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Reportage

Blick hinter die Kulissen des Opernhauses Zürich: Wolfgang Witt (r.) leitet die 20-köpfige Maskenbildnerei Maskenbildnerin Nicole Bürgi ist Spezialistin, wenn es um amputierte Körperteile und Prothesen geht (l.) Mittendrin für die Serie Am Puls: "Tagblatt"-Redaktorin Ginger Hebel (Mitte). Bild: Nicolas Y. Aebi

Mit Haut und Haar dabei

Von: Ginger Hebel

15. Januar 2019

Die Maskenbildner des Opernhauses Zürich sind wahre Künstler, denn sie können aus jedem Gesicht ein anderes zaubern. Sie knüpfen Perücken und Bärte und schminken kaputte Zähne und blutende Nasen. «Tagblatt»-Redaktorin Ginger Hebel ist für die Serie Am Puls mittendrin im Verwandlungsparadies.

Schwere Coiffeurstühle, Spiegel, Make-up-Paletten, Perücken. Und mittendrin Wolfgang Witt, Leiter der 20-köpfigen Maskenbildnerei am Opernhaus Zürich. Den 51-Jährigen sieht man selten ohne seine Knüpfnadel, mit der er Echthaar-Perücken und Bärte anfertigt. Hunderte Perücken hat er in seiner Karriere schon hergestellt und den jeweiligen Darstellenden auf Mass angepasst. «40 Stunden für eine Perücke sind keine Seltenheit», sagt Witt.

Das Opernhaus Zürich hat ein Rekordjahr hinter sich. In der Spielzeit 2017/18 wurden die 327 Vorstellungen von 245 517 Zuschauerinnen und Zuschauern besucht. Bevor Wolfgang Witt an diesem renommierten Haus landete, machte er nach vorangegangener Coiffeurlehre in Trier seine Maskenbildnerausbildung in Freiburg im Breisgau und arbeitete in Hamburg bei der Musicalproduktion «Das Phantom der Oper». Als das Jobangebot des Opernhauses Zürich ins Haus flatterte, musste er nicht lange überlegen. «Die gute Reputation reizte mich.»

Wer als Maskenbildner den Job wechseln will, muss oft auch in eine andere Stadt oder gar ein anderes Land ziehen. Der gebürtige Deutsche arbeitet mittlerweile seit 26 Jahren als Maskenbildner am Opernhaus Zürich. In dieser Zeit hat er bereits vier Inszenierungen der «Zauberflöte» erlebt. «Ich habe durch meine Arbeit schon so viele Opern gesehen. Ich bin jedes Mal überwältigt von der Magie der Musik und dem Zusammenspiel auf der Bühne.»

Ob «Hänsel und Gretel» oder Giuseppe Verdis «Rigoletto» – Abwechslung ist an der Tagesordnung. Bei komplexen Produktionen wie «Sweeney Todd» stehen praktisch alle Maskenbildner im Einsatz. «Dann ist das hier ein Bienenhaus», sagt Maskenbildnerin Nicole Bürgi. Die 48-Jährige mag es blutig. Sie holt Kunstblut aus dem Kühlschrank, frisches, arterielles, verkrustetes – je nachdem, welcher Spezialeffekt von den Regisseuren gewünscht wird.

Der Musical-Thriller «Sweeney Todd» ist eine makabre Angelegenheit. Auf der Bühne werden Zähne gezogen und Leute ermordet. Die Darsteller spucken sogar Blut, «wichtig ist, dass es auf den Kostümen keine Flecken gibt», sagt Nicole Bürgi. Ihre Spezialität: amputierte Körperteile und Prothesen, die sie aus Gips, Silikon und anderen Kunstmaterialien formt und herstellt. Sie ist auch in der Lage, klaffende Wunden zu simulieren. «Dieser Job braucht Fantasie und ein gutes Vorstellungsvermögen.»

Sie war früher, was man einen «Bürogummi» nennt. Mit 33 hatte sie genug von der Routine und orientierte sich neu. «Mich reizte das Handwerk», sagt Nicole Bürgi. An der Kasse des Schauspielhauses schnupperte sie den Duft der grossen Bühne, bevor sie eine Coiffeurlehre machte und sich in Deutschland zur Maskenbildnerin ausbilden liess. «Jetzt habe ich einen Beruf, der mich wirklich erfüllt.» Wolfgang Witt wird über Lautsprecher für die Klavierprobe ausgerufen. Er ist bei jeder Endprobe mit dabei und sieht alles, was im Opernhaus über die Bühne geht.

Glatzen kleben, krumme Nasen formen, kaputte Zähne schminken. «Wir versuchen umzusetzen, was von uns verlangt wird», sagt er. Auch wenn beim Film mehr möglich sei als auf der Opernbühne, wo alles live ist und Szenen nicht einfach zusammengeschnitten werden können. Er erzählt von früheren Zeiten, als die alte Garde italienischer Opernsänger bei ihm in der Maske sass, «damals funktionierte die Konversation nur mit Händen und Füssen». Heute unterhalten sie sich meist auf Englisch mit den Darstellern. «Als Maskenbildner kommt man ihnen sehr nah, man berührt sie im Gesicht, das ist schon intim.» In den letzten Jahren habe sich insbesondere die Lichttechnik stark verändert. Früher hatte man auf der Bühne viel beiges Licht, heute bläuliches LED. «Das heisst für uns, dass wir anders schminken müssen, mit mehr Rottönen als Ausgleich», sagt Wolfgang Witt.

Wenn ein Darsteller stark schwitzt, müssen sie ihn schnell nachschminken oder auch die Perücke nachkleben, sollte sie verrutschen. Oft verlassen die Maskenbildner das Opernhaus daher erst kurz vor Mitternacht, wenn die Vorstellung zu Ende ist. «Es ist nicht leicht, soziale Kontakte zu pflegen, wenn man an den Wochenenden arbeiten muss», sagt Nicole Bürgi.

Doch für ihren Traumberuf nehmen sie das in Kauf. «Zu sehen, wie die Perücken und Körperteile, die man selber in stundenlanger Arbeit angefertigt hat, auf der Bühne zum Leben erwachen, ist einfach wunderbar», sagt Wolfgang Witt.

Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

 

 

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