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Reportage

Fabienne Meier (16) will handwerklich arbeiten. Bild: CLA

"Für diesen Job muss ich kein Mannsweib sein"

Von: Clarissa Rohrbach

12. November 2013

Über 500 Berufe werden an der Berufsmesse nächste Woche vorgestellt. Die meisten Jugendlichen wählen ihre ­Tätigkeit geschlechtsspezifisch. Doch es gibt Männerjobs, die bei Frauen hoch im Kurs sind, und umgekehrt.

Fabienne Meier, Lernende Schreinerin

Ihre Hosen sind stark verschmutzt, ihre Nägel perfekt lackiert. Fabienne Meier (16) streift ein Stück Holz durch die Abrichthobelmaschine. Ein Warnzeichen weist darauf hin, wie man die Finger halten sollte, damit auch alle dranbleiben. Im Raum verbreitet sich ein lautes Surren und eine Wolke aus Sägestaub. Dann streichelt sie die gehobelte Oberfläche, um ihre Arbeit zu prüfen. «Ich wollte schon immer einen handwerklichen Beruf lernen, dafür muss man kein Mannsweib sein», sagt die Lehrtochter im 2. Jahr. Ihr Traum ist es, Bühnenbauerin zu werden.

Zurzeit kümmert sie sich in der Lehrwerkstätte für Möbelschreiner (LWZ) um die Zuschnitte. Ihre Aufgabe: das Holz für Aufträge vorzubereiten. Diese Woche hat sie bereits Teile für eine Schatulle, Tischplatten und Baustellen zugeschnitten. Jetzt gerade beschäftigt sie ein Hocker. Die Länge der Komponenten steht in Millimetern auf dem Auftrag. Fabienne zieht einen Meter aus der Arbeitshose und rechnet aus, wie viele Teile sie dafür braucht. «Räumliches Vorstellungsvermögen und Mathematik sind wichtig, darin war ich schon in der Schule stark», sagt sie bestimmt und stellt die fertigen Holzteile in die Ablage. Obwohl es auch Kräne für schweres Material gebe, müsse man für diesen Job schon kräftig sein. Frauen werden da nicht anders behandelt. Trotz allen Sicherheitsmassnahmen kommt es auch vor, dass sich die junge Frau verletzt. Schnitte, blaue Flecke und eingeklemmte Finger sind an der Tagesordnung. Das mache ihr aber nichts aus, ge­nauso wenig wie der Schmutz.

«Was? Du wählst einen Männerberuf?», riefen einige Freundinnen aus, als Fabienne ihre Lehre begann. Doch ihr Vater, selber Schreiner, und ihre Mutter, Dekorateurin, haben sie stets unterstützt. Dass sie als Frau in der Minderheit ist, stört sie nicht. «Mit Männer habe ich mich immer gut verstanden, sie ­zicken weniger herum.»

Markus Bosshard, Leiter der LWZ, begrüsst die 20 Prozent Frauenanteil im Betrieb, denn früher waren es null. «Das Berufsbild hat sich verändert, heute schätzt man die Qualitäten, die Frauen mitbringen.» Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Kreativität sorgen dafür, dass Schreinerinnen gefragt sind. Einige ältere Herren in der Branche hätten noch keine Erfahrung mit Frauen und dementsprechend auch Vorurteile. «Die bringen es einfach nicht», heisst es immer noch ab und zu. Bosshard überzeugt die Skeptiker gerne vom Gegenteil: «Sobald sie eine Schreinerin anstellen, ändern sie ihre Meinung.» Natürlich würden auch in Zukunft mehr Männer das Schreinern lernen. Aber Bosshard schätzt es, dass bei den Berufen die geschlechtsspezifischen Schranken weggefallen sind. «Jeder soll Freude an seiner Arbeit haben, das ist das Wichtigste.»

Joe van Rekum, Lernender Kinderbetreuer

 «Wotsch ufs Gigampfi?», fragt Joe van Rekum sein 3-jähriges Gegenüber. Das Mädchen lässt sich begeistert auf der Schaukel anstossen. Der Lehrling im 2. Jahr betreut heute fünf Kinder im Kinderhaus Entlisberg. In der Freispielzeit dürfen die Kleinen im Vorkindergartenalter selber entscheiden, was sie machen. Zuvor waren sie mit dem Kinderbetreuer im Hasenhaus. «Wenn sie die Tiere füttern und das Stroh misten können, sind sie voll absorbiert», erklärt der 24-Jährige. Seine Aufgabe in diesem Moment: Beobachten und darauf achten, dass nichts passiert. So interveniert er, als die 2-jährige Anna gefährlich nahe an die Schaukel tritt. «Du musst jetzt ganz fest aufpassen, sonst tut das weh.» Van Rekum kniet am Boden, sein Tonfall ist etwas höher als sonst und sanft. Dann fragen ihn die Buben, ob er mit ihnen Fussball spielen will. Mit Mützen und Winterjacken ausgestattet, geht die Gruppe der «Farbtupfer» Richtung Tor. Der Ball rollt quer und ziellos durch den ganzen Vorplatz, bis sich zwei Spieler um ihn zanken. Der Aufpasser trennt sie. «Man sollte immer gut abschätzen, wann man eingreifen muss.» Er habe zu jedem Kind eine persönliche Beziehung, so seien auch die unangenehmeren Aufgaben wie Ämtli, Zähneputzen oder Wickeln keine Pflicht, sondern Spass.

Den Tag mit Kindern zu verbringen, ist für Van Rekum die grösste Freude. Es werde ihm richtig warm ums Herz. «Männer werden Väter, deshalb haben auch sie den Instinkt, sich um die Kinder zu sorgen.» Zu behaupten, Kinderbetreuer sei ein Frauenjob, das sei eine Stereotypisierung. Klar sei er als Mann in der Unterzahl, aber er fühle sich stets verstanden, weil im Kinderhaus offen kommuniziert werde.

Lange Zeit wusste der junge Mann nicht, welchen Beruf er lernen wollte. Er brach das Gymi ab und probierte verschiedene Jobs aus. Als er dann in einer WG mit einem Kleinkind lebte, kam die Idee der Kinderbetreuung auf. «Es fiel allen auf, wie gut ich mit den Kleinen umgehe.» Seine Kollegen habe seine Berufswahl nicht erstaunt, er sei immer schon ein netter und sensibler Typ gewesen. «Ausserdem kann ich immer die spannendsten Geschichten aus dem Alltag erzählen, mit den Kindern entstehen unbezahlbare Momente.»

Christa Huber, Leiterin des Kinderhauses, achtet immer darauf, dass auch männliche Lernende angestellt werden. «Für die Kinder sind männliche Bezugspersonen wichtig. Sie haben biologisch gesehen ganz andere Voraussetzungen, das ist bereichernd.» Es freue auch die Eltern. Früher sei es undenkbar gewesen, dass ein Mann Klein­kindererzieher werde, heute seien es immer mehr. «Ich finde es selbstverständlich, dass bei uns Männer arbeiten. Aber leider trauen sich nicht alle, aus der Angst, sie könnten verweichlicht wirken.»

Lehrstellen:

In der Stadt Zürich gibt es für nächsten Sommer 4700 Lehrstellen. Ein Drittel davon wird erfahrungsgemäss an Stadtzürcher Jugendliche vergeben. Für 660 Suchende fehlen somit laut Laufbahnzentrum Ausbildungsplätze. Die Abnahme um 100 Lehrstellen im Vergleich zum Vorjahr sei durch die wirtschaftliche Lage und die Ausschreibungen im Dreijahresrhythmus zu erklären. Die Berufswahl erfolgt in den meisten Fällen immer noch geschlechtsspezifisch. Die beliebteste Lehre sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist Kauffrau/-mann.


Die ­Berufsmesse findet von 19. bis 23. November in der Messe Zürich statt.
www.berufsmesse.ch

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