja, was soll ich dazu sagen», sagt Radovan, «das ist schon richtig, ich hätte das ­niemals tun dürfen, das war eine grosse Dummheit. Ich liess mich hinreissen. Das tut mir unendlich leid.» Dann gibt er das Wort seinem Pflichtverteidiger. Der will diesen «blödsinnigen» Fackelwurf als versuchte einfache Körperverletzung qualifiziert sehen und wehrt sich gegen die Auffassung, es handle sich um Gefährdung des Lebens oder gar versuchte schwere Körperverletzung. Es sei fast nichts passiert, auch könnten Kleider heute nicht mehr so leicht brennen. Die Gefahr einer schweren Körperverletzung habe nie bestanden.

Dem stimmt das Obergericht nicht bei. Das Risiko, eine solche zu verursachen, sei gross gewesen. Man müsse sich das vorstellen: Da steht einer unten auf dem Rasen, er sieht nur die Köpfe auf der Tribüne, alle haben ihm das Gesicht zugewandt, und dann wirft er eine brennende Fackel in die Menge. «Hätten Sie ein Auge getroffen, wäre es weggeschmolzen, das Gesicht entstellt, die Haare wären in Brand gesteckt worden», sagt der Richter vorwurfsvoll. «Und das alles, weil Sie sich provoziert fühlten, als jemand einen Fetzen Stoff anzündete. Ich verstehe diese Fankultur nicht.» Die zwei Richter und die Richterin schütteln fassungslos den Kopf.

Das Obergericht bestätigt das Strafmass der Vorinstanz, eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren, allerdings stuft es die Tat als schwerer ein, nämlich als versuchte schwere Körperverletzung. Die Berufung hat nichts genützt. Radovan und sein Verteidiger sind als Verlierer vom Feld gegangen. Aber vor Bundesgericht wird es noch ein Rückspiel geben.

* alle Namen geändert

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