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Reportage

Steve Temperli gewährt «Tagblatt»-Redaktorin Maja Zivadinovic einen Einblick in das breite Angebot des Sexshops an der Badenerstrasse. Bild: Nicolas Y. Aebi/Comic: Beni Merk

Herzensangelegenheit Sexshop

Von: Maja Zivadinovic

02. Oktober 2018

Seit 25 Jahren führt Steve Temperli die Erotikfactory an der Badenerstrasse, wo Sex auf Burkas und einsame Menschen auf Dominas treffen. Für die Serie «Am Puls» mittendrin: Redaktorin Maja Zivadinovic.

Den typischen Stammkunden gibt es nicht. Genau dieser Fakt ist einer von vielen, warum Steve Temperli schon über ein Vierteljahrhundert lang gern zur Arbeit kommt. Keinen einzigen Tag habe es gegeben, an dem er keine Lust hatte, hinter dem Verkaufstresen seiner Erotikfactory an der Badenerstrasse 254 zu stehen. Der zweistöckige Laden bietet für jeden etwas Passendes: Nebst einer grossen Auswahl an DVDs, die man mieten und kaufen kann, gibt es hier Dildos, Vibratoren, Peitschen, Penis-Lollipops, Kondome, Gleitmittel, Magazine und vieles mehr. 

Im unteren Stock betreibt Temperli auch Videokabinen. Oben hat er einen Raum eingerichtet, der sich an Schwule richtet. Temperli, selbst schwul und schon lange fest liiert, ist es wichtig, dass sich hier jeder willkommen, verstanden und vor allem gut beraten fühlt. 

An diesem sonnigen Samstagnachmittag betritt ein älterer Herr den Laden. Schon von weitem begrüsst er das Verkaufspersonal. Er kennt alle beim Namen. Der Herr ist aus Basel angereist. Das macht er regelmässig. In die Erotik­factory kommt er vor allem wegen der Gay­magazine, die er in Basel nicht findet. Und wegen Steve und seines Teams. Der Herr setzt sich an den Tresen. Es geht ihm so lala. Der Darmkrebs hat ihn lange ans Bett gefesselt. Die Chemotherapie ist jetzt durch. Endlich habe er wieder genug Energie für Ausflüge nach Zürich in seinen Lieblingsladen. Steve hört geduldig zu. Schnell wird klar: Hier geht es mehr um das Zwischenmenschliche als um klingelnde Kassen. Heute kauft der Basler nur eine Packung Kondome und nimmt Magazine mit, die kostenlos aufliegen. 

Nun betritt ein Mann um die 60 den Laden. Auch er grüsst schon von weitem. Sein Haar ist grau, die Brille im Gesicht fein, das Hemd und die Hose fein. Ein Stammkunde. Sehr Sextoy-fixiert. Er und seine Frau zelebrieren ein aktives Sexleben. Und freuen sich immer, wenn Steve neue Spielsachen im Angebot hat. Der Einkauf aber, der ist Männersache. «Über die Frau weiss ich nur, dass sie sehr klitoral veranlagt ist und Utensilien mag, die heftig vibrieren», sagt Temperli. Gesehen aber hat er sie noch nie. Nachhaken tut er nicht. Diskretion ist dem Inhaber und Geschäftsführer wichtig. Heute hat er für den Kunden ein besonderes Zückerli: Der neuste Vibrator dürfte der Frau himmlische Stunden bereiten. Dazu gibts ein Gratismüsterli des neusten Gleitmittels. Der Kunde strahlt, und auch Temperli ist glücklich. Ist es allgemein so, dass die Kundschaft hier vor allem männlich ist? «Keineswegs», führt Temperli aus. Hier kehren Single-Frauen genauso ein wie Freundinnen mit ihren Partnern. Sogar verschleierte Frauen seien hier keine Seltenheit. «Das sind meist Touristinnen, die mit ihren Männern kommen. Während diese dann den Lead übernehmen, halten sich die Frauen im Hintergrund auf.» Es sei auch nonverbal klar, dass Temperli das Beratungsgespräch ausschliesslich mit den Männern führt. Das sei aber natürlich sehr okay. 

Und dann gibt es da auch noch die eine Stammkundin, die Temperli in den letzten Jahren sehr ans Herz gewachsen ist. «Eine der stadtbekanntesten Dominas», sagt er. Eine kleine, zierliche Frau. Mit roten Haaren. Sie besucht den Laden regelmässig mit ihren Sklaven. Während diese dann auch mal auf allen vieren durch den Laden kriechen, konzentriert sich Temperli auf die Domina. Dass er in solchen Situationen quasi ungefragt in ein sexuelles Spiel miteinbezogen wird, stört den 53-Jährigen kein bisschen. «Ich habe ja mit dem Sklaven nichts zu tun. Ich fokussiere ganz neutral auf die Fragen und Wünsche der Domina.»

In der Zwischenzeit ist es kurz nach 16 Uhr. Ein Mann um die 50 läuft zackig zu den DVDs. Seine Auswahl trifft er schnell. Viel reden mag er nicht. Der Kunde gehört in die Kategorie einsame Menschen, die sich im wahren Leben nicht an die Frau trauen. Von denen gebe es viele, weiss Temperli. Ihre Sexualität leben sie daheim hinter verschlossenen Türen. Mit sich selbst. Pornografie als Filter gegen die Einsamkeit. Dass das Business mit den Miet-DVDs selbst im Zeitalter von Gratispornos im Internet immer noch funktioniert, weiss Temperli schnell zu erklären. Zum einen gibt es viele Menschen, die keine Spuren im Internet hinterlassen wollen. Andere wiederum schätzen das Pornoerlebnis auf dem grossen Fernseher. Die geniessen das ganze Ritual: vom Besuch in der Erotik­factory bis zum Vergnügen auf der Couch. 

Die nächste Kundin steuert auf das Spassregal mit essbaren Penissen und Brüsten zu. Sie sucht einen Schoggi-Penis als Deko für eine Torte. Auch hier weiss Temperlis Personal mit einem Griff zu helfen. Auf dem Weg zur Kasse bleibt die Kundin bei den neusten Vibratoren in Zartrosa und Türkis hängen. Temperli nimmt sich Zeit für eine ausgiebige Beratung. Die Kundin darf die Modelle in die Hand nehmen, selbst ausprobieren und spüren. Neben dem Schoggi-Penis entscheidet sie sich spontan für ein kleines Modell in Hellgelb. 

Wie lange will Temperli eigentlich noch selbst im Laden stehen? «So lange wie möglich», sagt er. «Oder so lange uns das Internet nicht überholt hat.» Angst hat er aber keine. Zwischen dem anonymen Netz und dem Erlebnis im Laden liegen schliesslich Universen. «Bei uns kriegt der Kunde eine kompetente Beratung, darf die Sachen in die Hand nehmen, fühlen und alles fragen, was er auf dem Herzen hat.» In seiner Erotikfactory, betont Temperli noch einmal, stünden der Mensch und seine Sexualität definitiv im Mittelpunkt. Ihm ist es am wichtigsten, dass hier Hemmungen abgelegt werden können. Und dem Sexleben genug Freiraum geboten wird, damit dieses unbeschwert passieren kann. 

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