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Reportage

Ein Glühwein geht immer (v. l. n. r.): Alejandro Ruiz, Bartender Platzhirsch, Sigi Gübeli, Direktorin Platzhirsch, «Tagblatt»-Redaktorin Sibylle Ambs, Anna Nina Good vom Duftschloss, Maria Eugenia Arias (Strickwaren) und Amit Kumar, Strickwaren aus Kaschmir. (Bild: Nicolas Y. Aebi/Comic: Beni Merk)

Der Weihnachtsmarkt-Pionier

Von: Sibylle Ambs-Keller

03. Dezember 2019

Er mag zwar nicht der grösste Weihnachtsmarkt von Zürich sein, aber dafür der älteste. Seit mehr als 40 Jahren riecht es zur Adventszeit im Dörfli nach Glühwein und weiteren Leckereien. Auch das Dalai-Lama ist ein beliebter Gast. «Tagblatt»-Redaktorin Sibylle Ambs hat sich für die Reihe «Am Puls» ins Getümmel gestürzt.

Zugegeben, auf eine so lange Tradition wie der Wiener Christkindlmarkt, der seine Pforten erstmals 1296 öffnete, kann das Niederdorf nicht blicken. Aber immerhin: Der Weihnachtsmarkt Dörfli ist der älteste der Stadt. Seit mehr als 40 Jahren lebt und entwickelt er sich mit der bewegten Geschichte der Zürcher Altstadt und zieht sich durch die Gassen vom Central bis zum Hirschenplatz, von dort weiter zum Stüssihof und öffnet sich auf dem Zwingliplatz vor der imposanten Kulisse des Grossmünsters. Das Angebot umfasst zahlreiches Essbares, Schmuck, edle Tücher aus Kaschmir oder auch farbige Strickware aus Südamerika. Und natürlich gibt es Glühwein, der Seelen- und Fingerwärmer, der für gute Laune und – wer weiss – auch für mehr Kauffreudigkeit sorgt.

55 Aussteller sind es insgesamt, die um die Gunst der Kundschaft buhlen. «Wir möchten die zahlreichen Ladeninhaber im Dörfli raus auf die Gasse holen. Sie sollen ihre Ware oder Dienstleistung während des Weihnachtsmarkts draussen an einem Stand anbieten», erläutert Stephan Dubi, Geschäftsführer der Geschäftsvereinigung Limmatquai-Dörfli und Mitglied des OK Weihnachtsmarkt Dörfli. «Wir haben hier alles, was es braucht für ein abwechslungsreiches Angebot. Beim Bellevue muss vieles, wie zum Beispiel das Eisfeld, installiert werden. Im Dörfli hingegen haben wir Lädeli, Restaurants, Bars. Mit der Einbindung all dieser Anbieter sorgen wir für eine homogene Mischung aus lokalem Warenangebot und auswärtigen Standbetreibern.» So schwappt der ganz eigene und von vielen so geschätzte Niederdörfli-Charakter in der Adventszeit auf den Weihnachtsmarkt über und würzt ihn mit einer Prise Lokalkolorit.

760 Tassen Glühwein am Eröffnungsabend

Alles richtig in dieser Beziehung macht das Hotel Platzhirsch am Hirschenplatz: Seit zehn Jahren führt Direktorin Sigi Gübeli das Hotel mit Bar und genauso lange während der Adventszeit auch den kitschig-schönen Glühweinstand davor. «Wir betreiben unseren Stand aus Überzeugung. Ich bin seit mehr als 20 Jahren im Niederdorf», so die gebürtige Österreicherin. «Für mich ist es ein klares Commitment, dass wir bei allen Anlässen hier präsent sind.» Auch wenn dies Zusatzaufwand für den Betrieb bedeutet. «Von nichts kommt nichts. Aber die Menschen sind nun mal während der Weihnachtszeit gerne draussen und trinken ihren Glühwein lieber mitten im Geschehen als in einer dunklen Bar.» So gibt sich der Platzhirsch Jahr für Jahr auch besonders Mühe beim Schmücken der Glühweinschenke: Mit den leuchtenden Hirschen auf dem Dach macht er nicht nur seinem Namen alle Ehre, man fühlt sich auch sofort wärmstens willkommen. Dieser Meinung sind heute am frühen Abend auch Tom Keller (29) und Dani Herzog (33) aus Zürich. «Wir haben uns spontan zu einem After-Work-Glühwein hier im Dörfli entschlossen.» Dass übrigens Glühwein nicht gleich Glühwein ist, beweisen die Rekordzahlen von Sigi Gübelis Stand: «Am Eröffnungsabend haben wir zwischen sechs und zehn Uhr abends 760 Tassen Glühwein verkauft – ein neuer Rekord.» Dabei spielte nicht nur das kühle, aber trockene Wetter eine Rolle. Auch das streng geheime Glühweinrezept weiss die Kundschaft zu schätzen.

Wohlriechende Aromen

Keine zehn Schritte weiter, an einem Stand an der Hauptgasse, wird der Glühweinduft abgelöst von wohlriechenden Aromen aus Essenzen und Ölen aus dem «Duftschloss». Bei Inhaber Peter Nüesch gibt es alles, was die Nase und das Herz erfreut. Heute sitzt Anna Nina Good hinter dem Verkaufstresen: «Die Kundschaft hier am Weihnachtsmarkt ist querbeet. Vom Geschäftsmann über das Grosi bis hin zum Ehepaar, das sich ein entspannendes Massageöl kauft.» Es seien nicht explizit Geschenkjäger, viele machten sich mit einem wohlriechenden Fläschchen selber eine Freude. Bei einem Angebot von Elfentröpfli über Wintermärli bis hin zu Anti-Schnarch und IQ-Tröpfli liegt es beinahe auf der Hand, was Anna Nina Good selber ihren Liebsten zu Weihnachten schenkt: «Ich decke mich tatsächlich hier am Stand mit Geschenken ein. Denn immer, wenn ich hier arbeite, fühle ich mich einfach glücklich – das liegt an der Atmosphäre, aber auch an den tollen Düften!»

Ganz neu ist nicht nur die Atmosphäre, sondern auch die Stadt für Anbieter Amit Kumar aus Indien. An seinem Stand gibt es feine Stoffe und edle Schals aus Kaschmir. «Wir sind das erste Mal in der Schweiz. Bis jetzt waren wir in Deutschland, Frankreich oder Italien. Jetzt möchten wir auch den Zürchern unsere Ware näherbringen.»

Bedürfnisse haben sich verändert

Für Stephan Dubi ist klar, dass sich das Angebot der Weihnachtsmärkte mit der Zeit verändert hat. «Das Bedürfnis der Menschen ist heute ein anderes. Sie gehen auf den Weihnachtsmarkt, um zu essen, zu trinken und Spass zu haben. Heute kauft niemand mehr seine Weihnachtskugeln hier.» So ist denn auch seit letztem Jahr eine sanfte Umgestaltung im Gange. Dieser fiel auch der Standort Rosenhof zum Opfer. «Die Stände auf dem Rosenhof liefen nicht gut. Wir haben deshalb beschlossen, diesen Winter darauf zu verzichten.» Im nächsten Sommer dann soll der Rosenhof mit einem neuen Konzept wieder zum Leben erweckt werden.

Weiter ausgebaut wurde dafür das Angebot rund um das Grossmünster. «Der Zwingliplatz befindet sich genau in der Mitte vom Central und dem Bellevue, er ist die Grenze zwischen Nieder- und Oberdorf», so Stephan Dubi. «Täglich kommen bis zu 3000 Menschen zum Grossmünster und somit auch an den Ständen des Weihnachtsmarktes vorbei.» Mit dem Fondue-Chalet vor den Kirchentoren kommt auch das Gotteshaus etwas näher an die Bevölkerung. So liest Pfarrer Christoph Sigrist zweimal die Woche nicht alltägliche Weihnachtsgeschichten vor, während um ihn herum getrunken und die Fonduegabel geschwungen wird. Stephan Dubi: «Ich finde es gerade im Zwingli-Jahr sehr schön, kommt die Kirche raus auf die Strasse.»

Und es gibt weitere, eher selten anzutreffende Gesellen, die während der Weihnachtszeit durchs Dörfli spazieren: Das Dalai-Lama zum Beispiel. Immer mittwochs spaziert zur grossen Freude der Kinder unter anderem ein Lama namens Dalai zusammen mit seinen Gefährten zum Lamatrekking durch die Gassen. Regelmässig vorbei kommen die wollenen Vierbeiner dabei am Strickwarenstand von Maria Eugenia Arias. Ihre fantasievollen Kindermützen sind handgefertigt und kommen sozusagen aus der Heimat der Lamas. Die gebürtige Ecuadorianerin hat viele Stammkunden. «Das Weihnachtsgeschäft ist viel Arbeit, aber ich liebe das Leuchten in den Kinderaugen, wenn sie meine Waren bestaunen.» Sie selber fährt über die Feiertage nach Hause, macht manchmal einen Abstecher nach Peru oder Bolivien und kauft die Waren ihrer Freunde und Bekannten. «Das ist mein Weihnachtsgeschenk an sie.» 

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