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Reportage

Beat M. entzog sich der Unterhaltszahlungen immer wieder. Warum, will der Richter wissen. «Wegen der Heizung», sagt Beat M.

Der Gerichtsfall: Wenn der Vater keinen Unterhalt bezahlt

Von: Isabella Seemann

01. April 2014

«Vernachlässigung von Unterhaltspflichten»: Zwei säumige Alimentenzahler stehen vor Gericht – und bekommen einen Denkzettel verpasst.

Im Bezirksgericht wird im Stundentakt verhandelt. Um acht der Drogentransport aus Lissabon, um zehn ein diebischer Junkie, der am Tatort einschlief, und im Saal nebenan eine Clubmesserstecherei. Jede Stunde eine neue Szene, ein anderer Hauptdarsteller. Am Nachmittag stehen gleich zwei Vernachlässigungen von Unterhaltspflichten auf dem Programm. «Das wird eher nicht aufregend», warnt der Gerichtsweibel beim Small Talk in der Lobby. Spröde Materie, Bundesordner voller Akten, pingelige Fahndung nach Zahlen und Daten. Zum Vorschein kommen dann aber doch jene kleinen Dramen, wie sie sich täglich und tausendfach zwischen Menschen abspielen, denen die Liebe abhanden gekommen ist.

Die «undankbaren Gofen»
Dem Angeklagten Beat M.*, 53-jährig, Gärtner, eine teddyhafte Erscheinung, als wäre er nie zum Manne gereift, wollte partout nicht einleuchten, weshalb er seiner geschiedenen Frau und den beiden Töchtern, die er nur noch sporadisch sieht, monatlich Tausende von Franken überweisen sollte, und er entzog sich der Unterhaltszahlungen immer wieder. Warum, will der Richter wissen. «Wegen der Heizung», sagt Beat M., der wieder verheiratet, wieder Vater von nunmehr dreijährigen Zwillingen ist.

Die Auftragslage sei alles andere als rosig, holt er zur Rechtfertigung aus, die Ehefrau arbeite nicht, kümmere sich um die Kinder, da stieg mitten im Winter die Heizung des Einfamilienhauses aus. Beat M. kaufte eine neue. «Das musste sein», sagt er. Es ging nicht, die Alimente zu zahlen. Und dann ging noch die Waschmaschine kaputt, so ging das immer weiter.

Er sagt «man», wenn er von sich spricht. Als wollte er sich distanzieren von den Vorgängen, über die er keine Kontrolle hat. Einmal pfändete man ihm mehr als 5000 Franken. Einmal annullierte man ihm einen Grossauftrag. Und Schulden drückten auch noch, plus Alimentenschulden an die Ex-Frau und die zwei Töchter in der Höhe von 90 000 Franken. Sooft er auch den Rücken krumm mache, er komme nicht hoch. Er schufte und schufte, aber er bleibe mit der Nase am Boden, trägt er larmoyant vor. Der Richter wirft dem erfolglosen Gärtner vor, er hätte eine Anstellung als Facility-Manager oder dergleichen suchen können, was seiner Ausbildung entspricht; damit hätte er ein regelmässiges und höheres Einkommen erlangen können. Aber wozu sich sein eigenes Leben ruinieren, um der «Alten» und den «undankbaren Gofen» monatlich Tausende Franken zu überweisen, wo die Ex doch jetzt einen neuen Mann habe, einen Banker gar, und man wisse ja, wie viel die verdienen, sagt Beat M. bockig. Okay, es sei zwar nur eine Wochenendbeziehung auf Distanz, aber zugunsten seines eigenen Portemonnaies schlussfolgert Beat M., dass es sich bei dieser Liebesgeschichte um eine eheähnliche Beziehung handeln müsse, weshalb er weder der Ex noch den Töchtern Alimente schulde – was, dies gleich vorweggenommen, völliger Humbug ist.

Weshalb Beat M. als Inhaber einer Gartenbaufirma früher über ein Einkommen von 9000 Franken monatlich verfügte und dieses nach der Scheidung plötzlich auf 2800 runtersackte, kann er auch nicht überzeugend erklären. Aber er habe Kontakt zur Schuldnerberatung aufgenommen, das heisst, seine Ehefrau hat es für ihn getan. Sie will auch beim Bürokram helfen. Er selber hat jetzt fünfzehn Stunden am Tag zu tun. Er ist Subunternehmer bei einem gros­sen Unternehmen geworden, das Parkanlagen pflegt. Da gibts im Frühling viel zu tun. Der Richter sagt: «Vielleicht bekommen Sie den Kopf doch noch hoch, Herr M.», und verurteilt ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 130 Franken und einer Busse von 1000 Franken.

«Wo nüüt isch, daa isch nüüt»
Im Korridor wartet derweil der nächste säumige Alimentenzahler. Braun gebrannt, kräftig, tätowiert, kurz geschorene Haare und womöglich noch eine Goldkette unterm rosaroten Hemd. Sandro B. hat, so die Anklage, seinem 16-jährigen Sohn Angelo während mehr als drei Jahren die Unterhaltszahlungen verweigert. Er sieht ihn praktisch nie, die Verbindung zu seiner Mutter ist abgebrochen. Mehr erfährt man nicht. Nicht, ob Angelo das Kind einer frühen Liebe ist oder ein Verkehrsunfall, ob die drei mal eine Familie waren oder Angelo bei der Mutter aufwuchs. Es ist nicht von Belang. Das hier ist keine Frage der Emotionen. Es geht um die Pflicht. Als sein Rechtsanwalt erscheint, lässt Sandro B. in einer letzten Beratung vor der Verhandlung trotzig und laut vernehmlich wissen, dass ihm das Urteil «wurscht» sei. Denn, so sagt er: «Wo nüüt isch, daa isch nüüt.»
Wenn Sandro nicht zahlen kann, zahlt das Sozialamt den Unterhalt für Angelo. Das Amt hat herausgefunden, dass Sandro eine Erbschaft in Italien nicht angegeben hat. Von undurchsichtigen Immobilienverhältnissen ist die Rede, von Vermögensübertragungen auf seine Schwester und davon, dass Sandro B. die Annahme eines Fulltimejobs verweigerte, um sich der Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen zu entziehen. «Der Vorwurf ist so weit in Ordnung», gibt Sandro genervt zu.

Doch der Hinweis, er müsse seine Einkommensverhältnisse offenlegen, perlt an dem Angeklagten ab wie das Limmatwasser am Gefieder hiesiger Stockenten. Dabei hat Sandro B. allen Grund, etwas kürzerzutreten. Sein Vorstrafenregister weist unerlaubten Waffenbesitz, Fahren ohne Führerausweis und Ehrverletzung auf. Nun kommt noch Betrug und Vernachlässigung der Unterhaltspflichten dazu. Der Richter verurteilt ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe mit der Auflage, innerhalb eines Jahres seine Schulden beim Amt zu begleichen und laufenden Kindesunterhalt zu leisten, und zu einer Busse von 1200 Franken. «Das müssen Sie aus der heutigen Verhandlung mit nach Hause nehmen», belehrt ihn der Richter, «das Kind kann nichts dafür».                               

* alle Namen geändert

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