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Reportage

Kuschelzeit: Moise Mubana geniesst die freien Stunden mit seiner Frau Anne und den Töchtern Moisette, Wiva und Diva (v. l.).

Die afrikanische Familie und der Hahn im Korb

Von: Ginger Hebel

03. April 2018

Das «Tagblatt» porträtiert in loser Folge Menschen, die unkonventionell leben. Moise Mubana wohnt mit seiner Frau und den drei Töchtern in einer Wohnung für kinderreiche Familien im Friesenberg-Quartier.

Der Fernseher läuft im Hause Mubana-Membula praktisch immer. Wenn Kinderserien über den Bildschirm flimmern, muss man gar nicht erst versuchen, die drei Mädchen Wiva (9), Diva (7) und Moisette (3) wegzulocken, sie schauen gebannt in den TV und sind mucksmäuschenstill. Vater Moise (45) hat keine Wahl. «Ich passe mich an, ich bin ja in der Minderheit», sagt er und lacht. Er ist der Hahn im Korb und geniesst das sehr. «Ich bin mit vier Brüdern aufgewachsen, jetzt habe ich zuhause vier Frauen, das ist unglaublich schön.» Manchmal, wenn Fussball läuft, kann er sich gegen die geballte Frauenpower durchsetzen, meistens aber beugt er sich den Wünschen ­seiner Familie.

Seit Oktober 2016 wohnt die fünfköpfige Familie in einer 4,5-Zimmer-Wohnung im Quartier Friesenberg in einer Siedlung der Stiftung Wohnungen für kinderreiche Familien. 1924 gegründet, handelt es sich dabei um die älteste Wohnbaustiftung der Stadt Zürich. Von den sechs Siedlungen mit total 531 Wohnungen ist diejenige an der Schweighofstrasse die grösste. Hier leben Menschen aus aller Herren Ländern, aus Kamerun, Nigeria, Angola. Sie alle haben mindestens drei minderjährige Kinder, einige Familien haben sogar mehr als zehn. Die Wartezeit für eine Wohnung beträgt aktuell fünf Jahre. «Diese Stiftung ist in ihrer Form in der Schweiz einmalig. Sie bietet kinderreichen Familien mit kleinem bis mittlerem Einkommen bezahlbaren Wohnraum mitten in der Stadt, und sorgt für eine gute Durchmischung», sagt Sylvia Keller, Geschäftsleiterin der Stiftung.

Moise lebt mit seiner Familie gerne hier. «Draussen gibt es Grünflächen und einen grossen Spielplatz. Unsere Töchter können spielen, ganz ohne Angst, in meinem Heimatland Kongo wäre das undenkbar.» Anne Membula (40), Moises Frau, trägt traditionelle afrikanische Kleidung. Sie ist Hausfrau und kocht gerne, am liebsten afrikanisch, zum Beispiel Pondu, eine Spezialität aus Maniok. In Afrika werden auch die Blätter der Pflanze als Gemüse gekocht. Nesthäkchen Moisette ist heikel, sie würde am liebsten immer nur Joghurt essen, aber was ihre Schwestern im Teller ­haben, will sie auch probieren.

Mit Disziplin in ein neues Leben

Wiva und Diva teilen sich ein Zimmer, sie ­malen oder vertreiben sich die Zeit mit dem Würfelspiel Heck-Meck. Auch ihre kleine Schwester spielt oft mit, das Zimmer ist voller Plüschtiere. Die Mädchen sind alle in Zürich geboren und sprechen neben Schweizerdeutsch auch Englisch und Französisch mit ihrer Mutter, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig ist; dafür ihr Mann ­Moise. Er spricht fliessend Hochdeutsch und versteht auch Mundart.

Der Glaube trägt sie

2004 verliess Moise den Kongo, «es wurde zu gefährlich, ich hatte keine Wahl», erzählt er. Aufgrund der politischen Auseinandersetzungen rund um die anstehenden Wahlen ist die Sicherheitslage im ganzen Land angespannt und die Entwicklung ungewiss. Mit Demonstrationen und gewaltsamen Ausschreitungen in Kinshasa wie auch in anderen grösseren Städten muss stets gerechnet werden. Zudem kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen den Rebellen und der kongolesischen Armee. Im Kongo arbeitete Moise fürs Militär, seine Frau Anne studierte. Er musste sie zurücklassen, versprach ihr aber, sie eines Tages in die Schweiz zu holen und mit ihr hier eine Zukunft aufzubauen, was er auch tat. In Zürich hatte er anfangs Probleme, eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Er gab nicht auf, denn er ist ein Kämpfer, zielstrebig und ehrgeizig. Er fand einen Job in der Hotellerie, arbeitete in der Gastronomie und in der Sozialarbeit. «Ich wusste, ich muss Deutsch lernen, wenn ich hier leben will.» Heute ist er Gleisbauer im Tramdepot Wollishofen. Bei den Grossprojekten am Zürcher Central und Stauffacher arbeitete er an vorderster Front mit. Wenn er von seinem Job erzählt, schwingt Stolz mit. «Ich arbeite immer draussen, bei jedem Wetter, das ist manchmal hart, aber es macht Spass.»

Das Familienleben ist ihnen heilig. Sonntags gehen sie oft in das Christliche Zentrum Buchegg. Der Glaube trägt sie. «Gott macht alles richtig, er zeigt uns den Weg», ist Moise überzeugt. Der Gedanke an die Heimat wühlt ihn emotional auf. Seine Eltern leben noch dort, und sein Onkel sitzt im Kongo im ­Gefängnis. «In meinem Heimatland gibt es viele Verbote, man wird schnell bestraft», sagt der 45-Jährige nachdenklich. Für die Kongolesen ist die Schweiz ein Traumland. «Hier ist so vieles möglich, wir fühlen uns sicher.»

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Ginger Hebel, Tel. 044 248 63 82

ginger.hebel@tagblattzuerich.ch

 

 

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