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Reportage

Die mit Druckluft und Transportbüchsen betriebenen Rohre der Stadtrohrpost dienten zum schnellen Transport von Telegrammen und Eilbriefen zwischen dem Haupttelegrafenamt Fraumünster und der Filiale beim Hauptbahnhof sowie weiteren Post- und Telegrafenämtern. Die historische Aufnahme stammt aus der Zeit zwischen 1921 bis 1945.Museum für Kommunikation, Bern

Im Zürcher Untergrund geht die Post ab

23. Juni 2020

Stadtrohrpost: In Zürich werden immer wieder U-Bahn-Visionen wach. Dabei verfügte die Stadt bereits in den 1920er Jahren über ein bescheidenes Netz. Nur war es nicht für den Personenverkehr bestimmt. 

«Nur wenige wissen um das Geheimnis, das unter dem Asphalt der Strassen Zürichs verborgen liegt», hielt die Neue Zürcher Zeitung 1943 fest. Gemeint war ein Rohrnetz, mit einem Durchmesser von 65 Millimetern, welches direkt unter der Bahnhofstrasse durchführte. Dessen Geschichte ist weitgehend unbekannt, und es ist das Verdienst von Technikhistorikerin Rachele Delucchi von der ETH Zürich, diese «geheime City-Nische», wie sie sie nennt, ans Licht zu bringen. Sie hat in ihrer Masterarbeit, die eben publiziert wurde, ein so gut wie unerschlossenes Stück Zürcher Geschichte zugänglich gemacht und im Rahmen des bundesweiten PTT-Projektes kontextualisiert, das zur Errichtung der ersten Schweizer Stadtrohrpostanlagen in den 1920er-Jahren führte.

Nach Lausanne hatte in Zürich als zweite Schweizer Stadt 1926 die zweite Stadtrohrpostanlage ihren Betrieb aufgenommen. Die mit Druckluft und kleinen Transportbüchsen betriebenen Rohre der Stadtrohrpost dienten zum schnellen Transport von Telegrammen und Eilbriefen zwischen dem Haupttelegrafenamt Fraumünster, der Filiale beim Hauptbahnhof, weiteren Post- und Telegrafenämtern sowie den Banken rund um die Bahnhofstrasse. Zuvor waren dringende Postsendungen durch Expressboten geliefert worden. Dies kostete nicht nur Zeit, sondern auch Geld.

«Ding der Unmöglichkeit»

Die erste Zürcher Fernrohrpostanlage zählte zwei öffentliche Anschlüsse und zehn Bankanschlüsse. Die Banken beteiligten sich damals finanziell am Bau der Hauptstrecke zwischen Telegrafenfiliale Hauptbahnhof und Haupttelegrafenamt. Das Netz wurde erweitert und dann auch automatisiert. In einem NZZ-Artikel von 1976 ist die Rede davon, dass die Gesamtlänge des Schweizer Stadtrohrpostnetzes 93 Kilometer lang sei, wovon 45 Kilometer allein auf Zürich entfielen. An einem Wochentag würden in Zürich im Durchschnitt 4000 Büchsen transportiert.

Die erste Idee hatte in Zürich bereits 1907 zirkuliert. Damals scheiterte das Projekt laut Delucchi vor allem aus Platzgründen. Mitte der 1920er-Jahre war wieder Platzmangel das Stichwort, das zum einen das Projekt befeuerte, aber auch Hindernisse schuf. Der oberirdische Verkehr hatte stark zugenommen, und zugleich war der Untergrund durchzogen von Kabel und Rohren der Wasser- und Energieversorgung. Der Verantwortliche der Wasserversorgung sprach davon, dass es «fast ein Ding der Unmöglichkeit sei», unter den Gassen der Stadt eine weitere Leitung zu verlegen. Es kam dann doch anders: Statt einer kleinen, feinen Rohrpost, wie sie hätte unter der Bahnhofstrasse verlegt werden sollen, wurde das Netz weiter dimensioniert und – anders als in anderen Städten – auch Privatfirmen angeschlossen.

Der Zürcher Stadtrat erteilte die Bewilligung «nur mit grossen Bedenken» und unter der Bedingung, dass es in den nächsten Jahren zu keinem erneuten Aufbrechen der beanspruchten Strassen käme. Die angeschlossenen Privatfirmen waren zunächst ausschliesslich Banken. «Die Rohrpost hatte im dunklen Untergrund eine private Umgebung geschaffen, in der die Banken direkt miteinander kommunizieren konnten», sagt Delucchi, «oder zumindest fast: Im Haupttelegrafenamt fand bei der Büchsenumladung eine sekundenlange Vermittlung, eventuell sogar eine Kontrolle der Geschäftskorrespondenz statt, um Verletzungen des Postregals auszuschliessen».

Der Zürcher Bankenplatz war in der Nachkriegszeit wegen der politischen Stabilität immer attraktiver geworden, die Geschäfte mit dem Ausland wurden meistens mittels Telegrammen abgewickelt. Entsprechend eng war der Kontakt der Banken mit der Telegrafendirektion der Post. Auch der für die Banken zentrale Eildienst lag in deren Verantwortung, und das Konzept der Hausrohrpost war den Banken als auch der Post bereits innerhalb deren eigener Gebäude bestens bekannt gewesen, so dass die Idee vom direkten Anschluss untereinander ein naheliegender war. So zirkulierten Telegramme, Checks und Abrechnungen zwischen Banken und Postverwaltung, Last- und Gutschriften auf Postscheckkonti unter den Strassen um die Bahnhofstrasse.

 Die erste Rohrpost-Anlage überhaupt in der Schweiz wurde übrigens in der Druckerei des «Tagblatts der Stadt Zürich» eingerichtet. «In der Tagblatt-Druckerei ist man des Lobes voll über die neue Einrichtung», hielt die NZZ im Januar 1899 fest. Ob Manuskripte auf- oder abwärts befördert würden, spiele keine Rolle. Hauptsache, es sei genügend Luftdruck vorhanden. Die Schweizer Städte waren Spätzünder. In Wien, London und Berlin hatte die Untergrundbahn bereits im 19. Jahrhundert Einzug gehalten. London machte 1853 den Anfang. Damals wurden auch andere Verwendungszwecke als die Beförderung von Manuskripten studiert. Etwa der Transport der Toten in die Friedhöfe, die aus hygienischen Gründen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den Stadtzentren weit hinausverlegt wurden.

Schliesslich haben neue Kommunikationsmittel wie Fax und E-Mail viele Rohrpostsysteme im städtischen Untergrund abgelöst. Doch solche Systeme existieren heute noch, überwiegend in Gebäuden, um Bücher, Akten oder auch Blutproben zu befördern.

Rachele Delucchi: Eine Nischenangelegenheit. Zur Geschichte der Stadtrohrpost in der Schweiz (circa 1920– 927), Preprints zur Kulturgeschichte der Technik 34. Zürich: ETH Zürich 2020.

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