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Reportage

Die alten Flarzhäuser mit Fachwerk im untersten Teil des Heuelsteigs erinnern an den ländlichen Ursprung. Bild: Regula Weber

Der steile Weg des Nachtvogels

Von: Urs Hardegger

13. Juni 2017

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt

jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Heuelsteig.

Kennen Sie den Heuelsteig? Wahrscheinlich eher nicht. Denn dieser hält sich am Sonnenberg zwischen den ausladenden Gärten der Häuser vornehm bedeckt. Steig hat mit Ansteigen zu tun. Das wird mir rasch klar, als ich den kurzen Pfad von der Bergstrasse her in Zürich-Hottingen unter die Füsse nehme. Nicht, wie man meinen könnte, von Heuen ist der Name abgeleitet. Heuel soll eine alte Bezeichnung für Eule sein. Wahrscheinlich war auf der 1712 erwähnten Heuelschür eine Eule abgebildet.

Eulen finden sich keine mehr, doch an den ländlichen Ursprung fühlt man sich schon erinnert. Einst gab es hier nichts ausser ein paar Weinbauernhäuser und Rebberge. Davon hat sich im untersten Teil des Steigs eine schmucke Häusergruppe erhalten. Die teilweise über zweihundertjährigen Flarzhäuser lassen erahnen, wie es hier einst ausgesehen hat. Prächtiges Fachwerk ziert eine Fassade. Andere Häuser stellen kunstvoll gestaltete Giebelvor­dächer mit dem legendären «Züri-­Vieri» zur Schau. Landidylle pur, mitten in der Stadt.

Bescheidene Ausstattung

So malerisch die Häusergruppe erscheint, das Wohnen in ihnen war es nicht immer. Lange Zeit gab es in den Häusern kein fliessendes Wasser. Dieses musste am nahen Brunnen geholt werden. Das änderte sich erst in den 1960er-Jahren. Zwar hatte Salvatore Leggio (55), der am Heuelsteig 4 seine Kindheit verbrachte, fliessendes Wasser, doch die Ausstattung blieb bescheiden: «Wir hatten lediglich einen Kachelofen zum Heizen, kein Warmwasser, die Toilette war auf dem Gang. Es war eng in den kleinen, niedrigen Räumen.» Leggio lebte mit den Eltern und zwei Geschwistern in einer Dreizimmerwohnung.

Die Zeiten haben sich geändert. Heute sind die ehemaligen Arme­leutewohnungen eine bevorzugte Adresse am Fusse des Adlisbergs. Äusserlich hat sich wenig verändert. Das verhinderten Auflagen des Denkmalschutzes. Doch im Innern wurden zahlreiche Räume den heutigen Bedürfnissen nach grossen und hohen Räumen angepasst. Moderne Küche und grosszügige Nasszellen gehören zu diesem Ausbaustandard.

Damit nähere ich mich definitiv der Gegenwart an. Als ich den Pfad weiter emporsteige, dominieren Terrassenbauten im Stil der 1980er-/90er-Jahre. Grosse Fenster und imposante Terrassen heben die einstige klare Trennung von innen und aussen auf. Auf der anderen Seite der Rebberg. Seit 1983 wachsen hier wieder Reben. Rund 9000 Flaschen konnten letztes Jahr abgefüllt werden, erklärt mir Winzermeister Nikola Zeljkovic stolz. Aus dem Gemisch der verschiedenen Pinot-noir- und Burgunderklone hätten sie letztes Jahr einen hervorragenden Wein im Stahltank und im Barrique gekeltert. Er könne unter dem Label «Stadt Zürich Pinot Noir» und «Stadt Zürich Schaumwein» bei der Firma Landolt erstanden werden.

Eigentlich würde der Steig noch bis zur Aurorastrasse weiterführen. Doch ich lasse mich von der römischen Göttin der Morgenröte nicht bezirzen, setze mich lieber unter eine Platane und geniesse das herrliche Panorama, das sich vom Limmattal bis zu den Glarner Alpen erstreckt.

Aussicht hat ihren Preis

Zum Abschluss noch einen Espresso im Restaurant Sonnenberg. Wegen seiner Exklusivität und der Nähe zur Fifa wurde dem Nobelrestaurant immer mal wieder der Vorwurf des Abgehobenseins gemacht. Der neue Inhaber, der Spitzenkoch Marcus Lindner, versprach in einem Interview Abhilfe. Er möchte das Restaurant auch einem breiteren Publikum öffnen. Tatsächlich wird mir in der Lounge des Sonnenbergs sehr freundlich ein ausgezeichneter Espresso serviert. Gar nicht so abgehoben, denke ich. Freundlich präsentiert mir der Kellner die Rechnung: 6.50 Franken steht drauf.

Quellen:
Hochbaudepartement der Stadt Zürich: Baukultur in Zürich Hottingen, Witikon, Zürich 2013

Lesen Sie am 28. Juni den Beitrag zur Nettie-Sutro-Strasse.

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