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Reportage

Ab in die Schachtel: Anwohner und ihre Kinder zügeln die Hühner zu ihrem neuen Zuhause. Bilder: CLA

"Die Hühner kommen!"

Von: Clarissa Rohrbach

29. April 2014

Die Bewohner des Kreises 6 haben lange für ihre Hühner gekämpft. Nun durften diese ein neues Zuhause beziehen. Aber es fehlt noch an Geld für die Gefiederten.

Stadthühner leben gefährlich. 17 Jahre ist es her, als der Hühnerhof Schigu vom damaligen Stadtrat Hans Wehrli eröffnet wurde. Seitdem haben die Hühner auf der Kronenwiese bei den Anwohnern für einige Schrecken gesorgt. Da war der Marder, der fünf von ihnen den Kopf abriss und sie aussaugte. Und dann stahl jemand 2004 alle Hühner. Die älteren Mitglieder des Vereins meinen, sich an einen Förster am Zürichberg zu erinnern, der ihre Knochen in Feuerresten fand. Es seien Satanisten gewesen, welche die Tiere geopfert hätten, munkelt man. Auch ein Tierhasser blieb den Hühnern nicht erspart: Er brachte alle um.

Letzten Freitag haben die tapferen Gefiederten eine weitere Mutprobe überstanden: Den Umzug. Lange war das Fortbestehen des Hühnerhofs ungewiss, da die Stadt auf der Wiese eine Siedlung baut. Doch die Bewohner des Kreises 6 retteten die Hühner. Sie sammelten über 1000 Unterschriften und wandten sich an Grün Stadt Zürich. Diese teilte dem Hühnerhaus einen neuen Standort an der Niklausstrasse beim Altersheim Stampfenbach zu.

An diesem Tag herrscht Aufregung, sowohl bei den Hühnern als auch bei den Anwohnern. Mamis und Papis, Kinder und Hunde schauen zu: Der Umzug ist eine kleine Sensation. Zwei freiwillige Feuerwehrmänner sind mit einem Kranwagen angefahren, nun befestigen sie das Häuschen an Balken und Riemen. Plötzlich schreit einer dem anderen zu: «Zieh! Zieh!» Denn durch das Heben hängt das Haus in gefährlicher Schräglage. «Es darf nicht kaputtgehen, wir haben kein anderes Haus», sagt Urs Brändlin. Der Architekt hat die futuristische Konstruktion 1997 als Praktikant entworfen und lässt sich diesen Tag nicht entgehen.

Während die Männer sich überlegen, wie sie das Haus an den Haken fixieren sollen, passt die 9-jährige Noe auf die Hühner auf. Diese wurden in eine Ecke des Geländes eingezäunt. Das Mädchen nimmt seine Aufgabe äus­serst ernst. Am Morgen hat Huhn Frida rebelliert, es wollte partout nicht aus dem Nest. Nun schlüpft es unter der Absperrung hindurch und hüpft ins Haus zurück, das bereits in der Luft hängt. Die anderen gackern aufgeregt. Nur Clementine bleibt ruhig, mit zehn Jahren das älteste Huhn. «Sie benimmt sich vorbildlich und zeigt den anderen, wie so ein Umzug geht», erklärt Noe.

Beim dritten Versuch klappt es: Das 400 Kilo schwere Haus kann in den Kranwagen gehoben werden. Die Quartierbewohner locken die Hühner in Kartonschachteln, packen noch den Kleinkram ein und pilgern dann zu Fuss zur Niklausstrasse. Dort warten bereits andere Neugierige, die vom Ereignis gehört haben. «Die Hühner kommen!», rufen einige.

Mit seinen rund 150 Quadratmeter ist der neue Hof ebenfalls tiergerecht. Grün Stadt Zürich hat im Vorfeld das Brachland gerodet und eingezäunt. Das Grundstück gehört dem Bund, welcher es gratis abtritt. «Die Behörden haben sich enorm ins Zeug gelegt für uns, wir sind sehr dankbar», sagt die Co-Vereinspräsidentin Anja Sitter. Man schätze das Projekt des Gemeinschaftszentrums Schindlergut, es trage wesentlich zum Quartierleben bei. Jetzt, da der Hühnerhof in der Nähe des Altersheims stehe, noch mehr.

Zu den acht Hühnern – auf einen Hahn wurde verzichtet, um die Nachbarn nicht zu wecken – sorgen 25 Vereinsmitglieder. Jeweils zwei Personen füttern jeden Tag die Tiere und misten das Haus. Dafür können sie die Eier nach Hause nehmen. Die Idee: Stadtkindern die Liebe zur Natur nahezubringen. «Ich finde es wichtig, dass meine Tochter weiss, dass die Eier vom Huhn kommen und nicht in der Migros hergestellt werden», sagt Anwohnerin Sandra Werner. Auch in der Stadt sollten Kinder lernen, mit dem Zyklus der Natur umzugehen. «Der Tod gehört da dazu, die Hühner leben ja nicht ewig.» Der Verein schafft immer neue Hühner an. Nun soll das Haus für 12 Tiere ausgebaut und saniert werden. Doch die Finanzierung steht immer noch auf wackligen Beinen. Durch Crowdfunding versucht der Verein, die fehlenden 2000 Franken zu sammeln, zwei Monate Zeit bleiben noch. Für die Gönner soll es dann ein Fest geben.

Doch erst mal freuen sich die Unterstrasser über den geglückten Umzug. «Das hat nur geklappt, weil so viele engagierte Leute im Quartier mitgeholfen haben», sagt Sitter. Diese bringen nun den Freiwilligen Mineralwasser und Äpfel, während die Kinder das Haus bereits wieder mit Stroh füllen. Hühner gut, alles gut.

www.huehnerhof.org

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