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Reportage

Mit Besen auf lärmende Kiffer eingeprügelt

Von: Isabella Seemann

05. November 2018

Justizalltag: Ein Lebensberater verlor beim morgendlichen Meditieren jegliche Gelassenheit, als Cannabisrauch und Lärm in sein Zimmer drangen. Er stellte die jungen Männer zur Rede, doch dann eskalierte der Streit.

Die ersten Sonnenstrahlen lugen über dem Horizont empor. In Bäumen und Hecken jubilieren die Vögel. Am Sonntagmorgen ist die Welt noch in Ordnung. Normalerweise. Herr Schmidt* öffnet die Fenster seines Schlafzimmers und beginnt die Morgenmeditation. Er lässt seinen Atem fliessen. Innere Bilder kommen auf, das Gefühl von Tatkraft erfüllt ihn. Da dringt der Geruch von Cannabis in seine Nase und Gebrüll an sein Ohr. Unter dem Fenster seiner Hochparterrewohnung in einer Siedlung in Zürichs Norden lassen zwei junge Männer die durchzechte Nacht lautstark ausklingen. Einer lässt auf dem Smartphone Deutsch-Rap laufen. Der andere grölt mit. Und futsch sind Gelassenheit, Balance und innerer Friede. Herr Schmidt fordert diese «Ruhe!»-schreiend ein. Die Jungs schreien ihrerseits «Ruhe, Mann!» Der Mann geht runter, und bevor er das Haus verlässt, erblickt er vor der Kellertür einen Strohbesen.

Vor Gericht stellt sich der 49-jährige Deutsche als Lebensberater und Coach vor. Den blassblonden Kopf trägt er kurzgeschoren, das weisse Hemd mit Stehkragen erinnert an einen Geistlichen. Lammfromm wirkt er. Nur schwer bringt man ihn mit der Anklage in Verbindung: Körperverletzung. Er soll den jungen Mann verprügelt und den Besenstiel als Waffe eingesetzt haben. Dies aber bestreitet Herr Schmidt vehement. «Ich habe nicht zugeschlagen», erklärt er dem Richter. «Ich wollte mich schützen.»

Als er erneut Ruhe forderte, sei die Situation eskaliert. Der Richter sitzt da mit verschränkten Armen, der Angeklagte legt sich ins Zeug. Es gilt zu klären wer wen, wann, warum. «Wie ein Irrer» soll der 23 Jahre alte Kontrahent ein herumstehendes Kindervelo genommen und ihm ans Schienbein geworfen haben. In der anschliessenden Rangelei wollte derselbe ihm den Besenstiel entwinden und auf den Kopf schlagen, sagt Herr Schmidt. «Ich habe mich lediglich dagegen gewehrt.» Dann hätte seine Frau vom Fenster aus «Aufhören!» geschrien. Die Männer hätten schliesslich voneinander abgelassen. Er sei zurück in die Wohnung gegangen. Die beiden Jüngeren riefen die Polizei.

Wie mit einem Kampfstock

Bei der Befragung stritt der 23-Jährige nicht ab, dass er und sein Freund laut gegrölt hätten und vor dem Platz des Mehrfamilienhauses noch einen Joint zum Einschlafen rauchten. Der Angeklagte sei mit dem Besenstiel in beiden Händen auf ihn losgegangen, «wie mit einem Kampfstock», heisst es in der Anklageschrift. Zweimal sei der junge Mann im Gesicht getroffen worden – an der Schläfe und am Jochbein.

Wegen versuchter einfacher sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung fordert die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten für Herrn Schmidt. Die Verteidigerin hingegen plädiert auf Freispruch, der Tathergang sei nicht zweifelsfrei ermittelbar.

Doch der Richter findet keine Widersprüche in den Aussagen des Geschädigten, es spreche für ihn, dass er die Polizei gerufen habe. Er könne zwar nachvollziehen, dass sich der Angeklagte gestört fühlte. Unverständlich sei aber dessen aggressives Verhalten. Er hätte am besten einfach in der Wohnung bleiben und bei anhaltender Ruhestörung die Polizei rufen sollen. Der Richter verhängt eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten und eine bedingte Geldstrafe von 3000 Franken. Mit Schadensersatz, Genugtuung, Parteientschädigung sowie Verhandlungs- und Verfahrenskosten muss Herr Schmidt allerdings rund 10 000 Franken bezahlen. «Wir sind nicht im Wilden Westen, wo man das auf eigene Faust regelt», mahnt der Richter.

* persönliche Angaben geändert

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