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Reportage

Robert Zingg als Kurator des Zoo Zürich mit einem Lemuren auf Madagaskar. Bild: Zoo Zürich/Samuel Furrer

Im Einsatz für grosse und kleine Tiere

Von: Sacha Beuth

20. April 2020

ZOO Rund 26 Jahre hat er als Kurator die Geschicke des Zoo Zürich mitbestimmt. Er jagte Hühnerdieben und Dokumenten hinterher und half bei der Umsetzung moderner Tieranlagen. Nun geht Robert Zingg (65) wie sein Chef, Direktor Alex Rübel, in Pension. 

Seine Dienstzeit im Zoo Zürich bescherte Robert Zingg unzählige Erlebnisse. An eine lustige Anekdote erinnert sich der 65-Jährige aber besonders gern. «Es war in meinen Anfangsjahren im Zoo. Damals befand sich im oberen Bereich des heutigen Wolfsgeheges eine Anlage für Korsakfüchse. Dort fanden wir eines Tages plötzlich tote Hühner darin, die einen Tag zuvor noch friedlich im Gehege der Vikunjas (eine Lama-Art, die Red.) herumgepickt hatten. Wir rätselten und rätselten, wie die Hühner zu den Füchsen gelangt sein könnten, bis uns Kommissar Zufall half. Eines Morgens fanden wir im Vikunja-Gehege einen verängstigten Korsakfuchs vor, der von den Vikunjas in eine Ecke gedrängt worden war. Dem kleinen Räuber musste es irgendwie gelungen sein, nachts aus seinem Gehege zu entweichen. Er fing sich dann die Hühner, war aber mit seiner Beute immer vor Zooöffnung in seine Anlage zurückgekehrt. Nur dieses eine Mal hatten ihm die Vikunjas einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er liess sich dann auch relativ bereitwillig einfangen, als wir ihn aus seiner misslichen Lage befreiten», schmunzelt Zingg und ergänzt: «Selbstverständlich haben wir danach die Korsakfuchs-Anlage sicherheitstechnisch nochmals nachgerüstet».

Balkon mit Blick auf die Nashörner

Tiere und ihre Fähigkeiten haben Zingg schon von klein auf fasziniert. Was auch kein Wunder ist, denn wenig später, nachdem Robert in Binga, im damaligen Belgisch-Kongo, zur Welt gekommen war, zieht die Familie Zingg über Holland und Lausanne nach Basel – in eine Wohnung, die direkt an den dortigen Zoologischen Garten grenzt. «Von unserem Balkon aus hatten wir eine prima Aussicht auf die Nashörner.» Diese ziehen den jungen Robert Zingg wegen ihres urtümlichen Erscheinungsbildes und ihrer Biologie ganz besonders in seinen Bann, während ihn die Katzen und Hunde, die seine Familie besass, nur mässig interessierten. Um seinen kolossalen Lieblingen nahe sein zu können, anerbietet sich Zingg mit zweien seiner Schulgspänli, den Tierpflegern des Zolli zur Hand zu gehen. «Wir sind dann an schulfreien Tagen jeweils noch vor Zooöffnung durch die Torgitter geschlüpft, zu den Nashörnern gerannt und haben dann Besucherwege gefegt und andere kleinere Arbeiten ausserhalb der Gehege erledigt. Alles natürlich höchst inoffiziell, weshalb wir uns jeweils verdünnisieren mussten, wenn der Zoodirektor und seine Kuratoren auftauchten.»

Eine ostdeutsche Biologiestudentin, die bei Abwesenheit der Eltern öfter die Aufsicht über Robert und seine drei Brüder übernimmt, bringt Stabheuschrecken und exotische Salamander zur «Kinderunterhaltung» mit, was das Interesse an Tieren zusätzlich anfacht. Und weil der Basler Junge in seiner Freizeit zudem gerne Frösche und andere Amphibien fängt und in selbst gebauten Terrarien und Aquarien mit Eternit-Boden («Damals wusste man noch nichts vom Problem der Asbestfasern») hält, gleicht auch sein Zimmer immer mehr einem Mini-Zoo. Auf die Haltung von Schlangen verzichtet er jedoch. «Das war ein Kompromiss, den ich mit meiner Mutter eingehen musste.»

Als Robert 15 Jahre alt wird, zieht die Familie nach Bonstetten. In dieser Zeit lernt der Teenager nicht nur seine spätere Ehefrau kennen, sondern wechselt auch auf das Gymnasium Rämibühl. Nach der Matura studiert Zingg von 1974 bis 1980 – natürlich – Biologie an der Uni Zürich und absolviert danach ein Praktikum bei der Fachstelle Naturschutz des Kantons Zürich. Später begleitet er diverse Projekte im Zusammenhang mit Amphibien, entwickelt Praktika für Biologie-Studenten der Uni und forscht vorab an Amphibien und Kleinsäugern. Aufsehen erregt ein Beitrag über Beutelfrösche. Zingg ging der Frage nach, wie deren Laich in den auf dem Rücken der erwachsenen Tiere befindlichen Beutel gelangt. Für den inzwischen verheirateten Zingg werden seine Forschungsobjekte gelegentlich zur Belastungsprobe für seine Ehe. «Dass ich eine Wechselkröte, die viele Jahre bei mir gelebt hatte, in die Ehe brachte, war eine Kröte, die meine Frau noch relativ leicht schlucken konnte», witzelt Zingg. «Schwieriger war es, als ich an Schneemäusen forschte und ein Exemplar aus dem Terrarium ausbüxte und die kostbaren Vorhänge, die meine Frau eben erst angeschafft hatte, annagte.»

Inzwischen hat sich Robert Zingg als Biologe schon einen Namen gemacht. So führt er unter anderem auf Radio DRS1 durch die Sendung «Ratgeber Tiere» und hält Vorlesungen an der ETH und der Uni Zürich. Ab 1986 beginnt er für seine Doktorarbeit am Verhalten von Igeln zu forschen und ist nächtelang unterwegs, um die mit Peilsendern versehenen Exemplare zu verfolgen. Zugleich wird der Wunsch nach einem Job mit regelmässigem Gehalt immer stärker. Darum zögert Zingg auch nicht lange, als er 1993 im «Tagi» ein Inserat des Zoo Zürich entdeckt, der einen Kurator (in etwa: «Bereichsleiter», die Red.) für Säugetiere und Vögel sucht. Er bewirbt sich kurzerhand und wird auch prompt angestellt. «Dabei hatte ich bis dahin gar nie vor, einmal im Zoo zu landen. Auch hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich 26 Jahre in diesem Job und ausschliesslich in Zürich verbringen würde.»

Einstieg mit toten Äffchen

Der Einstieg ins Kuratoren-Metier am 1. Mai 1994 fällt heftig aus. Zingg hat kaum Personal und Tiere kennengelernt, als innerhalb eines Monats je ein Jungtier bei den Schimpansen und bei den Gorillas stirbt und zwei neugeborene Orang-Utans nicht von ihren Müttern angenommen werden – wobei einer davon schliesslich wegen eines Herzfehlers zu allem Überdruss auch noch eingeschläfert werden muss. «Da war medial ziemlich Feuer unter dem Dach und mein Telefon klingelte fast ununterbrochen.» Sterben Tiere, geht das vielen Menschen nahe. Zingg hat dafür Verständnis. «Auch mich machte es beispielsweise traurig, als wir unseren Elefantenbullen Maxi einschläfern mussten. Das Problem ist mehr, dass eine sachliche Diskussion kaum möglich ist, wenn man sich auf der Gefühlsebene befindet.»

So hat Zingg auch immer ein besonderes Auge darauf, welche Nachrichten aus dem Zoo veröffentlicht werden – und in welcher Form. Journalisten, die ungebeten beim Abtransport einer Schimpansengruppe auftauchen und Fotos machen oder im Wald einen Fangkäfig für einen entflohenen Kapuzineraffen aufstöbern und dabei Dutzende Bilder einer Fotofalle auslösen, machen sich da nicht gerade beliebt. Generell bringt Zingg aber nicht so leicht etwas aus der Ruhe. «Nur einmal war ich mit den Nerven echt am Ende. Das war, als wir in Madagaskar einen Tiertransport zur Besetzung der Masoalahalle organisieren mussten. Da wurde quasi für jeden Schritt von den Behörden wieder ein neues Dokument gefordert, wobei wir das Papier dafür auch noch selber in einer Papeterie besorgen mussten. Dann fehlte die Unterschrift eines Tierarztes und als wir die endlich hatten, wurde kurz vor Abflug in die Schweiz noch eine minutiöse, aber nicht sehr kompetente Kontrolle unserer Transportbehälter angeordnet», erinnert sich Zingg seufzend. Direkt sagt er es nicht, aber man kann schon heraushören, dass der mit Tiertransporten verbundene Behörden- und Papierkram nicht zu seinen Lieblingstätigkeiten als Kurator gehört. Zugleich stellt Zingg aber auch klar, wie sehr ihn seine vielseitigen Aufgaben erfüllen. «Kein Tag ist wie der andere. Mal gilt es, Spannungen in Tiergruppen zu lösen, mal einen Sanierungszeitpunkt für die Werkstatt festzulegen, mal Haltungsverbesserungsvorschläge von Tierpflegern zu realisieren oder Anfragen von Kollegen, Journalisten und interessierten Zoobesuchern zu beantworten.» Nicht zu vergessen die Mitarbeit an der Umsetzung des Masterplans und der Realisierung neuer Tiergehege. «Im Zoo zu arbeiten, war für mich ein Privileg», sagt Robert Zingg denn auch heute.

Entsprechend ist sein Engagement für den Tiergarten und seine Pfleglinge, welches ihn von morgens 7.15 Uhr bis oft spät in die Nacht auf Trab hält. Und das sowohl seine ernste wie seine humorvolle Seite zum Vorschein bringt. Da ist einerseits der Robert Zingg, der anpacken kann, wo Not am Mann ist. Der immer mit wachen Augen durch den Zoo geht und sich dabei nicht zu schade ist, Abfall auf den Zoowegen einzusammeln. Und der Jugendliche korrekt, aber resolut zurechtweist, wenn sie über die Abschrankung klettern und Gibbonaffen necken. Da ist aber auch der Robert Zingg, der zoologisch nicht so bewanderte Zeitgenossen gerne – und ohne mit der Wimper zu zucken – über erfundene biologische Fakten und Tierarten «aufklärt», der blitzschnell und gekonnt kontert, wenn man ihn aufzieht und der seine Pressetexte gerne mit humorvollen, jedoch inhaltlich stets korrekten Anekdoten und Hinweisen «würzt».

Leute für Tiere begeistern

Nun heisst es für den Zoo also Abschied nehmen von einem herausragenden Zoologen und «Tiermenschen». Und es ist ein Abschied, der wegen der Coronakrise unwürdig, da fast in aller Stille, abläuft. Zingg jedoch trägt es mit Fassung. «Klar habe ich es mir auch etwas anders vorgestellt. Aber es bringt nichts, darüber zu hadern. Und es kommt sicher die Gelegenheit, wo wir das geplante Abschiedsfest nachholen können. Abgesehen davon, werde ich nicht komplett von der Bildfläche verschwinden, sondern dem Zoo im Vorstand der Tiergartengesellschaft und als Besucher erhalten bleiben.» Viel wichtiger ist dem Basler ein anderer Punkt. «Über 50 Prozent der Menschen leben heute in Städten. Somit kommen sie auch immer weniger in Kontakt mit der Natur. Zoos haben darum die Aufgabe, die Leute für Tiere zu begeistern, damit sie sich für den Erhalt unserer Biodiversität einsetzen. Meine Hoffnung ist, dass ich mit meiner Tätigkeit einen Beitrag dazu leisten konnte.»

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