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Reportage

Das Fresko in der katholischen Kirche St. Theresia im Quartier Friesenberg zeigt die Geburt Christi. Geschaffen hat das Bild der deutsche Maler und Schriftsteller Richard Seewald 1946.Bild: Stiftung Richard Seewald, Ronco sopra Ascona

Ein Türöffner in die Welt des katholischen Zürich

Von: Jan Strobel

18. Dezember 2018

Zürich feiert gerade die Reformation. Mittlerweile leben allerdings mehr Katholiken als Reformierte in der Stadt. Erst vor 150 Jahren entstanden dabei die ersten katholischen Kirchen im Kanton Zürich. Zwei eindrückliche Bände porträtieren zum ersten Mal alle 117 Gotteshäuser von 1868 bis heute.

Markus Weber, Priester und Germanist, steht vor der Kirche St. Peter und Paul im Kreis 4, und sein Blick geht hinauf zum mächtigen Kirchturm, der vor dem Hintergrund des Verwaltungszentrums Werd eigentlich gar nicht mehr so mächtig wirkt. Dabei steht gerade diese stolze Kirche, 1874 eingesegnet, gleichsam für die Wiedergeburt des katholischen Lebens in der Stadt Zürich, wobei das Gotteshaus zum Zeitpunkt seiner Einweihung noch ausserhalb der Stadtgrenzen lag, im völlig überbevölkerten und armen Aussersihl, im «Zürcher Ghetto», wie es Markus Weber nennt.

«Die Katholiken», sagt er, «lebten damals unter äusserst ärmlichen und notdürftigen Bedingungen. Viele von ihnen waren Einwanderer oder Zugezogene.» Die Kirche war zu Beginn noch eine schlichte Notkirche, in der die Bänke, die Kanzel, die Altaraufbauten und Taufbecken fehlten. Mit den Jahren kam es zu Erweiterungen, weil die Kirche zu klein wurde. 1895 schliesslich war der Turm vollendet als Zeichen des neuen katholischen Selbstbewusstseins in der Stadt Zürich. Die Reformierten konnten da natürlich nicht hintanstehen. Sie legten mit der St.-Jakobs-Kirche am Stauffacher 1899 bis 1901 nach. 

Sammlung und Ruhe
Markus Weber kennt sie alle, die Geschichten und die Geschichte hinter den 117 katholischen Gotteshäusern, die es im Kanton Zürich gibt. In akribischer, über fünfjähriger Recherchearbeit hat er sie jetzt zusammen mit Fotograf Stephan Kölliker im prächtigen Doppelband «Sakrales Zürich. 150 Jahre katholischer Kirchenbau im Kanton Zürich» zusammengefasst. Er bietet bisher so noch kaum wahrgenommene Einblicke. Wer sich durch die Seiten blättert, geht auf eine Entdeckungsreise, und das, obwohl diese Gotteshäuser vermeintlich zum Alltag gehören. 

«Es hat mich schon immer gestört», sagt Markus Weber, «dass moderne Sakralbauten nur wenig gewürdigt werden, im Gegensatz zu mittelalterlichen Kirchen, Kathedralen oder barocken Prachtbauten. Ich wollte diese Lücke schliessen.» Dabei geht es Markus Weber und Fotograf Stephan Kölliker um mehr als die reine Abbildung von Architektur und Baugeschichte. «Das Wort ‹sakral› im Titel bezieht sich auf den Kern, was Kirchen bis heute ausmacht. Das ist die spirituelle, heilige und göttliche Dimension. Diese Bauten weisen immer über sich selbst hinaus. Sie sind auch für Menschen, die mit der Kirche nichts anfangen können, Orte der Ruhe und der Sammlung, ein Ausgleich zum hektischen Alltag zwischen Arbeit, Shoppingcenter und Spielkonsole zu Hause.» Ein Kirchenbau sei dann gelungen, wenn er die Menschen zentriere, wenn er eben das Sakrale fördere. Als Beispiel nennt Markus Weber die Kirche Maria-Hilf in Zürich-Leimbach, der zweitjüngste katholische Kirchenbau in der Stadt, 1974 von Architekt Walter Moser errichtet. Zwischen Wohnblöcken und der dicht befahrenen Hauptstrasse führt eine Rampe den Besucher von den Parkplätzen hinauf zu einem Ort der Stille und des Friedens, geschützt vom Lärm der Strasse. 

Monstranz vom Flohmarkt
Nicht zuletzt widerspiegeln die Bauten auch die Veränderung des wechselseitigen Verhältnisses der Gesellschaft zur katholischen Kirche. Waren die Gotteshäuser zu Beginn ein Zeichen des Selbstbewusstseins, zeigten sie sich später bescheiden und beinahe unscheinbar, wie etwa die Kirche Heilig Geist in Höngg aus dem Jahr 1973. Auf einen markanten Kirchturm wurde hier verzichtet. «Es zeigte sich über die Jahrzehnte auch ein Wandel innerhalb der Kirche. Heute sind Gotteshäuser schlichte Orte der Gemeinschaft und der Begegnung», sagt Markus Weber. 

Zur Kirche St. Peter und Paul, der Stadtzürcher Mutterkirche der Katholiken, erzählt er am Ende noch eine Anekdote. Die Kirche besitzt nämlich ein persönliches Geschenk von Papst Pius IX., eine Grossmonstranz, die der Abt des Klosters Muri 1717 in Auftrag gegeben hatte. «Nach der Aufhebung des Klosters 1841 verschwand das Stück, tauchte später auf einem Pariser Flohmarkt wieder auf und kam dann in den Besitz des Papstes. Dieser schenkte die Monstranz schliesslich den Zürcher Katholiken als ­Zeichen seines Dankes für ihren Einsatz beim Aufbau des kirchlichen Lebens in der Diaspora.»

Die Kirche St. Anton in Zürich-Hottingen, erbaut von 1906 bis 1908: Das Fresko wurde 1921 ausgeführt. Es stellt den thronenden Christus dar, umgeben von Engeln, Aposteln und Heiligen. Bilder: Stephan Kölliker

Die Zürcher Liebfrauenkirche in Unterstrass wurde 1896 nach dem Vorbild frühchristlicher, römischer Basiliken erbaut. Mit diesem Bau wollten die Zürcher Katholiken ihre Zugehörigkeit zum Papst und zur römischen Kirche ausdrücken.  

Die Kirche St. Peter und Paul, 1874 eingesegnet, ist die Mutterkirche der Stadtzürcher Katholiken. Als das Werdhochhaus nebenan in den 1960er-Jahren errichtet wurde, diskutierte man einen Abriss. 

Die Kirche Maria-Hilf in Zürich-Leimbach, 1974 erbaut. Sie ist das zweitjüngste Gotteshaus der Stadt. Die jüngste katholische Kirche auf Stadtgebiet ist Heilig Kreuz in Altstetten, Baujahr 1977. 

Weitere Informationen:
M. Weber, S. Kölliker: «Sakrales Zürich. 150 Jahre katholischer Kirchenbau im Kanton Zürich», 2 Bände. Bestellungen: sakralbauten@bluewin.chWebseite: www.sakralbauten.ch

Bücher zu gewinnen!

Das «Tagblatt» verlost 4 Exemplare von «Sakrales Zürich. 150 Jahre katholischer Kirchenbau im Kanton Zürich», jeweils 2 Bände. Senden Sie uns eine E-Mail mit Namen, Adresse, Telefon und Betreff Kirche an:
gewinn@tagblattzuerich.ch

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