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Reportage

Von weit her fürs Theater Spektakel angereist: Der argentinische Pololo verzaubert das Publikum auf dem Cyr Wheel. Bild: CLA

Die Kunst, Zürich zum Stehen zu bringen

Von: Clarissa Rohrbach

20. August 2013

Strassenkünstler schätzen das Theater Spektakel sehr. Das «Tagblatt» wollte wissen, was sie antreibt.

Pololo vergeht fast vor dem Wunsch, geliebt zu werden. Der Clown in gestreiften Socken und Frack wälzt sich gerade voller Wonne am Boden, weil ihm ein kleines Mädchen zu einer Sonnenblume auch noch einen Kuss auf die Wange geschenkt hat. Die anderen Kinder lachen, klatschen und warten gespannt, wie es weitergeht. Auf dem Hauptplatz des Theater Spektakels auf der Landi­wiese hat sich ein Kreis um den Strassenkünstler gebildet. Dieser heisst eigentlich Martin und kommt aus Argentinien. Er hofft, in Zürich mit der Kollekte gut zu verdienen. Aber im Augenblick taucht er nur in seine Figur ein, läuft mit O-Beinen, zieht Grimassen und jongliert mit den Blumen. Der Höhepunkt: Sein Körper dreht sich in einem Stahlreifen, ähnlich einer tellernden Münze. Die Eltern möchten zwar das Areal weiter auskundschaften, doch die Kinder, magnetisch vom Clown angezogen, weigern sich. Schliesslich rennen sie zu Pololo und werfen Münzen in seinen Sammelbeutel.

«Como hizo (wie liefs)?», fragen ihn die anderen Artisten nach der Performance. «Mal, mal (schlecht, schlecht)!» Martin schüttelt den Kopf, Schweisstropfen laufen sein Gesicht hinunter. Er hatte heute Pech bei der Auslosung: Wer zuletzt gezogen wird, muss sich mit den ungünstigsten Auftrittszeiten zufriedengeben, in diesem Fall 19 Uhr, viel zu früh an einem Samstagabend. Genau wie Martin sind etwa 20 Strassenkünstler nach Zürich gereist in der Hoffnung auf ein grosszügiges Publikum. Sie kommen häufig aus Südamerika, Spanien und Frankreich, touren im Sommer durch Europa von Festival zu Festival, und ­leben meistens in ihrem Wohnwagen.

Die Organisation des Theater Spektakels hat heuer zum ersten Mal eine Anlaufstelle für Strassenkünstler geschaffen. Bei der sogenannten Zentrabühne bekommen sie kostenlos Wasser und Früchte, können ihr Handy aufladen und ihre Sachen deponieren. In der Garderobe hängen Unterhosen zum Trocknen, flattern Tauben in einem Käfig und liegen zwei Meter hohe Einräder am Boden. Ein Tänzerpaar zieht gerade die Kostüme aus einer Truhe und schminkt sich, dazu singen sie auf Spanisch.

«Wir wollten bewusst mehr Strassenkünstler hierherlocken, sie tragen wesentlich zur Beliebtheit des Areals bei», sagt Irene Müller. Sie ist zusammen mit Cornelius Danneberg die Ansprechperson für Feuerschlucker, Jongleure und Break­dancer. Die Künstler kommen unangemeldet und hoffen bei der Verlosung – die Namen zieht immer ein unbeteiligtes Kind –, einen Pitch zu bekommen, einen Ort zum Spielen in ihrem Jargon. Von diesen gibt es am Theater Spektakel zwölf an einem Abend, mit einem Wechsel alle 30 Minuten. Nur ein Glückspilz schafft es pro Tag auf die Zentralbühne. Dort ist der Erfolg garantiert, denn die Leute denken fälschlicherweise, eine Show auf der Bühne sei automatisch besser. Dabei braucht es auf dem Asphalt viel mehr Energie, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. «Strassenkünstler sind absolute Profis, es ist eine Knochenarbeit, das Publikum zu packen; sie spüren die Atmosphäre, reagieren auf die Situationen und sind hervorragende Moderatoren», erklärt Müller. Für sie ist Strassenkunst mit ihrem spontanen und ungekünstelten Charme das menschliche Pendant zu den perfekten Darbietungen.

«Die Schweizer ziehen selten ihr eigenes Ding durch, dabei können sie so gut jonglieren», sagt Anthony. Der Brite kommt seit 16 Jahren an den Anlass und sitzt, eine selbst gedrehte Zigarette in der Hand, mit den Bier trinkenden Kollegen im Gras. Der Jongleur hatte damals einen Tipp von Freunden bekommen: In Zürich könne man vieles lernen, und es sei rentabel. Ihm genügen drei Shows pro Woche, um zu überleben. Wie viel er damit verdient, bleibt ein Geheimnis. «In der Strassenkunst geht es um die Emotionen, die man vermittelt, um den Moment, in dem die Zuschauer sich selbst vergessen.» Der 50-Jährige kann sich kein anderes Leben vorstellen. Nur auf sich selbst gestellt zu sein, das sei absolute Freiheit, jahrelang einen fixen Job zu haben hingegen sehr mutig.

Martin, der sich mittlerweile umgezogen hat, ist das erste Jahr allein auf Tour. «Es ist eine grosse Herausforderung, aber ich kann sein, wo ich will, wann ich will», sagt der 35-Jährige. Er bildete sich in einer Zirkusschule in Argentinien aus und brauchte länger als ein Jahr, um die Tricks auf dem Cyr Wheel zu meistern. Er muss jeden Tag zwei Stunden trainieren, um genug fit für seine Show zu sein. Das Zürcher Publikum sei sehr grosszügig und kooperativ, auch wenn es nicht gerade zu den enthusiastischsten gehöre.

Riet, einer der einzigen drei Schweizer in der Runde, kennt den Druck, begeistern zu wollen. «Jede Aufführung macht mich nervös, es besteht das ­Risiko, dass sie den Zuschauern nicht gefällt und sie weglaufen, das Schlimmste, was einem Strassenkünstler passieren kann.» Er hat heute das grosse Los gezogen und darf auf die Bühne. Dort können die Artisten ihre Musik abspielen, das trägt wesentlich zum Zauber bei.

Mittlerweile zieren Lichterketten die Landiwiese. Auf dem Hauptplatz jongliert jemand mit Feuer. Die anderen Strassenkünstler schauen zu und hoffen auf einen guten Pitch am nächsten Tag. Sie werden wieder nach Zürich kommen, um ihr Glück zu versuchen.

Das Theater Spektakel dauert bis am 1. September.

www. theaterspektakel.ch

 

 

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