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Reportage

Mit Freude bei der Arbeit: Von links: Surjit Singh (Fachleiter Kolonial/Warenfluss), seine Frau Lovejit Kaur (Fachleiterin Non-Food); Ginger Hebel (Redaktorin); Markus Filaté (Filialleiter/Stellvertreter-Bereichsleiter); Dilek Kazakci (Kassiererin) und Arlind Salihi (stellvertretender Filialleiter). Bilder: Nicolas Zonvi

Einkaufen von früh bis spät

Von: Ginger Hebel

08. Oktober 2019

Am Puls: Die Migros-Filiale im Shopville, im Untergrund des Zürcher Hauptbahnhofs, gehört zur meistfrequentierten und macht europaweit den besten Umsatz pro Quadratmeter. Bis zu 20 Lastwagen beliefern die Filiale täglich, sonntags ist die Frequenz am höchsten. Redaktorin Ginger Hebel war für die Serie Am Puls mittendrin in der Goldgrube.

Wenn morgens um 6.30 Uhr die Türen öffnen, beginnt der Ansturm auf die Gipfeli. 800 Buttergipfeli verkauft die Migros-Filiale im Shopville an einem ganz normalen Tag. 12 000 bis 15 000 Personen gehen hier täglich ein und aus, von Montag bis Sonntag, 365 Tage im Jahr. Die Filiale im Untergrund des Zürcher Hauptbahnhofs gehört somit zur meistfrequentierten und macht europaweit den besten Umsatz pro Quadratmeter. «Wir sind ein richtiges Bienenhaus. Diese Schnelligkeit muss man mögen, mir passt das», sagt Arlind Salihi, der als Siebenjähriger aus dem Kosovo in die Schweiz kam. Heute ist er stellvertretender Filialleiter. Schon sein Vater arbeitete für die Migros, die ganze Familie kauft ihre Lebensmittel beim orangen Riesen. «Ich bin ein richtiges Migros-Chind», sagt der 37-Jährige und lacht.

Die Shopville-Filiale ist in mancherlei Hinsicht besonders. So ist sie die einzige ohne eigene Backstation. Dreimal täglich liefert die Hausbäckerei in Zürich-Altstetten frisches Brot, zweimal pro Tag Kuchen und Torten. Der Platz ist beschränkt, die Logistik eine Herausforderung. Die Kühlräume und Lager befinden sich im Untergrund, verbunden durch ellenlange Gänge. «Wer bei uns arbeitet, legt bis zum Abend einen halben Marathon hin», sagt Arlind Salihi. Bis zu 20 Lastwagen beliefern die Filiale täglich, das ganze Ladensortiment verkauft sich im Durchschnitt einmal pro Woche komplett. Sonntags ist die Frequenz am höchsten, weil dann viele Geschäfte in Zürich geschlossen haben. «Übers Wochenende bestellen wir gut und gerne 250 Kisten Sandwiches», sagt Arlind Salihi.

Der Sonntag ist aber nicht nur bei den Kundinnen und Kunden ein beliebter Einkaufstag, sondern bei den Angestellten auch ein gefragter Arbeitstag, besonders bei denjenigen, die eine Familie ernähren müssen. «Sonntags gibt es 60 Prozent Sonderzulage, das ist ein Ansporn», sagt Salihi, der sich grösste Mühe gibt, die Einsatzpläne der Mitarbeitenden fair zu disponieren. «Die Zufriedenheit im Team ist das Wichtigste», ist der ­Familienvater überzeugt.

Die positive Stimmung am Arbeitsplatz sei motivierend, bestätigt auch Lovejit Kaur, 41-jährig, Fachleiterin Non-Food. Sie arbeitet seit bald zwanzig Jahren in der lebhaften Shopville-Filiale mit Angestellten aus 30 verschiedenen Ländern. Sie fühle sich hier wie in einer Familie, was auch damit zusammenhänge, dass ihr Mann in derselben Filiale arbeitet. «Wir leben zusammen, wir arbeiten zusammen, verleidet ist es uns noch nie», sagt Surjit Singh. Sie würden sich zwar des Öfteren vornehmen, privat mal nicht übers Geschäft zu sprechen, gelingen tue es ihnen jedoch selten. «Irgendwann reden wir eben doch wieder über die Migros», sagen die beiden und lachen.

Surjit Singh ist Fachleiter Kolonial/Warenfluss und verantwortlich für das Trockensortiment. Waren bestellen, Regale auffüllen und schauen, dass alles immer ordentlich aussieht, auch wenn die Kunden zu Stosszeiten den Laden stürmen. «Wenn indische Touristen in unsere Filiale kommen, ist das Schoggi-Regal leer gekauft», sagt Surjit Singh. Er weiss, wie gerne seine Landsleute Schweizer Schokolade mögen. Wenn die Filiale um 22 Uhr schliesst, sind die Regale bereits wieder aufgefüllt, damit am Morgen alles bereit ist, wenn die ersten Kunden kommen. Die Digitalisierung hat auch den Detailhandel verändert. Self-Checkout-Kassen sind mittlerweile weit verbreitet. Die Kunden haben die Wahl, ob sie ihre Ware selber einscannen oder sich an der Kasse anstellen und das Personal die Arbeit machen lassen. «Selbstbedienungskassen haben eine Entschärfung gebracht, dennoch halten wir auch künftig an bedienten Kassen fest. Eine Vollautomatisierung wird es nicht geben. Die Kundschaft schätzt den direkten Kontakt zu den Angestellten und auch den kurzen Schwatz an der Kasse», sagt ­Mediensprecher Francesco Laratta. Markus Filaté rückt seine Krawatte zurecht.

Obwohl der Grosskonzern soeben die Krawattenpflicht abgeschafft hat, ist es den Angestellten selber überlassen, ob sie eine tragen wollen oder nicht. «Ich trage auf der Arbeit immer Krawatte, im Sommer wie im Winter, mir gefällt das», sagt der 54-Jährige. Er ist Bereichsleiter Non-Food und seit 38 Jahren im Dienste der Migros Zürich. Er kümmert sich um Bestellungen und verantwortet die Aktionen. «Wenn ich Socken brauche, weiss ich immer, wann es wieder günstige gibt», sagt er und schmunzelt. Der Schichtdienst und die Wochenendeinsätze in seinem Job bereiten ihm keine Probleme. «Als Single muss ich auf niemanden Rücksicht nehmen.» Auch ans Arbeiten im Kunstlicht hat er sich gewöhnt. «Wir haben Tageslichtpausen.» Und der Kälte im Winter und dem Durchzug im Shopville trotzt er – wie viele der Angestellten – mit Thermowäsche.

Aktuell konzentriert er sich aufs Weihnachtsgeschäft, welches im Detailhandel bereits angelaufen ist. «Die Weihnachtszeit ist für uns eine extrem wichtige Zeit.» Er müsse vorausdenken, planen, Waren bestellen. Sicherheitsbrennpaste heisst der Verkaufsrenner. «Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute an Heiligabend ohne Brennpaste vor dem Fondue chinoise sitzen.»

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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