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Reportage

«Halte, luege, lose, laufe». Erstklässler Maurus zeigt Schulinstruktor Reto Müller, wie man richtig eine Strasse überquert. Bild: SB

Die Schule beginnt am Zebrastreifen

Von: Sacha Beuth

10. Dezember 2013

Wie lernen Kinder den Umgang mit den Gefahren des Strassen­verkehrs? – Das «Tagblatt» hat Höngger Erstklässler beim Verkehrsunterricht begleitet.

Reto Müller hat das Areal des Schulhauses Riedhof-Pünten in Höngg noch gar nicht betreten, da stürmen ihm schon zwei kleine Mädchen entgegen. «Grüezi Herr Müller. Sie kommen heute zu uns, nicht wahr?», fragt die sechsjährige Zerda ganz aufgeregt und zupft ihn an der Uniform. Müller, Fachlehrer für Verkehr bei der Stadtpolizei Zürich, antwortet lächelnd: «Hallo Zerda, ja, ich bin gleich bei euch», worauf die beiden Erstklässlerinnen eiligst zu ihren Gspäändli stürmen, die auf dem Pausenplatz auf sie warten. «So ist das eigentlich immer», erzählt Müller. «Viele der Kinder kennen mich schon seit ihrer Kindergartenzeit und kommen auf mich zu. Das erleichtert natürlich meine Aufgabe, denn das Eis ist schon vor dem Verkehrsunterricht gebrochen.»

Übung macht den Meister

Seit sechseinhalb Jahren erteilt Müller den Kindern im Quartier Lektionen in Sachen Strassenverkehr. Heute steht das Thema «Wie überquere ich sicher eine Strasse» im Vordergrund. Im Schulzimmer von Lehrerin Lisa Schmidt haben sich inzwischen ein Dutzend Erstklässler mit Müller um einen Tisch versammelt. «Also, wer kann mir denn sagen, wie man richtig über eine Strasse läuft?», will der Polizist wissen. Vier, fünf Hände schiessen in die Höhe. Ana Clara, deren Füsse ­aufgeregt unter dem Tisch zappeln, ­antwortet: «Man muss warten, bis die Autos anhalten.» «Richtig», lobt Müller und sammelt noch weitere Aspekte. Dann holt er einen Karton hervor. «Schaut mal, was ich hier habe.» Die Kinder gucken in die Schachtel und entdecken mehrere Kalender, in denen verschiedene Verkehrssituationen ab­gebildet sind. «Das sieht aus wie am Meierhofplatz», ruft ein Kind laut, während ein anderes auf das Januarbild zeigt und meint: «So etwas habe ich auch schon ­erlebt.» «Das soll auch so sein», sagt Müller und nimmt sich mit den Schülern zwei, drei Beispiele aus dem Kalender vor. «Hier rechts hat es auf jeder Seite eine Spalte für eure Eltern. Die sollen sie euch vorlesen, und dann sollt ihr mit ihnen das Ganze üben.» Das sei überhaupt das Wichtigste, bemerkt Müller hinterher. «Je mehr Übung die Kinder haben, ­desto sicherer bewegen sie sich im ­Verkehr.»

Dann fragt er plötzlich: «Und jetzt? Wollen wir davon einmal ein paar Sachen ausprobieren?» «Jaah», erschallt es aus allen Mündern, worauf Schmidt ihre Klasse in zwei Gruppen einteilt. Ein Teil bleibt im Klassenzimmer, geht mit der Lehrerin den Verkehrskalender noch einmal durch, wobei die Schüler ihren jeweiligen Geburtstag mit einem Sternchenkleber markieren dürfen. Der andere Teil schlüpft in Jacken und Handschuhe und marschiert in 2er-Reihe mit Müller zur Regensdorferstrasse.

Dort herrscht reger Verkehr. Müller erklärt den Schülern noch einmal, wie sie sich zu verhalten haben, dann lässt er sie am Strassenrand aufreihen und schickt per Handzeichen einen nach dem anderen über den Zebrastreifen. Maurus ist als Erster dran. Er wartet korrekt, bis die Fahrzeuge in beiden Fahrrichtungen stillstehen, schaut links und rechts, läuft in die Mitte und schaut nochmals auf beide Seiten. «Das hast du sehr gut gemacht», lobt ihn Müller. Gerade dass er in der Mitte nochmals geschaut habe, sei besonders wichtig. «Es gibt leider immer wieder Automobilisten, die nicht warten können und dann etwa einen vor dem Zebrastreifen haltenden Bus einfach überholen.» Zwar sei er in erster Linie für den Verkehrsunterricht zuständig. «Aber in solchen Fällen bleibt mir nichts anderes übrig, als den fehlbaren Lenker herauszupflücken und zu büssen.»

Elterntaxi ist kontraproduktiv

Nun ist Zerda an der Reihe. Auch sie meistert die Übung perfekt. Zwei andere haben dagegen Schwierigkeiten, vergessen, ein zweites Mal zu schauen, oder rennen, statt dass sie gehen. «Hier merkt man genau, wer täglich selbstständig zur Schule läuft und wer zur Schule gefahren wird. Letztere verhalten sich im Strassenverkehr viel unsicherer.» Deren Eltern würden es sicher gut meinen. «Aber letztlich tun sie ihren Schützlingen mit dem Taxidienst keinen Gefallen.»

Nach einer guten halben Stunde geht es wieder zurück zur Schule. Auf dem Weg spielt Müller mit den Schülern zur Belohnung und Auflockerung «Versteinerlis». Dann erfolgt der Wechsel. Wie die erste macht auch die zweite Gruppe ihre Sache am Zebrastreifen insgesamt sehr gut. Müller ist zufrieden. «Das Ziel ist, dass wir auf diese Weise die Zahl der Kinderunfälle weiter reduzieren können.» (Siehe Box.) Und dann spricht er noch einen Wunsch aus: «In der Zeit, in der ich jetzt als Schulinstruktor im Quartier arbeite, hatten wir noch nie einen tödlichen Verkehrsunfall eines Kindes zu beklagen. Ich hoffe sehr, das bleibt auch weiterhin so.» 

Infobox: Kinderunfallstatistik

In der Kinderunfallstatistik führt die Stadtpolizei Zürich alle gemeldeten Verkehrsunfälle, in die Personen bis zu einem Alter von 15 Jahren involviert sind (auch Mitfahrunfälle). Dabei zeigt sich eine erfreuliche Entwicklung. Waren für 1950 noch 617 verunfallte Kinder zu beklagen, so konnte dank des im gleichen Jahr eingeführten Verkehrsunterrichts an Schulen sowie baulicher Massnahmen, Geschwindigkeitsreduktionen und Gurtenpflicht die Zahl der Unfälle bis 1990 auf 115 reduziert werden. Für das Jahr 2012 wurden 89 Kinderunfälle verzeichnet, wobei sich nur 14 auf dem Schulweg ereigneten.
Weitere Infos auf: www.stadt-zuerich.ch/schulinstruktion

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Leserkommentare

arijana fejzuli - ich finde das herr müller ein guter Strassenplizei ist von arijana 3 klasse

Vor 10 Jahren 3 Monaten  · 
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