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Reportage

Blick auf den David-Hess-Weg in Wollishofen. Bild: Helena Wehrli

Der Weg des aristokratischen Poeten

Von: Urs Hardegger

25. November 2014

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt in einer Serie jede zweite Woche eine solche Story. Heute: Der David-Hess-Weg.

«Tage des Schreckens» erlebte Zürich in den Jahren 1798/99. Mehr als 90 000 französische, russische und österreichische Soldaten waren in der Stadt einquartiert. Dramatisch die Auswirkungen für die Zürcher Bevölkerung: Zürich wurde zum Kriegsschauplatz, mitten in der Stadt tobten Kämpfe, wurden Erdwälle aufgeschüttet, lagen Verwundete und Leichen herum.

Nicht nur deshalb wird David Hess (1770–1843) diese Tage zeit­lebens nicht mehr vergessen haben. «Wenn sie nur gingen, um nimmermehr zu kommen», notierte er in sein Tagebuch, diese «lumpigen Franzosen». Denn sie waren dafür verantwortlich, dass der vornehme Aristokrat, von einem Tag auf den andern, all seine Privilegien verlor.

Wie wohl die kurze Wollishofer Quartierstrassse zwischen Rebhügel und Entlisberg zu ihrem Namen kam? Eine Verbindung zum Dichter aus Unterstrass ist jedenfalls nicht auszumachen. Im Beckenhof geboren, erhielt der Aristokratensohn eine standesgemässe Erziehung. ­Inmitten von Wiesen und Reben, ganz nach dem französischen Geschmack der damaligen Zeit, mit einer Kastanien­allee, Blumengärten, Springbrunnen und einem Pavillon wuchs er auf.

Da muten die 1954 errichteten Wohnblöcke «seines» Weges bescheidener an, hier ist nichts Aristokratisches auszumachen. Hohe ­Hecken beengen die Strasse, gepflegte Wiesen, die eigentlich zum Verweilen einladen würden, wirken wie ausgestorben. In den eher kleinen Wohnungen hat sich eine grosse Zahl von Einpersonenhaushalten ausgebreitet. Auch in Wollishofen spüre man die zunehmende «Seefeldisierung», berichtet eine Anwohnerin. Überall werde renoviert und verdichtet. Die Mietpreise seien in den letzten Jahren erheblich gestiegen, denn die Wohnqualität sei hoch, es sei ruhig, und schnell finde man am See oder im Wald Erholung.

Vom Regen in die Traufe

Als der Vater seinen Sohn David mit 16½ Jahren in holländische Kriegsdienste gab, endete seine paradiesische Kindheit. Als Fähnrich der Zürcher Kompanie des Garderegiments sollte er eine standesgemässe Erziehung erhalten und Erfahrungen im Ausland sammeln. Indes: Das rohe Militärleben war nichts für den feinsinnigen David. Unverhofft wurde er in Kämpfe verwickelt, erlitt an der Seite der holländischen Monarchisten eine bittere Niederlage gegen die französischen Revolutionstruppen. Immerhin ermöglichte ihm dies die Rückkehr nach Zürich.

Doch er geriet vom Regen in die Traufe. «Sind wir denn gänzlich weggejagt? – Vom Ruder der Regierung?», fragte sich Hess. Tatsächlich, das waren sie, denn die napoleonischen Truppen hatten dem Ständestaat des Ancien Régime ein bitteres Ende bereitet. Unter ihrem Schutz hallte der Ruf nach Freiheit und Gleichheit durch die Helvetische Republik, und die Macht übernahmen ausgerechnet die Leute, die «nach bisher herrschender Lehre eigentlich nichts vom Regieren verstanden».

Spiessbürger statt Staatsbürger

Obwohl Hess Familie und Vermögen durch die Wirren retten konnte, blieb ein tiefes Misstrauen gegen Politik und gesellschaftliche Umstürze zurück. Von nun an wollte er «lieber Spiessbürger als Staatsbürger» sein, sich lieber dem Schöngeistigen als dem Kriegshandwerk widmen. Mit seinen Biografien und Gedichten fand er unter seinen Zeitgenossen eine dankbare Leserschaft. «Einen geistreichen Dilettanten» hat ihn Gottfried Keller genannt.

Die unscheinbaren Mehrfamilienhäuser des David-Hess-Weges hätten das Streben des «Schöngeists» nach Stil und Repräsentation kaum befriedigt, wären als bitteren Abstieg empfunden worden, doch zumindest die ersehnte Ruhe hätte er hier finden können.

Quellen:
Hochbaudepartement der Stadt Zürich: Zürich 1799. Eine Stadt erlebt den Krieg, Zürich 2005.
Eschmann, Ernst: David Hess (1770–1843). Aarau 1910.

Lesen Sie hier am 17. September den nächsten Beitrag zum Erismannhof.

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