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Reportage

In Morpheus’ Armen: Der Autor schläft in der Jugendherberge Zürich viel besser als erwartet. Bild: SJ

Eine Nacht in der Jugi

Von: Sacha Beuth

19. November 2013

Früher hatten die Youthhostels nicht gerade den besten Ruf. Doch wie ist es heute? Das «Tagblatt» ging der Sache nach und hat in der Jugi Zürich übernachtet.

Was hatte ich doch in den 80er-Jahren alles für üble Dinge über Jugendherbergen gehört. Sie seien Orte voller unfreundlicher, schlampiger Angestellter, versiffter Zimmer, verdreckter Sanitäranlagen, wo ständig geklaut wird und die «coolen» Alternativreisenden sich abends zusammensetzen, um lärmend Drogen zu konsumieren. Bis vor kurzem habe ich darum Jugis im In- und Ausland gemieden. Doch diese Umstände würden längst nicht mehr der Realität entsprechen, wurde mir von verschiedenen Seiten versichert. Weil im Journalistenberuf kein Platz für Vorurteile ist und weil die Jugendherberge Zürich zu einer Medienorientierung über den barrierefreien Zugang der Schweizer Jugendherbergen geladen hatte (siehe Box), nutzte ich die Gelegenheit, das Etablissement an der Mutschellenstrasse 114 in Wollishofen einmal selber auszuprobieren.

Schon beim Betreten des Gebäudes werde ich positiv überrascht. Statt der erwarteten dunklen Kifferhöhle empfängt mich eine grosse, moderne und helle Lobby mit Bar und Ruhezonen. Das Einchecken bei der freundlichen und adrett gekleideten Réceptionistin verläuft wie in einem Hotel. Und man nimmt es – von wegen Laissez-faire – beim Ausfüllen des Meldescheins sogar sehr genau. Nur den Fahrausweis vorzeigen reicht nicht, es muss die ID oder der Pass sein. Nach ein paar Instruktionen («Frühstück gibt es von 6 bis 9.30 Uhr», «Beim Auschecken bitte gebrauchte Bettwäsche und Handtücher in den Container bei der Réception legen») bekomme ich den elektronischen Schlüssel in die Hand gedrückt und begebe mich auf mein Einzelzimmer.

Hier steht die Funktionalität im Vordergrund. Eine Mischung aus Truppenunterkunft und Motel. Einfache Holzablagen, ein paar arrangierte Snacks und Früchte, je ein kleines Nachttischchen neben dem Bett. Es hat weder TV, Radio noch Minibar. Dafür ist es angenehm warm und vor allem sehr sauber.

Ich beschliesse, mir an der Bar noch ein Feierabendbier zu genehmigen. Dort sitzen bereits John und Felix und unterhalten sich. Der 43-jährige John stammt aus Irland, war zuvor in London und arbeitet nun als Anwalt ­wieder bei seinem früheren Zürcher Arbeitgeber. «Bis ich eine Wohnung gefunden habe, übernachte ich hier in einem 4-Bett-Raum. Es ist zwar etwas eng, dafür sauber, viel günstiger als in einem Hotel, und ein gutes Frühstück ist erst noch inklusive.» Auch Felix, 33, eben von einer längeren Zentralameri­kareise zurückgekehrt und auf Jobsuche, ist ein Fan der Jugi Zürich. «Ich bin schon einen Monat hier, und dank der Memberkarte zahle ich nur 38 Franken pro Nacht im 6er-Zimmer mit Etagendusche. Das ist wesentlich mehr als in Honduras oder Nicaragua, für Schweizer Verhältnisse trotzdem günstig.» Wie er seien mindestens die Hälfte der Gäste Arbeits- und/oder Unter­kunfts­suchende. «Die typischen Backpacker kommen vor allem im Sommer.»

Topstandard, aber auch teuer

Gegen 22 Uhr ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück und schlüpfe ins Bett. Es zeigt sich, dass auch meine Befürchtungen in Sachen Lärm unbegründet waren. Es ist ruhig, und ich schlafe ausgezeichnet. Bei einem reichhaltigen Frühstück (u. a. Schinken, kalter Braten, je drei Sorten Käse und Marmelade) treffe ich dann doch noch zwei junge Rucksack-Touristinnen. Die Australierinnen Nicola (25) und Stephanie (26) sind auf Europatour und voll des Lobes über die Zürcher Jugendherberge. «Es ist sauber, ruhig, man bekommt ein gutes Frühstück, hat gratis WLAN, und das Personal ist sehr freundlich», findet Nicola. «Im Gegensatz zu den Youthhostels in Amsterdam und London, das sind gewöhnungsbedürftige Absteigen.» «Dafür ist es hier auch deutlich teurer», ergänzt Stephanie. In der Tat: Für das Doppelzimmer mit Dusche/WC sowie Frühstück muss man in Zürich 64 Franken pro Person in der Nebensaison hinblättern, für das Einzel 107 Franken. Nichtmitglieder bezahlen zusätzlich eine Tagesmitgliedschaft von 6 Franken pro Nacht.

«Wir bieten einen hohen Standard, setzen auf Nachhaltigkeit und verlangen darum auch marktgerechte Preise», sagt die stellvertretende Betriebs­leiterin Sarah Jordi, als ich sie auf das Thema anspreche. «Unsere Angestellten bekommen einen fairen Lohn, die Produkte für die Speisen stammen zum grossen Teil aus der Region, und die Infrastruktur ist mit einem Budgethotel vergleichbar. Das dürfte in vielen ausländischen Jugis anders sein.»

Inzwischen ist es Mittag. Ich ver­lasse die Jugendherberge und ziehe ­Bilanz: Das Zimmer war sauber, die Nachtruhe ungestört, das Frühstück prima, und ich wurde weder beklaut noch wurden mir Drogen angeboten. All meine Vorurteile scheinen widerlegt. Dafür hat sich ein anderes, ganz allgemeines bestätigt. Wie alles in der Schweiz sind auch Übernachtungen in Jugendherbergen für viele Touristen teuer.

Barrierefreie Jugi

Im Rahmen von «Ferien – zugänglich für alle», dem neuen Gemeinschaftsprojekt der Stiftung «Denk an mich» und der Schweizer Jugendherbergen, sollen im Laufe von drei Jahren alle 53 Unterkünfte für Behinderte barrierefrei gemacht werden. Bislang ist dies bei rund der Hälfte der Fall. Die Jugendherberge Zürich nimmt in dieser Beziehung eine Vorreiterrolle ein. Bereits beim Umbau vor 10 Jahren wurden am Eingang eine Rampe angebracht und insgesamt 7 behindertengerechte Nasszellen eingebaut. Ausserdem wurde und wird das Personal im Umgang mit körperlich und geistig Behinderten geschult. Weitere Infos: www.youthhostel.ch und www.denkanmich.ch

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