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Reportage

"Trotz Musik konnte man hören wie Knochen knirschen." Bild: PD

Ein Bar-Flirt endet in einer Schlägerei

Von: Isabella Seemann

17. Juni 2014

Der Gerichtsfall: Was als Kompliment gedacht war, endete in einer Beizenschlägerei. Es ist nicht die einzige Körperverletzung, die der Angeklagte zu verantworten hat.

So stellt man sich Karussell-Kassierer auf der Chilbi vor: Tollkühne Kerle, die mit einem Beutel am Hosenbund auf der Berg-und-Tal-Bahn von Gondel zu Gondel springen und das Fahrgeld eintreiben. Leichtsinnige Jungs mit einer unbestimmten Sehnsucht nach Freiheit, die paradoxerweise öfter in der Unfreiheit mündet.

Ruedi B.* trägt ein Hemd mit wildem Leopardenmuster, eine Lederweste mit Fransen und einen Schnauz. Er hatte mal Elektriker gelernt, bevor er eine kriminelle Karriere anfing. Er hat keine Arbeit, aber vier Kinder, die meisten von Petra, seiner Frau, von der er schon eine Ewigkeit getrennt lebt. All seine Söhne und Töchter wachsen im Heim auf, ihm, ihrem Vater, kommt das normal vor, das Anstaltsleben ist ihm geläufig.

«Keine Angst, Schätzeli!»
Seine neue Lebensgefährtin begleitet ihn zum Gericht, will dann aber doch nicht den Prozess von den Zuschauerbänken aus beobachten. Der Gerichtssaal ist für sie ein Ort des Schreckens, sie zittert am ganzen Leib. «Keine Angst, Schätzeli!», ruft der Angeklagte seiner Freundin zu, als er hineingeht. Er stützt sich auf das Stehpult wie auf einen Tresen, beide sind ihm gleichermassen vertraut, Gerichtssaal wie Bar. Staatsanwalt, Richter und Gerichtsschreiberinnen – in dieser Gesellschaft scheint er sich so geborgen zu fühlen wie ein Fisch im Wasser, hier kann er anwenden, was er gelernt hat in seiner langen Karriere als Angeklagter. In nachgeäfftem Juristendeutsch gibt er zu Protokoll, wann er wo «aufhältig» gewesen ist.
«Es hat sich ja einiges angehäuft bei Ihnen», bemerkt der Richter. «Sie sind angetrunken Auto gefahren, stimmt das?» – «Trifft zu», bestätigt der Angeklagte zackig. «Sie wurden wegen Betrugs verurteilt.» – «Trifft zu.» – «Sie haben einem Mann in einer Bar einen Faustschlag versetzt.» – «Kann ich mich nicht erinnern.» – «Dann werd ich Ihr Erinnerungsvermögen mal auffrischen.» Der Richter verliest zu seiner und der Zuschauer Erbauung einen Zeugenbericht: «Mein Bruder und seine Frau und ich waren in der Bar. Meine Schwägerin zog ihr T-Shirt ein Stück runter. Geile Alte, rief der Mann im Leopardenhemd. Ja, aber meine, erwiderte mein Bruder. Mehrmals versucht er den stark betrunkenen Mann davon abzubringen, mit ihr zu reden. Der lässt nicht locker. Als der Bruder dem Mann zum vierten Mal deutlich macht, dass er seine Freundin nicht weiter belästigen soll, haut ihm der Mann mit der Stirn voll ins Gesicht.

War das so?», fragt der Richter. «Da bin ich überfragt», antwortet der Angeklagte, «ich hab Probleme mit Alkohol, ich war sternhagelvoll.» Ein weiterer Zeuge sagte aus: «Trotz Musik konnte man hören wie Knochen knirschten.» Der Wirt ging sofort dazwischen. Die Polizei führte Herrn B. ab. Über zwei Promille hat der Angeklagte zur Tatzeit im Blut. Das Opfer hat eine gebrochene Nase, einen kaputten Schneidezahn und ein Schädeltrauma davongetragen. «Ihr Strafregister, Herr B., ist ein dunkles Kapitel», hält der Richter ihm vor. Diebstahl, Betrug, Sachbeschädigung, Zuwiderhandlung gegen die Gewerbeordnung, Urkundenfälschung, Beleidigung, Körperverletzung.

«Frau Huber ist sehr eifersüchtig»
Auch bei der Sache mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin, die B. höchst amtlich Frau Huber nennt, geht es um Körperverletzung. Und weil B. aus Erfahrung weiss, dass Richter was für einsichtige Sünder übrig haben, mimt er den Reuevollen. Ein Ausrutscher sei die Tat gewesen. Sehr, sehr leid tue es ihm, dass er Frau Huber mit der Handkante gegen den Hals schlug, bevor er ihr das Portemonnaie mit 390 Franken wegnahm, das sie unter dem Pullover vor ihm verbarg. «Ich hatte mich über sie geärgert», erinnert er sich, «Frau Huber ist sehr eifersüchtig, ich hatte mich in der Beiz mit einer brasilianischen Dame unterhalten.» Seine Ex und er waren gemeinsam Bier trinken gegangen, und Jägermeister. Danach, zu Hause, sei es passiert, dass er sie schlug und ihr das Geld wegnahm, sie holte die Polizei. «Wozu brauchten Sie denn das Geld», fragt der Richter. «Na, zum Weitersaufengehen», sagt Herr B. und fügt hinzu, dass er «der Geschädigten» die 390 Franken längst wiedergegeben habe. Für die aktuellen Delikte fordert der Staatsanwalt ein Jahr und neun Monate Gefängnis, Bewährung käme wegen der ungünstigen Sozialprognose nicht in Frage. Herr B. lässt den Kopf dramatisch auf die Barriere sinken, hebt ihn aber gleich wieder hoffnungsvoll: «Geben Sie mir noch mal eine Chance, Herr Richter!» Der Verteidiger beantragt eine Freiheitsstrafe, auf Bewährung, die allerletzte, der Angeklagte solle soziale Kompetenz entwickeln.

Ein Jahr und fünf Monate sind abzusitzen, entscheidet der Richter, und setzt die Strafe nicht zur Bewährung aus: «Wer immer wieder was anstellt, muss die Konsequenzen aushalten.» Die Ladung wird ihm schriftlich zugeschickt. Draussen wartet seine Freundin auf ihn. «Komm, Schätzeli, wir rauchen erst mal eine.» Herr B. lässt sich nicht die Laune vermiesen. Knast oder Freiheit, es ist, wie es ist.                    

* Alle Namen geändert.

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