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Reportage

«Aber schauen Sie mich doch an. Jeder, der mich kennt, weiss, dass ich keiner Fliege was zuleide tun kann.» Bild: PD

Gehörnter Mann wird zum wilden Stier

Von: Isabella Seemann

03. Januar 2014

Reini H. * bekommt seine Ex-Liebhaberin nicht aus dem Kopf. Als diese vor seinen Augen mit einem Neuen knutscht, sieht er rot. Er schlägt dem Konkurrenten einen Bierkrug über den Kopf.

Nett, wenn man Freunde hat, die einen auch vor Gericht nicht im Stich lassen. Reini H.* ist wegen einfacher Körperverletzung angeklagt. Für seinen moralischen Rückhalt hat er zwei Kumpel ans Bezirksgericht mitgebracht. Zur Arbeit muss offenbar keiner von denen. In Lederkluft lungern sie bis zur Verhandlung auf dem Parkplatz rum. Red-Bull-Dosen und zertretene Zigarettenkippen breiten sich um ihre Bikerstiefel aus.

Der Angeklagte sieht die Sache locker, breitbeinig nimmt er im Gerichtssaal Platz, dreht sich immer wieder grinsend nach seinen Kumpanen um, die sich nun auf den Publikumsrängen fläzen. Reini H., 53, ist ein grosser, dürrer Mann mit langem, grauen Haar und Schnauz. Ungelenke Tätowierungen bedecken seine Hände, aber anders als seine Kollegen hat er sich für die Verhandlung ausgehfein zurechtgemacht hat. Er trägt einen Jeans­anzug mit industriell eingerissenen Stellen, aber immerhin frisch gewaschen und gebügelt.

Es geschah alles «wegen Moni»

Reini H. soll in einer Bar dem Plattenleger Urs unvermittelt zunächst den Inhalt eines Bierkruges und gleich darauf den Humpen selbst auf den Hinterkopf geworfen haben. «Wegen Moni», sagt der Angeklagte, und es tue ihm leid, und er könne sich an nichts mehr erinnern. Er lebt in geordneten Verhältnissen, hat Arbeit als Monteur und eine neue Freundin. Gesoffen hat er trotzdem. Moni ist eine verflossene Affäre, der er nachtrauert. Sie hatte ihn verlassen – für den Nebenbuhler, der kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden war. Das Drama jenes Tages fing schon an, als sie noch gar nicht in Sicht war. Er zog mit seiner Jetzigen um die Häuser, am Nachmittag Dörflifest, dann in ein Pub («Der Alkohol floss, ganz klar.») und später noch in eine Beiz. Die Jetzige geht gern dahin, die Musik rockt.

Fatal, dass auch Moni die gleiche Beiz mag, sie hatte dort mit Reini viele heitere Stunden verbracht. Sie erschien auf der Bildfläche, als er schon etliches intus hatte. Mit dem Neuen. «Wo ich die beiden gesehen habe, das hat mich ziemlich traurig gemacht», sagt Reini trübsinnig. Die Jetzige verliess den unglücklichen Mann um Mitternacht, warum, kann man sich vorstellen. Reini trank weiter, sechs, sieben Halbe und ein paar Jägermeister. «Irgendwann», sagt er, «war Filmriss. Ich lag auf dem Boden, wurde an die frische Luft gebracht. Draussen aufgestanden, wieder hingeknallt.»

Als früh der Schäferhund rausmusste, habe ihn seine Partnerin vor dem Bett gefunden. Es ist klar, worauf Herr Reini hinaus will: verminderte oder in Gänze abhanden gekommene Schuldfähigkeit wegen Trunkenheit. Auch habe er sich gewundert, dass keine Polizei ihn zu Hause aufsuchte. Als wäre das ein Beweis, dass nichts gegen ihn vorliegt. Dem Richter beweist es etwas anderes: «Wenn Sie sich gewundert haben, müssen Sie ja gewusst haben, dass Sie was gemacht haben.» Na ja, Herr Reini hatte ein ungutes Gefühl. «Aber schauen Sie mich doch an. Jeder, der mich kennt, weiss, dass ich keiner Fliege was zuleide tun kann», meint er nonchalant, was im Publikum mit Gelächter quittiert wird. «Obwohl der Urs, also der Herr M., mich provozierte, indem er absichtlich vor meinen Augen mit Moni rum­knutschte», so viel erinnert sich Reini noch. Möglich, dass er daraufhin mit dem Glas rumgefuchtelt habe.

Die Zeugen liefern die fehlende Sequenz in Reinholds Erinnerungsfilm: Urs und Moni sassen am Tresen, sie haben sich geküsst. Da kommt Reini rein mit seiner Freundin. Der guckt schon ganz böse, als er Moni sieht. Auf einmal bekommt Urs einen Schlag auf den Hinterkopf. «Lass die Finger von meiner Freundin!», soll der Eifersüchtige wutentbrannt geschrien haben. «Du wirst schon sehen, was du davon hast!» Mehrere Stammgäste zogen ihn weg. Urs wurde schwarz vor Augen. Kollegen brachten ihn mit dem Taxi ins Krankenhaus: Dort stellten die Ärzte eine Gehirnerschütterung und eine Platzwunde fest. Hätte der Geschädigte nicht den Kopf weggedreht und zudem einen solchen harten Schädel, hätte es weitaus schlimmer kommen können.

Es soll ihm eine Lehre sein

Für die Staatsanwalt ist der Fall klar, er erklärt dem Angeklagten: «Klar ist, dass Sie nicht mehr genau wussten, was Sie taten, dass Sie aber ein bisschen wussten, was Sie taten.» Der Richter macht eine Kurzfassung, sozusagen den Trailer zum Film: Die Moni mit dem Neuen. Herr Reini sieht, dass der sie küsst. Da geht er hin und meint, jetzt müsse das Bierglas sprechen. Mit Henkel. Jener hat einen Holzkopf, wie er sagt, sonst wärs schlimmer ausgefallen. Es sei nicht auszuschliessen, sagt er, dass der Angeklagte in verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat. Das Gericht ergreift die Strafminderungsmöglichkeit.

Wegen Körperverletzung wird der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 90 Franken verurteilt sowie einer Busse von 1800 Franken. Die Geldstrafe fällt bedingt aus, damit hat Reini noch Glück gehabt. Dafür muss er Herrn Urs eine Genugtuung von 5000  Franken sowie eine Prozessentschädigung von 3700  Franken bezahlen. Es soll ihm eine Lehre sein. Fürs nächste Mal, wenn die Jetzige auch wieder verflossen ist und einen neuen Liebhaber hat.

* alle Namen geändert

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