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Reportage

"Wollten Sie denn mit dem Diebstahl Geld verdienen?", fragt der Richter. "Was kann man da verdienen?", fragt der Dieb zurück. Bild: PD

Der Gerichtsfall: Mit einem präparierten Mantel auf Diebestour

Von: Isabella Seemann

06. Mai 2014

Das Bezirksgericht macht kurzen Prozess, um einen dreisten rumänischen Trick- und Taschendieb aus dem Verkehr zu ziehen.

Taschen-, Laden-, Trick- und andere Diebstähle haben in der Stadt Zürich in den vergangenen fünf Jahren markant zugenommen, sagt der 2013 vom Polizeidepartement veröffentlichte Bericht zur allgemeinen Sicherheitslage. Die Verdoppelung sei nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Kriminaltourismus aus Osteuropa sowie der Zuwanderung von Maghrebinern über die Asylschiene zu erklären. Prozentual am meisten angestiegen sind unter den Delikten gegen das Vermögen der Entreissdiebstahl und der Raub. Verwunderlich ist das nicht, die Verwahrlosung der Sitten schreitet auch in der Diebstahlbranche voran. Es ist einfacher, einer alten Frau die Handtasche zu entreissen, sie zu Boden zu schubsen und davonzurennen, als jemandem unbemerkt die Rolex vom Hand­gelenk zu stibitzen. Zu Ersterem reicht Rohheit, zu Letzterem braucht es Geduld und Geschick, Talent und Training, das Witterungsvermögen eines hochgezüchteten Jagdhundes. Und Einfallsreichtum.

Nicht ohne Grund hat es der ­Taschendieb zur literarischen Figur gebracht, beispielsweise in Stefan Zweigs Novelle «Unvermutete Bekanntschaft mit einem Handwerk». Wie deren Protagonist war vielleicht auch der eine oder andere Bürger selber schon einmal nahe dran, die Fingerfertigkeit und Eleganz, mit der er, ohne es zu merken, bestohlen wurde, als künstlerische Leistung zu würdigen, hätte er als Opfer dieser Kreativität nicht zugleich auch den ganzen Ärger des Verlustes und die Scherereien mit Versicherungen ­gehabt.

Eine kreative Idee
Die Gebrüder Lacatus* gehören nicht zu den internationalen Spitzenkräften der Zunft, aber – das muss man ihnen zugestehen – sie betrieben die Besitzergreifung fremden ­Eigentums ohne Gewalt. Sie hatten sogar eine kreative Idee, auch wenn sie diese dilettantisch umsetzten. Sie schnitten die Innenseiten ihrer Manteltaschen so auf, dass die Hand, von aussen hineingesteckt, innen frei und unter dem Schutz des Stoffes zugreifen konnte. Gleichzeit hielten sie zur Ablenkung mit der anderen Hand das Handy ans Ohr und telefonierten angeregt. Als Revier hatten die Gebrüder den Hauptbahnhof auserkoren. Zumeist ist der Betrieb hier hübsch unübersichtlich, die einen schleppen ihren Rucksack auf der Rückseite, die anderen schieben den Kofferwagen, Pendler springen über herumstehende Taschen, junge Paare zärteln, alte zanken. Dazu verursachen diverse akustische Signale permanent atmosphärische Störungen der Konzentration.

An dieser kurzweiligen Stätte hielten sich die Langfinger gerne auf. Von den beiden gebürtigen Rumänen, in Italien wohnhaft, ist in der Verhandlung nur einer zu sehen, denn wenn sie auch im Team stehlen, verurteilt wird getrennt. Lacatus Nummer 1 macht ganz und gar nicht den Eindruck eines wendigen, gemeinen Taschendiebs. Er ist 42, älter aussehend, gedrungen, mit schlechtem Gedächtnis für sein Geburtsdatum, aber von solider Erscheinung, trägt korrekt geschnittenes Haar und Hosen von gutem Stoff. Er hat einen Mercedes, eine Frau und ein Kind. Arbeit hat er nicht.

Er verliest eine Erklärung: «Ich gebe die mir zur Last gelegten Taten zu, bereue diese. Ich entschuldige mich für die Taten und bitte um eine milde Strafe.» Lieblos, aber berechnend. Wer alles zugibt, darf hoffen. Der erste Zugriffsversuch ging leer aus. Ausersehen war ein grüner über einen Gepäckwagen gehängter Parka, der Besitzer holte sich vielleicht ein Bier. Unser Bruder Nr. 1, eine Hand am Handy, eine in der aufgeschlitzten Tasche des blauen Regenmantels, griff in den Parka. Da war nichts zu holen. Sein Bruder hatte mehr Glück. Er wurde in einem Sommerjackett fündig, das über ­einer Stuhllehne hing: Ein Portemonnaie mit 700 Franken und etlichen Bankkarten wechselten den Besitzer. Unser Mann fungierte derweil als «Abdecker», sass an der Bar, trank Weisswein, spähte in die Gegend und übernahm schliesslich die Beute.

«Das ist doch alles ganz normal»
Die beiden waren gerade dabei, ein Taxi zu besteigen, als Polizisten sie am Kragen packten und hinauszerrten. So erzählt es unser Bruder. Weshalb er, der Gewalt doch verabscheut, nicht umhin konnte, sich zu wehren. Er schlug, heisst es in der Anklage, nach dem Polizisten und beschimpfte ihn. Was ihm nicht zum Vorteil gereichte. Nachteilig hatte sich auch ein Satz aus der polizeilichen Vernehmung ausgewirkt, der den Weg in die Anklageschrift gefunden hatte: Das sei doch alles ganz normal, so würde man sich eben sein Geld verdienen.

Gewerbsmässiger Diebstahl, sagt da der Staatsanwalt, das verschärft die Strafe. «Wollten Sie denn mit den Diebstählen etwas verdienen?», erkundigt sich der Richter. «Was kann man da verdienen?», fragt der Dieb nun zurück. «Ich verdiene nur Ärger damit.» Das ist wahr, er ist einschlägig vorbestraft, er wurde in der Bewährung rückfällig, nun muss er wegen mehrfachen Diebstahls sowie Versuchs und Gehilfenschaft dazu, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, rechtswidrigen Aufenthalts und mehrfacher Missachtung einer Eingrenzung für 24 Monate ins Gefängnis. Da trifft er seinen Bruder.

Vielleicht inspiriert sie die Abgeschiedenheit ja zu neuen Einfällen. Denn die präparierten Mäntel der Gebrüder Lacatus wurden von der Polizei sichergestellt und werden in der Asservatenkammer aufbewahrt, solange sie als Beweismittel benötigt werden. Nach Abschluss des Strafverfahrens werden sie vernichtet. Der Angeklagte verzichtete auf die Herausgabe des Mantels.                       

* Alle Namen geändert

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