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Reportage

Jaaa, Waldhütte bauen!

Von: Clarissa Rohrbach

14. April 2015

Das Projekt «Baumwelten» von Lunge Zürich ist ein Riesenerfolg. Dabei lernen Primarschüler den Wald kennen. Wir haben eine Wollishofer Klasse begleitet.

«Wäääh, gib mir meinen Blütenduft zurück!» Das Mädchen mit dem blonden Pferdeschwanz rümpft die Nase. Es hat seine Gänseblümchen im Kreis weitergegeben und dafür ein undefinierbares grünes Etwas von einem Buben in die Finger bekommen. «Meins riecht nur nach Gras», beklagt sich eine andere Neunjährige. Die Klasse besucht den Entlisbergwald in Wollishofen. Die Aufgabe: Kräuter, Blätter und Blumen sammeln und dabei den Lieblingsduft finden. Daraus gibt es dann das Zvieri, einen süssen und einen salzigen Quark mit Knäckebrot.


Zuvor hat Umweltpädagoge Stephan Kelz die Kinder des Schulhauses Neubühl zum «Baumwelten»-Tag willkommen geheissen. Bei dem Projekt von Lunge Zürich gehen Primarschüler einmal pro Jahreszeit in den Wald. Grund: Ihnen die Funktion der Bäume zu erklären. Ziel: Den Zusammenhang zwischen Wald, Luft und Atmung zu verstehen.


«Uwawawa!» Kelz’ Indianerruf weckt wieder die Aufmerksamkeit der zankenden Kinder. Sie sollen nun ihr Lieblingskraut pflücken. «Ich suche Brennnesseln», meint ein ganz Unerschrockener. Kelz mahnt, nur ganze Blätter zu ihm zu bringen. Denn er muss jedes Kraut erkennen und entscheiden, ob es essbar ist oder nicht. «Sie? Wissen Sie, wo der Bärlauch ist?» Der sogenannte Waldknoblauch hat gerade Saison und ist bei der Klasse hoch im Kurs. Sie ziehen los, einige rennen den Wald hinauf, andere zur Wiese hinunter. Ein Mädchen zieht einem anderen einen Wurm von den Jeans weg.


Einige in der Klasse riechen nicht nur zum ersten Mal an Blättern, sondern waren vor dem Projekt noch nie im Wald. «Viele Kinder haben einen strikt durchstrukturierten Tag, ein Hobby jagt das nächste, da bleibt keine Zeit für das Spiel im Wald», sagt Kelz. Andere Eltern seien so fixiert auf ihre Smartphones und Tablets, dass die Kinder den Bezug zur Natur verlieren würden. Dabei sei es für die  Kleinen wichtig zu verstehen, dass man zur Umwelt Sorge tragen sollte. «Tu das schützen, was du kannst nützen», das ist das Motto von Kelz.


Er hat nun ein Tuch ausgebreitet, worauf die Kinder ihre Kräuter verteilen. Kelz erzählt vom Hahnenfuss, der nur für Kühe gut ist. Von der Gundelrebe, die auch in der 5-Kräuter-Suppe enthalten ist. Von der Brennnessel, die harntreibend wirkt. «Iiiiih, da müssen wir dann aufs WC», meinen zwei Freundinnen, die nun Tannennadeln zerschneiden. Ganz fein, wie Pulver, sollen sie werden. «Müssen wir die Blätter waschen?», fragen zwei Buben, die Löwenzahn rüsten wollen. «Selbst­verständlich!», antwortet der Pädagoge. Einige Kinder sitzen beim plätschernden Brunnen, andere auf Bäumen, Dritte lassen sich von den Vögeln ablenken.


Ist alles geschnetzelt, wird der Quark gemischt und probiert. Danach kommt der Kern der Lektion. «Was hat das alles mit Luft zu tun?», fragt Kelz. «Ohne die Teilchen würden wir den Duft nicht riechen», weiss einer. «Teilchen wie Sauerstoff und CO2», weiss ein anderer. Der Lehrer nickt und erklärt, dass Bäume den Kohlenstoff, den Menschen ausatmen, wieder in Sauerstoff verwandeln. Die Kinder schauen ihn ernst an.


Saubere Luft, das ist ein Kernthema von Lunge Zürich. Nahmen beim Start von «Baumwelten» 2008 pro Jahr nur zwölf Klassen zwischen der 3. und der 5. Stufe am kostenlosen Angebot teil, sind es heute 60, weil die Nachfrage so gross ist. Das sind über 1300 Primarschüler im ganzen Kanton. Und doch sind das immer noch zu wenig. «Wir müssen der Hälfte der Interessenten absagen, weil wir nicht genug Kapazität haben», sagt Pressesprecherin Myriam Flühmann. Aktuell würden nur 1,5 Prozent der Schüler im Kanton vom Angebot profitieren. Dabei meinten laut einer Studie 95 Prozent der befragten Lehrer, dass jede Klasse solche Tage erleben sollte. Deswegen sucht die Organisation noch nach Gönnern, um das Projekt zu erweitern.


«Und jetzt: Sucht den Frühling auf eurem Baum!» Kelz jagt die Kinder schliesslich los zum Baum, den sie am ersten Waldtag als ihren eigenen gewählt haben. Die Kleinen zeigen auf die Knospen, der Pädagoge erklärt, wie diese spriessen. Doch die Truppe ist nicht mehr zu halten. Einige umarmen Bäume, andere treten dagegen. Schliesslich dürfen sie ihre Freizeit geniessen. «Jaaa, Hütte bauen!»


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