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Reportage

Visualisierung des Konzertsaals, der 1220 Sitzplätze haben wird, 780 im Parkett und 440 auf der Galerie, Empore und dem Balkon. Der Saal, eine sogenannte Box in der Box aus Fichtenholz, ist flexibel einsetzbar und lässt sich auch für Bankette und andere Veranstaltungen nutzen. Bild: Spillmann Echsle Architekten

Ganz neue Töne im Maag-Areal

Von: Sibylle Ambs-Keller

17. Januar 2017

Spatenstich und Auftakt zum Bau des Tonhalle-Provisoriums in der Maag-Halle: Ab September 2017 spielt das renommierte Tonhalle-Orchester Zürich für drei Jahre in Zürich-West.

Endlich, ist man fast versucht zu sagen: Nach viel Hin und Her, zahlreichen (verworfenen) Projekten und einer alles entscheidenden Volksabstimmung im Juni 2016 kann es losgehen mit dem 165 Millionen teuren Umbau der Tonhalle und des Kongresshauses Zürich. Während der rund dreijährigen Umbauphase wird das Tonhalle-Orchester Zürich seine Instrumente im trendigen Kreis 5 auspacken und das Publikum in einem eigens dafür erbauten Konzertsaal empfangen. In die Maag-Eventhalle gleich gegenüber des Prime Tower wird eine Box aus Fichtenholz gebaut, die Platz für 1220 Konzertbesucher bieten wird.

Zum Spatenstich, der nicht wirklich ein Spatenstich war, sondern eine erste Bohrung für die künftige Lüftung, erschienen nebst der Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich, Ilona Schmiel, auch Martin Vollenwyder, Präsident der Tonhalle-Gesellschaft Zürich, und die Architekten Harald Echsle, Annette Spillmann sowie Katrin Zumbrunnen, die für das Umbauprojekt verantwortlich zeichnen. Während in den bisherigen Gebäudekomplexen des Kongresshauses und der Tonhalle an der Claridenstrasse inzwischen weder der Brandschutz noch die Erdbebensicherheit gewährleistet sind, bestehen auch grosse Mängel im Backstage-Bereich: So sind die Garderoben, die Stimmzimmer und Proberäumlichkeiten der Musikerinnen und Musiker des Tonhalle-Orchesters im fensterlosen Kellergeschoss angesiedelt. Dies wird nach der Renovation in drei Jahren anders sein, und auch in der Interims-Spielstätte in Zürich-West hat es genügend Tageslicht für alle.

Allerdings gibt es Einschränkungen in anderen Bereichen. Dazu Intendantin Ilona Schmiel: «In der Tonhalle Maag, so der offizielle Name, werden wir in den Einspielzimmern und Garderoben Tageslicht haben. Allerdings sind die Platzverhältnisse hier natürlich anders. Während wir bis jetzt in der Tonhalle noch den kleinen Saal hatten, konzentriert sich hier im Maag-Areal alles auf den einen grossen Saal. Wir müssen die Prioritäten der Belegung neu setzen und weitere Möglichkeiten für die Proben suchen.» Dies könnte beispielsweise eine Kooperation mit der um die Ecke liegenden Zürcher Hochschule der Künste im Toni-Areal sein.

Aber nicht nur für das Ensemble wird es enger, auch das Management und die Verwaltung rücken zusammen: «Wir haben 36 feste Mitarbeiter in der Verwaltung, die ebenfalls ins Maag-Areal umziehen. Wir werden zum ersten Mal alle zusammen am selben Ort sein: die komplette Verwaltung, Billettverkaufsstelle, Orchester. Das bedeutet, wir rücken enger zusammen und müssen uns gut überlegen, was alles mit ins Provisorium kommt und was hierbleibt.» Büromobiliar, Akten, Noten, die Bibliothek – alles wird auf drei Orte verteilt: Ein Lager, das bis zur Rückkehr in drei Jahren unangetastet bleibt, ein weiteres Lager in der Nähe des Provisoriums, jederzeit zugänglich, und der grösste Teil wird in die Tonhalle Maag gezügelt.

Deutsches Akustikteam
An oberster Stelle steht für Schmiel aber stets die künstlerische Qualität: «Am wichtigsten ist es, höchste künstlerische Qualität auf der Bühne für alle Künstlerinnen und Künstler zu ermöglichen und diese für das Publikum erlebbar zu machen. Es darf keine Qualitätseinbussen geben, weder in akustischer Hinsicht noch in jeder anderen.» So steht sowohl für die Renovation an der Claridenstrasse wie auch für die Erstellung des Provisoriums in der Maag-Halle das gleiche Akustikteam der Firma BBM Müller aus München im Einsatz. «Die Akustiker kennen die Bedingungen in der Tonhalle und konnten in den letzten Jahren viel Spezialwissen bezüglich unserer Anforderungen sammeln. Für uns ist es elementar wichtig, dass diese Spezialisten bei beiden Projekten, also der Renovation und der Übergangslösung, involviert sind.»

Nicht nur hinsichtlich der Akustik soll das Publikum keine Einbussen erleiden. Auch wenn das Programm für die nächsten drei Jahre nicht an der gewohnten Lage am See gespielt wird, sollen die Stammgäste des Tonhalle-Orchesters den Weg nach Zürich-West finden. Ilona Schmiel: «Die Lage im Maag-Areal ist erstklassig. Es ist ein sehr lebendiges Quartier. Wenn die Abendkonzerte fertig sind, fällt man hier praktisch direkt in die nächste Bar oder das nächste Restaurant. An der Claridenstrasse musste man dazu erst Richtung Bellevue über die Brücke. Hier spielt sich das Leben gleich vor den Toren der Konzerthalle ab.»

Auch im Kreis 5 werden den Konzertbesuchern genügend Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen, und die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist einfach. «Ab Ende 2017 wird das 8er-Tram bis ins Areal hineinfahren. Und bis dahin ist man auch mit der ­S-Bahn ab Bahnhof Hardbrücke in drei Minuten zu Fuss bei uns.» Ganz zu schweigen von der Anreise per Flugzeug: Wo ist man schon in rund einer halben Stunde, oder innert zwei S-Bahn-Haltestellen, vom Flughafen im Konzertsaal?

Während der dreijährigen Spielzeit kommen sich das Orchester und die Maag-Künstler übrigens nicht in die Quere: Zwischen der rund 1500 Quadrat­meter grossen Holzbox inklusive Foyer und Entree und dem angrenzenden Musical-Bereich ist eine schalldichte Trennwand angebracht worden. So kann auf beiden Seiten gespielt, geprobt und musiziert werden, ohne dass irgendwelche Misstöne entstehen. Für Konzerte und einige Ausstellungen hat die Maag Music & Arts AG für die kommenden drei Jahre zudem die Halle 622 in Zürich-Oerlikon als provisorische Eventlocation angemietet. So werden die Anlässe Photo, heiliger Bimbam oder Man’s World ab 2018 vorübergehend in Oerlikon stattfinden.

Der Dirigent von vorne

Die Tonhalle wird in der Holzbox 1220 Plätze anbieten können, das sind rund 300 weniger als in der Tonhalle. Im Parkett stehen 780 Plätze, auf der Galerie 440 Plätze zur Verfügung. Ilona Schmiel: «Wir werden in der Interimsspielstätte nicht mehr fünf bis sechs Preiskategorien haben. Da wir hier keine Säulen haben, werden alle Plätze eine ausgezeichnete Sicht bieten. Die vier verschiedenen Preiskategorien lehnen sich an das bisherige Preisniveau an. Neu haben wir auf der Galerie Plätze hinter dem Orchester. Diese bieten eine ganz neue Sicht- und Hörweise und erlauben es, den Dirigenten auch mal von vorne zu sehen.»

Am 6. Juli 2017 findet das letzte Konzert des Tonhalle-Orchesters an der Claridenstrasse statt. Macht sich da etwas Wehmut breit? Ilona Schmiel winkt ab: «Zurzeit bleibt mir keine Zeit für Wehmut. Zudem sehe ich die zunehmend schwierigen Bedingungen hier an der Claridenstrasse und merke, wie wir wirklich an unsere Grenzen geraten. Es ist Zeit für Veränderungen, und darauf freue ich mich.» Auch wenn beim einen oder anderen Konzertliebhaber etwas Wehmut aufkommen mag, man darf sich nicht nur auf eine Tonhalle in neuem Glanz 2020 freuen. Denn bis dahin wird dem Publikum auch im Kreis 5 ein qualitativ hochstehendes Konzertprogramm präsentiert. Ab September 2017 spielt also der Holzbau im Maag-Areal die erste Geige in der Klassikagenda der Konzertliebhaber. Wie und wann und mit was es genau losgeht im Herbst, ist noch geheim. Am 12. April wird die Tonhalle-­Gesellschaft die Details präsentieren und den Billettvorverkauf eröffnen.

Konzertempfehlungen:
Mittwoch, 1. und Donnerstag, 2. Februar, 19.30 Uhr, Grosser Saal. Tonhalle-Orchester Zürich,
Alondra de la Parra (Leitung), Jan Lisiecki (Klavier): Igor Strawinsky («Pulcinella»-Suite), Wolfgang Amadeus Mozart (Klavierkonzert Nr. 9 Es-Dur KV 271), Ludwig van Beethoven (Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 «Eroica»)
Donnerstag, 9. Februar, 18.30 Uhr, Grosser Saal.
Tonhalle-Orchester Zürich, Lionel Bringuier (Leitung), Katia und Marielle Labèque (Klavierduo),
Hazel Brugger (Slam-Poetin):  Maurice Ravel
(«Rapsodie espagnole» für zwei Klaviere solo), Francis Poulenc (Konzert d-Moll für zwei Klaviere und Orchester)


www.tonhalle-orchester.ch

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