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Reportage

Rinaldo und Tanja, die Ikonen der ersten Street Parade. Am 5. September 1992 bewilligte die Polizei eine Tanzdemo vom Limmatquai über die Bahnhofstrasse. Bilder: Verein Street Parade Zürich

«Ein Anlass für ein unwichtiges Grüppchen»

Von: Clarissa Rohrbach

09. August 2016

Am Samstag findet die Street Parade zum 25. Mal statt. 1992 tanzte nur eine Handvoll Zürcher auf der Strasse. Als die Stadt versuchte, die Parade zu verbieten, erhob sich Widerstand. Die Geschichte eines Millionenanlasses.

Marek Krynski konnte es kaum glauben. Das Schreiben des Stadtrats erreichte ihn eines Morgens im Sommer 1994. Dieser unerträgliche Lärm (und der Dreck und die vielen Leute) dulde man nicht mehr. Kurz: Die Street Parade werde verboten. Zwei Jahre zuvor hatte alles ziemlich unscheinbar begonnen. Der Mathe-Student hatte auf MTV eine Übertragung der Love-Parade in Berlin gesehen. Er wollte das Gleiche in Zürich. «Tanzen auf der Strasse? Wenn mich mein Chef sieht, kündigt er mir!», hiess es in seinem Umfeld. Trotzdem reichte er das Gesuch für eine «Demonstration mit Musik für Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz» ein. Die Behörden ahnten nichts und winkten es locker durch. Krynski zitterte: Würde überhaupt jemand kommen? Sie kamen.

Am 5. September 1992 um 13.30 Uhr versammelten sich rund 1000 Personen auf dem Hechtplatz und tanzten dann über die Bahnhofstrasse. Einige Männer im Anzug liessen sich an diesem bewölkten Samstag von der Technomusik anstecken, doch im Allgemeinen zeigten «die Gesichter der Zuschauer amüsierte, aber ratlose Mienen», wie das «Tagblatt der Stadt Zürich» berichtete. Denn an die erste Street Parade kamen vor allem Leute aus der Untergrundszene. Diejenigen, die sich mit Gasmasken und buntem Make-up in den Kellern der Stadt trafen, um – wie es in London angesagt war – zu elektronischen, repetitiven Klängen «abzuspacen». Sie führten die Alternativkultur der 80er-Bewegung weiter. Gegen Biederkeit, für Freiheit: Es war der Anfang eines neuen Zürichs.

Zurück zum Verbot. «Der Anlass spricht nur ein unwichtiges Grüppchen an», liess Polizeivorsteher Robert Neukomm in seinem Brief verlauten. Wie weit verfehlt seine Einschätzung war, zeigte sich in den Wochen danach. Krynski holte sich einen Anwalt und legte Rekurs ein, die Technofans demonstrierten vor dem Stadthaus und sammelten Unterschriften, sogar die Junge SVP verteidigte den Anlass, bis die Stadt schliesslich nachgab. Sie erteilte erneut eine Bewilligung, allerdings führte die Route nicht mehr durch die Bahnhofstrasse, sondern zum Seebecken. Der Rummel um das Verbot war beste Werbung: Mit 40 000 Teilnehmern wurde die Street Parade zum Massenanlass.

Der Technoumzug wuchs rasant. 1995 zählte er 120 000 Teilnehmer, 1996 waren es 350 000. In Scharen kamen Leute aus dem Ausland angereist, die SBB organisierten Extrazüge, Helikopter kreisten über der Menschenmasse, Sponsoren wie Coca-Cola und Parisienne beteiligten sich. Der Anlass wurde so gross, dass ein Verein gegründet werden musste. Und plötzlich waren sogar die Behörden begeistert. «Es ist die grösste und friedlichste Demonstration, die Zürich je erlebt hat», meinte die Polizei. Stadtpräsident Josef ­Estermann doppelte nach: «Die Street Parade ist ein Glanzlicht, eine Explosion an Lebenslust. Dank ihr ist Zürich eine Weltstadt.»

Bei 400 000 Besuchern waren die Organisatoren überzeugt: Mehr verträgt die Route nicht. Die Behörden fürchteten sogar, dass die Quaibrücke einstürzen würde. Doch es kamen immer mehr Leute. Trugen sie anfangs noch Blue Jeans, wurden mit den Jahren die Kostüme immer schriller, die nackte Haut immer mehr. 2001 erreichte die Besucherzahl eine Million und überholte somit das Vorbild in Berlin. Die Street Parade wurde bis Mitternacht verlängert und erzeugte in Zürich Geschäfte für rund
150 Millionen Franken. Sieben TV-Sender – einer aus China – berichteten vom tanzenden Zürich. «Es ist uh megageil hier!!», schrien dabei die Raver in die Kameras.

Die 25. Street Parade findet am Samstag von 13 Uhr bis Mitternacht rund um das Seebecken statt. Das Motto lautet «Zurich is unique».

Terrorgefahr an der Street-Parade?

«Überall, wo viele Leute zusammenkommen, besteht ein Gefahrenpotenzial», sagt Stefan Epli, der Pressesprecher der Street Parade. Man sei aber eine Vorzeigeveranstaltung, was die Sicherheitsmassnahmen betreffe. Seit 24 Jahren passe der Verein Street Parade Zürich die Sicherheitsvorkehrungen zusammen mit der Polizei an die aktuellen Geschehnisse an. «Wir haben eine grosse Erfahrung», sagt Epli. Da der Anlass auf öffentlichem Grund stattfinde, sei die Polizei die oberste Instanz. Diese kann aus taktischen Gründen keine Auskunft zur Strategie und zum Aufgebot geben. «Wir beurteilen die Lage laufend. In die Lagebeurteilung miteinbezogen werden sämtliche Bedrohungen und Ereignisse, auch aus dem Ausland. Falls nötig, ergreifen wir die entsprechenden Massnahmen», sagt Sprecher Michael Walker auf Anfrage.

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