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Reportage

Von links: Yvonne Mathiuet, Floorwalker und die Frau am Check-in-Schalter. Dragan Jankovic, Leitwarte-Operator in der Gepäcksortieranlage, Ilham Mustafi, Duty-Manager. Auf dem Gepäckwagen: «Tagblatt»-Redaktorin Ginger Hebel. Bilder: Nicolas Y. Aebi

Koffer, Tiere, Reisefieber

Von: Ginger Hebel

30. September 2019

Am Puls: Für die diesjährigen Herbstschulferien erwartet der Flughafen Zürich Spitzentage mit über 100 000 Passagieren. Bevor der Flieger abhebt, muss der Koffer an Bord. Durch die Gepäcksortieranlage flitzen dann über 50 000 Koffer und Taschen pro Tag. «Tagblatt»-Redaktorin Ginger Hebel war für die Serie «Am Puls» mittendrin.

Flughafen Zürich, Check-in 1. Yvonne Mathiuet fertigt am Schalter abreisende Passagiere ab. Viele sind aufgestellt und in Ferienlaune, andere genervt, weil sie befürchten, die Maschine zu verpassen. «Die Mittagsspitze ist oft hektisch», sagt die 46-Jährige. Sie versucht alle Kundenwünsche zu erfüllen, «jede Kultur hat andere Ansprüche, das ist nicht immer einfach», gibt sie zu. Sie bewahrt Ruhe und strahlt Gelassenheit aus, «das lernt man mit der Zeit», sagt sie und lächelt professionell. Seit 17 Jahren ist sie bei Swissport in der Bodenabfertigung tätig. Als Floorwalker arbeitet sie zudem alle neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Check-in-Bereich ein. «Abwechslung ist in diesem Beruf garantiert, das gefällt mir.» Sie löst Probleme, zum Beispiel, wenn Flüge überbucht sind. Reisende, die ihr Portemonnaie oder den Pass vergessen, und Männer, die im Flughafen-Getümmel ihre Frauen verlieren – alles komme vor.

Unvergessen der Vulkanausbruch in Island, als der Betrieb am Flughafen Zürich praktisch stillstand. «Das war eine Ausnahmesituation, da waren wir echt nervös», erzählt Yvonne Mathiuet. Es gibt immer mehr Reisende und immer mehr Gepäck; von Rasenmähern über Wäscheständer bis zu Weihnachtsbäumen, «da klären wir ab, ob und wie sich das alles transportieren lässt».

Der Weg von der Gepäckaufgabe bis ins Flugzeug ist lang. Ein 23 Kilometer langes System aus Förderbändern und Waggons auf Schienen transportiert das Gepäck. Jedes eingecheckte Gepäckstück ist mit einem Barcode versehen und wird in Sekundenschnelle geröntgt. Die Koffer und Taschen werden vollautomatisch sortiert und zum richtigen Flieger gebracht. In Spitzenzeiten sind es über 50 000 Gepäckstücke am Tag. Vom Check-in 3 bis zum Dock E ist ein Koffer 18 Minuten unterwegs, bevor er in den Flieger geladen wird. Dragan Jankovic arbeitet in der Gepäcksortieranlage. Der Leitwarte-Operator ist zuständig dafür, dass das Gepäck im richtigen Flugzeug landet.

Die Gepäckanlage misst riesige 65 000 Quadratmeter. Wenn es irgendwo klemmt, setzt er sich aufs Velo, um die Störung schnell zu beheben. Letztes Jahr sortierte die Anlage beinahe 12 Millionen Gepäckstücke aller abfliegenden Passagiere. Pro Tag sind dies im Schnitt 32 100 Koffer. «Früher verreisten die Leute hauptsächlich im Sommer, heute fliegen sie jeden Tag», sagt Dragan Jankovic. Als er vor 21 Jahren beim Flughafen anfing, sei alles noch einfacher, die Wege kürzer gewesen. «Heute haben alle Airlines ihre eigenen Auflagen und bieten mehr Gepäckservice», erklärt der 42-Jährige.

4,5 Tausend Motoren halten die Förderbänder und Sortiermaschinen am Laufen, 4600 Sensoren sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Lediglich 0,94 Prozent aller Gepäckstücke erreichen ihren geplanten Flug nicht und bleiben – oft wegen verspätungsbedingter knapper Umsteigezeit – in Zürich zurück. Beinahe jeder von der Anlage gefallene Koffer wird noch rechtzeitig gefunden und ansonsten innert 24 Stunden dem Passagier nachgeschickt. «Dass ein Gepäckstück ganz verloren geht, kommt praktisch nie vor», sagt Dragan Jankovic. Wenn die Technik versagt, müssen die Mitarbeiter die schweren Koffer von Hand auf die Transportwagen hieven. Wie hält man sich fit? «Der Job ist Fitness genug», sagt Dragan Jankovic. Seine Schichten dauern zwischen vier Uhr morgens und elf Uhr nachts. Daheim warten seine Frau und zwei Kinder. «Es gibt Tage, da schlafe ich beinahe stehend ein.»

Für die diesjährigen Herbstschulferien erwartet der Flughafen Zürich Spitzentage mit über 100 000 Passagieren. Die heutige Gepäcksortieranlage stösst mit dem prognostizierten Passagierwachstum sowie altersmässig an ihre Leistungsgrenzen. Aus diesen Gründen wird die Anlage teils abgelöst und erweitert. Die Bauarbeiten sollen 2025 fertig sein soll. Auch die bestehenden Sicherheitskontrollgeräte werden durch modernere ersetzt, die den neuen EU-Richtlinien entsprechen.

Jetzt werden die geparkten Flugzeuge beladen. Duty-Manager Ilham Mustafi (30) ist an vorderster Front. Der Zeitplan für die Beladung ist eng. Auch für das «Tagblatt»-Foto bleibt nur wenig Zeit, denn der Flieger muss pünktlich nach Plan in die Luft. Der Pilot dreht die letzte Sicherheitsrunde ums Flugzeug, die Passagiere steigen über die Fluggastbrücke ein. Ilham Mustafi trägt die operative Verantwortung für die laufende Schicht. Diese kann die Abfertigung der Flugzeuge oder die Gepäcksortierung umfassen. Er klärt ab, warum es zu Verspätungen kommt und ob Passagiere rechtzeitig erscheinen, und rapportiert alles. «Kein Pilot darf starten, wenn ein Gepäckstück an Bord ist, der dazugehörige Passagier aber fehlt. Dann müssen wir aus Sicherheitsgründen diesen einen Koffer suchen und wieder ausladen.» Im Offenverlad sei dies zeitraubend, «doch wir müssen eine sichere Abfertigung gewährleisten, das ist unser Ansporn».

Nicht nur Koffer fliegen mit, auch Hunde, Katzen, Labormäuse, Leoparden, «es fehlt nur noch ein Elefant», sagt Ilham Mustafi und lacht. Damit die Tiere im kalten Frachtraum nicht frieren, stattet er den Bereich mit Pampers und Holzbrettern aus und gibt den Piloten Bescheid, damit diese die Luftzirkulation anpassen. «Zudem lassen wir für die Tiere das Licht im Frachtraum brennen.» Er mag die pulsierende Lebendigkeit, den Kontakt zu den Menschen, die Nähe zu den Flugzeugen. «Ich bin überzeugt: Einmal Flughafen, immer Flughafen.»

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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