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Reportage

Ein Teilnehmer der Kochabende in der Herberge zur Heimat. (Bild: Beatrice Jäggi)

Kochlöffel gibt Lebensmut

Von: Christian Saggese

15. Dezember 2020

Zwei angehende Ergotherapeutinnen organisierten in der Herberge zur Heimat Kochabende für Männer in schwierigen Lebenssituationen. Sie konnten helfen, deren Selbstvertrauen wieder zu stärken.

Oft braucht es nicht viel, um einem Menschen in einer schwierigen Lebenssituation eine kleine Perspektive zu geben. Manchmal reicht es, gemeinsam eine Pizza zu backen, das wissen Noémie Meyer (21) und Livia Kreis (25) genau. Die angehenden Ergotherapeutinnen organisierten im Rahmen ihres Bachelorstudienganges an der ZHAW fünf Kochabende in der Herberge zur Heimat. Dabei handelt es sich um ein Zürcher Männerwohnheim, in welchem momentan 46 Männer Hilfe in der Bewältigung ihres Alltages erhalten. Einige sind IV-Rentner, andere haben psychische Beeinträchtigungen und/oder Abhängigkeitsstörungen. Doch eines haben alle gemeinsam: Sie sind von der Gesellschaft und von für sie bedeutsamen Betätigungen ausgeschlossen. Ihnen fehlt dadurch ein roter Faden, der sie durchs Leben führt. Die Ergotherapie soll helfen, die Betroffenen wieder an gesellschaftlichen Aktivitäten teilhaben zu lassen und durch gezielte, sinnvolle Arbeit ihr Selbstvertrauen zu stärken und sie ein Stück unabhängiger zu machen.

Durch eine Stadtführung der Organisation Surprise stiessen Livia Kreis und Noémie Meyer auf die Herberge zur Heimat. Vom Geschäftsleiter Maurus Wirz erfuhren sie, dass einige Bewohner das Kochen vermissen. Die Männer leben dort in Vollpension und werden normalerweise professionell bekocht. «Da die selbstständige Zubereitung von Mahlzeiten viel Autonomie in den Alltag bringt, haben wir uns entschlossen, gemeinsam mit den Männern zu kochen», so die Studentinnen. «Dies mit dem Ziel, dass sie dabei Verantwortung für ihre Aufgaben übernehmen, gleichzeitig durch den sozialen Austausch  aber auch das Gefühl einer Zugehörigkeit kennenlernen.»


Dankbare Teilnehmer

Einzelne Personen aus ihrem Umfeld hätten zuerst etwas skeptisch reagiert, erinnern sich Noémie Meyer und Livia Kreis: «Sie hatten leider das traurige Vorurteil, dass in einem Männerwohnheim sicher nur schlimm abgestürzte Menschen leben, und das sei doch für uns junge Frauen ein Risiko.» Die Realität widerspiegelte aber das Gegenteil: «Was wir erlebt haben, war Motivation und Dankbarkeit.»

Fünf Bewohner nahmen an dem Projekt teil. Mehr wären aufgrund der kleinen Küche und der Corona-Sicherheitsmassnahmen nicht möglich gewesen. Einer der Teilnehmer war ein ehemaliger Koch, der seit 1985 zum ersten Mal wieder in einer Küche stand. «Dann gab es aber auch solche, die zuerst nicht wussten, wie man ein Küchenmesser richtig hält oder wie ein Kürbis von innen aussieht.»

 

Die Organisatorinnen Livia Kreis (links) und Noémie Meyer. (Bild: Beatrice Jäggi)

 

Schritt für Schritt wurde den Männern das Kochen nähergebracht. Angefangen mit Salaten und Ofengemüse, ging es weiter zu Country Fries und Pizza bis hin zu Chürbis-Chili. War es anfangs teilweise noch ein wenig chaotisch, «konnten wir innert kürzester Zeit feststellen, wie stark die Teilnehmer an den Aufgaben gewachsen sind. Sie kümmerten sich nicht nur eigenständig um ihren Teil der Produktion, sondern lernten aufeinander zuzugehen, sich Komplimente zu geben sowie Hilfe zu holen und zu erhalten. Es sind kleine Tätigkeiten, die für uns selbstverständlich sein mögen. Dies trifft aber nicht für diese Männer mit ihren negativen Erfahrungen zu.» Und die Teilnehmer, die sich vorher grösstenteils fremd waren, «wurden zu einer Einheit, die plötzlich auch gemeinsam über das Leben generell diskutierten». Gekocht haben sie übrigens nicht nur für sich, sondern für alle Bewohner.

Von Maurus Wirz gibt es nur lobende Worte für das Projekt und die beiden Studentinnen: «Sie haben es super gemacht, gerade auch, weil sie von extern dazugestossen sind und gar nicht wissen konnten, was sie exakt erwartet.» Erst kürzlich eröffnete die Herberge zur Heimat eine Aussenstelle im zürcherischen Pfäffikon: «Ich könnte mir vorstellen, dass wir dort nun ebenfalls Kochprojekte mehr in den Fokus rücken», so Wirz.

Die beiden Frauen schlossen das Wohnheim so stark ins Herz, dass sie letzten Freitag, obwohl das Projekt eigentlich beendet war, der Herberge an der Geigergasse nochmals einen Besuch abstatteten. Gemeinsam mit allen Bewohnern wurden Lebkuchen dekoriert.

Weitere Informationen:

Die Herberge zur Heimat freut sich über Freiwillige, die sich ebenfalls für die Bewohner engagieren wollen. www.herberge-zh.ch

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