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Reportage

Die Eugen-Huber-Strasse in Altstetten: Der Namensgeber war einst Nationalrat, Unidozent, NZZ-Chefredaktor – und schwer verliebt. Bild: H. Wehrli

Die Geschichte einer grossen Liebe

Von: Urs Hardegger

07. März 2017

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: die Eugen-Huber-Strasse.

Wahrlich, Eugen Huber (1849 bis 1923), der Schöpfer unseres Zivilgesetzbuches, hat Grosses geleistet. Als Nationalrat, Unidozent, Chef­redaktor der «Neuen Zürcher Zeitung» und wohl angesehenster Jurist seiner Zeit. Doch ich will nicht die Leistung des Mannes in den Vordergrund stellen, nach dem in Zürich-Altstetten eine eineinhalb Kilometer lange Strasse benannt ist, sondern die Liebe.

Versetzen wir uns zurück ins Jahr 1871. Der 22-jährige Jurastudent Eugen Huber ist regelmässiger Gast im Café Boller an der Schifflände, einem beliebten Treffpunkt für Studenten, die dort bei Bier und Gesang unbeschwerte Abende erleben. Hubers Besuch hat andere Gründe. Er hat sich über beide Ohren in die junge Serviertochter Lina Weissert verliebt. «Sie, nur sie», hält er in seiner Agenda fest.

Nebenbuhler Gottfried Keller

So nimmt eine der schönsten Zürcher Liebesgeschichten ihren Anfang. Huber versucht, mit kleinen Geschenken, einem goldenen Uhrenschlüsselchen, einem Konzertbillett, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn auch der Dichter Gottfried Keller hat ein Auge auf die hübsche Kellnerin geworfen. Während Keller es mit Lyrik versucht, schreibt Huber ihr lange Liebesbriefe, wünscht sich, dass sie sich «in gegenseitiger Liebe» vereinen, gemeinsam den «Winkelzügen widrigen Geschickes» widerstehen und ihr Leben «glücklich theilen und geniessen» würden. Seine Avancen bleiben unerwidert. Lina teilt ihm umständlich mit, dass sie seinen «gehegten Hoffnungen und Wünschen» nicht entsprechen könne. «Mein Glück ist zu Ende», notiert der Abgewiesene deprimiert im Tagebuch.

Überraschender Antrag

Lina, eine Vollwaise aus dem württembergischen Heilbronn, hat die Stelle in Zürich fünf Jahre zuvor angetreten. Sie war damals noch keine fünfzehn Jahre alt. Die Arbeit ist streng und das Wirte-Ehepaar zu Beginn unerbittlich. Später wird sie sich wundern, dass sie diesen Sklavendienst so lange ertragen hat.

Huber gibt nicht auf. Lina ist nicht nur seine erste Liebe, er ist auch überzeugt, dass er ihren «praktischen Idealismus» benötigt. Ohne einen Halt wäre er kaum in der Lage, seine ihm zugewiesene Aufgabe zu lösen: das Verfassen des ersten gesamtschweizerischen Privatrechts. Der unglücklich Verliebte setzt seine Studien im Ausland fort. Seine Gedanken gelten ihr, obwohl sich Lina inzwischen einem andern versprochen hat. Als es beruflich endlich aufwärtsgeht, er als Privatdozent nach Bern berufen wird und Lina ihm einen Brief mit Bild zukommen lässt, schöpft er wieder Mut und überrumpelt die Angebetete mit einem Heiratsantrag. Lina nimmt überrascht an. Huber ist euphorisch, glaubt, dass die «zwei Heimatlosen», die nun «mit Küssen den Schwur besiegelten», zusammen «eine Heimat» gründen. Doch Lina zögert weiter, sucht verzweifelt «einen Ausweg aus dem Labyrinthe von Verwicklung».

Hier muss ich abkürzen und Interessierten das eindrückliche Buch von Verena E. Müller empfehlen. Nur so viel: Bis zum endgültigen Jawort wird es noch einmal drei Jahre dauern. Huber führt seine Frau in die Gepflogenheiten der guten Gesellschaft ein und verschafft ihr Zugang zur Welt der Bildung. Sie wird ihm zusehends zur gleichberechtigten Gesprächspartnerin, von ihr akzeptiert er Kritik, und sie ist ihm Stütze beim Tod ihres Kindes und bei seinen häufigen Depressionen. Und vor allem: Sie bleibt seine grosse Liebe.

1910, zwei Jahre, bevor Hubers grosses Gesetzeswerk in Kraft tritt, stirbt Lina überraschend. Eine Welt bricht zusammen. Bereits wenige Stunden nach ihrem Tod setzt sich Huber an den Schreibtisch. Von nun an schreibt er seiner verstorbenen Frau jeden Tag einen Brief, ­sieben Jahre lang. Ist es nicht ­erstaunlich, welch wunderschöne ­Geschichten hinter einem schlichten Strassennamen zum Vorschein kommen?

Quellen:
Müller, Verena E.: Liebe und Vernunft. Baden 2016.

Lesen Sie am 22. März 2017 den Bericht zur Wilfriedstrasse.

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