mobile Navigation

Reportage

«Nie wieder», sagte sich sogar Soyu Mukai nach ihrer ersten Teezeremonie: Vier Stunden auf den Knien zu sitzen, war auch ihr zu viel. Inzwischen ist die Japanerin Teemeisterin und führt «Westler» im Museum Rietberg in die Zeremonie ein. Bild: PD

Die Verneigung vor der Teeschale

Von: Stine Wetzel

05. Dezember 2017

Eigentlich verspricht die japanische Teezeremonie im Museum Rietberg echte Besinnlichkeit in der Adventszeit. Statt 90 Minuten innerer Ruhe gabs ­jedoch eingeschlafene Füsse und geschwätzige Touristen.

In der Adventszeit herrschen gemeinhin Stress und Hektik statt Besinnlichkeit. Ein Ort, an dem man zur Ruhe kommen kann, ist der Teeraum im Museum Rietberg. Hier hält Teemeisterin Soyu Yumi Mukai seit elf Jahren japanische Teezeremonien ab – ein «tiefes, Herz und Geist beglückendes Erlebnis», wie es auf der Website heisst.

Am ersten Advent in der Remise im Rieterpark: Im Winterkimono begrüsst Soyu Mukai die Gäste, streicht die Namen auf ihrer Liste ab: 18. Das wird eng. Es geht die Treppe hinauf. Unter dem Dach eröffnet sich eine kleine Welt aus feinem Holz, noch feinerem Papier – und keinem einzigen Nagel. So ist es in der japanischen Holzarchitektur üblich. «Die Schiebetüren bitte nicht berühren», sagt Soyu Mukai. Das darf nur sie, und zwar nur an bestimmten Stellen. Wir sollen einzeln eintreten, ohne Schuhe.

Soyu Mukai achtet darauf, dass die Etikette eingehalten wird, und weist uns einen Platz auf den Tatami-Matten zu. Bei der Anmeldung schickte sie den Hinweis: Man solle sicherstellen, dass man nichts Metallisches zur Teezeremonie trage. Sonst wären die Matten ruiniert. Wir sitzen Schulter an Schulter. Die Hände im Schoss, die rechte Hand auf der linken. Dann zeigt Soyu Mukai, wie man sich richtig verbeugt: Die Hände auf die Matte und mit gradem Rücken tief runter. Wir verbeugen uns vor ihr, vor der Kalligrafie, um den Geist des Schöpfers zu ehren, vor dem Blumengesteck, um es betrachten zu dürfen. Wir verbeugen uns, bevor wir die Süssigkeit aufnehmen und bevor wir die Teeschale befühlen.

Mäkeligkeit ist Tabu

Soyu Mukai erklärt jeden Handgriff: Wie man das Papier mit der Süssigkeit aufnimmt (mit beiden Händen), wie man das Süsse isst (das Papier auf der linken Hand abgelegt, die Rechte führt zum Mund), was man mit dem leeren Papier macht (akkurat falten, einstecken und zu Hause wegschmeissen). Auch die Teeschale gehört speziell gedreht, der Matcha-Tee in drei Zügen getrunken, kein Schaum darf zurückbleiben. Den Tee zu bitter finden oder das Süsse nicht aufessen, ist ein No-go. Bei der Teezeremonie wird dankend – und verbeugend – alles angenommen, mahnt Soyu Mukai.

Der Ablauf wird genau befolgt, für die innere Ruhe, für die Achtsamkeit. Bis sich Soyu Mukai Teemeisterin nennen konnte, musste die Japanerin fast zwei Jahrzehnte lang Tee zubereiten und die dazugehörige Lebenshaltung verinnerlichen: Harmonie, Achtung und Ehrerbietung, Reinheit, Ruhe und Friede.

Teeklatsch statt Zeremonie

Soyu Mukai sitzt vor dem Wasserkessel. In der Feuerstelle, die in den Boden eingelassen ist, glühen die Kohlen. Die Gastgeberin vollführt ein Reinigungsritual, mit dem Tuch streift sie über den Löffel, mit dem Besen schwingt sie in der Teeschale umher. Das Wasser plätschert in die Schale. Behutsam öffnet sie das Döschen Matcha-Pulver. Die Gäste sollten längst im Einklang mit sich selbst und mit dem Moment sein. Doch der Zauber der Zubereitung bleibt aus. Weil die Füsse ständig einschlafen, man in den Schneidersitz wechseln muss und sich gegenseitig dabei anrempelt. Und weil ­einige Touristen die Zeremonie für einen Teeklatsch halten. Soyu Mukai bleibt derweil die Ruhe selbst, spult Handgriff für Handgriff ab, verbeugt sich vor jedem, jeder verbeugt sich vor ihr. 

Weitere Informationen:
Die nächste Teezeremonie findet am Sonntag, 17. Dezember, statt. 

www.rietberg.ch

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
5.0 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare