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Reportage

Bereitschaft rund um die Uhr: In der Einsatzzentrale der Stadtpolizei Zürich werden Notrufe entgegengenommen und alle Einsätze koordiniert. Polizist Boris Wirth, Redaktorin Ginger Hebel, Einsatzleiter Stefan Keiser, Polizistin Ursula Brigger

Notruf 117: Wo die Telefonleitungen glühen

Von: Ginger Hebel

30. Oktober 2018

In der Einsatzzentrale der Stadtpolizei Zürich gehen täglich im Schnitt 1200 Notrufe ein. Es gibt Tage, da können die Polizisten untereinander kaum ein Wort wechseln, weil sie permanent Anrufe entgegennehmen. Für die Serie «Am Puls» mittendrin: Redaktorin Ginger Hebel.

Notrufzentrale der Stadtpolizei Zürich, Hauptquartier, Amtshaus I, Bahnhofquai 3. Die Übersichtskameras auf den Bildschirmen zeigen den Verkehrsfluss an neuralgischen Punkten. Die Polizistinnen und Polizisten sehen auf einen Blick, wie sich Zürich bewegt. Sechs Polizisten in Uniform sitzen mit Headsets an ihren Computern und nehmen Anrufe im Akkord entgegen. «Es gibt Tage, da können wir untereinander kaum ein paar Worte wechseln, weil permanent ein Notruf eingeht», sagt Einsatzleiter Stefan Keiser. Dann würden sogar WC-Pausen zur planerischen Herausforderung.

Der 40-Jährige arbeitet bereits sein halbes Leben bei der Stadtpolizei. In der Einsatzzentrale laufen alle Fäden zusammen. Koordiniert werden rund 200 Einsätze pro Tag. Vergangenes Jahr wurden über 450 000 ein- und ausgehende Telefongespräche geführt. Davon fielen gut 150 000 Anrufe auf die eigentlichen Notrufnummern 117 und 112, was 64 500 Einsätze auslöste.

Ein Notruf. Am Telefon ist ein besorgter Bürger. Er beobachtet eine Frau, die beim Sechseläutenplatz wild schreiend auf den Tramgleisen umherirrt. Polizist Boris Wirth funkt seine Kollegen auf Streife an, damit sie sich darum kümmern. «Anrufe dieser Art haben wir mehrmals täglich. Ich habe den Eindruck, dass psychische Erkrankungen zugenommen haben», sagt Boris Wirth. Die Polizisten unterstützen heutzutage immer häufiger die Sanitäter, wenn psychisch auffällige Personen in Kliniken verlegt werden müssen.

Boris Wirth war früher Banker und handelte mit Devisen. «Es drehte sich alles nur noch ums Geld, man verliert den Bezug zur Realität, ich wollte das nicht mehr», erzählt der 37-Jährige. Er absolvierte die Polizeischule, um näher am Menschen dran zu sein. «In meinem Beruf ist man am Puls der Zeit, das gefällt mir.» Regelmässig hilft Boris Wirth in der Einsatzzentrale aus, wenn er nicht gerade Streife in der Innenstadt fährt. «Die Ausgehszene in der City hat sich vergrössert. An Wochenenden steigt das Aggressionspotenzial.»

In der Einsatzzentrale der Stadtpolizei Zürich arbeiten die Polizisten drei Tage am Stück, Nachtschicht inklusive, darauf folgen zwei freie Tage. «Schichtarbeit ist Gewöhnungssache. Einschneidend sind die Einsätze am Wochenende, weil sie das Sozialleben erschweren», sagt Stefan Keiser. Jeder Polizist hat sein Patentrezept, wie er die Nacht am besten durchsteht. «Kaffee hilft immer, und viel Wasser gegen das Kopfweh», verrät Keiser.

Einige Anrufe, die beim Notruf 117 eingehen, drehen sich um aussergewöhnliche Todesfälle, bei denen die Polizei ausrücken muss. Aber auch falsche Polizisten und Trickbetrüger, die ihr Unwesen treiben, halten die Polizei auf Trab. «Die arbeiten heutzutage mit den raffiniertesten Tricks», sagt Chef-Einsatzleiter Oliver Hübel. Der 43-Jährige hat schon viele Einsätze erlebt. Unvergessen der Grossbrand am Bahnhofplatz Ende August. «Das war für alle Beteiligten ein Einsatz, der uns sehr gefordert hat.» Polizei und Feuerwehr hatten die Situation im Griff, doch die filmenden und fotografierenden Gaffer wurden zum Problem. «Wir mussten extra Personal aufbieten, um die Leute vom Ereignisort fernzuhalten. Gaffer beeinträchtigen unsere Arbeit, das ist sehr störend», sagt Polizist Boris Wirth.

Ursula Brigger nimmt einen Notruf entgegen. Die 35-jährige Stadtzürcherin wollte schon immer Polizistin werden. Seit elf Jahren ist sie im Streifenwagendienst tätig und arbeitet im Nebenamt in der Einsatzzentrale. «Normalerweise habe ich den Bürger vor Augen, hier in der Zentrale habe ich ihn am Telefon, das ist eine gute Ergänzung.» Die Erfahrung an der Front helfe, Situationen richtig einzuschätzen und angemessene Massnahmen zu treffen. Einsätze wegen häuslicher Gewalt sind ihr Alltag auf Streife: «Es kommt ständig irgendwo zu Streitereien», sagt Ursula Brigger. Wenn sie eingreift, spürt sie das Adrenalin im Blut, Angst hat sie keine, aber Respekt, und der sei wichtig. «Ich mache die gleiche Büez wie meine männlichen Kollegen. Es ist alles eine Frage des richtigen Auftretens», ist sie überzeugt.

Sie erzählt von den Erfolgserlebnissen in ihrem Berufsalltag, von Reanimationen und als sie einen Einbrecher in flagranti erwischte, aber auch von tieftraurigen Momenten, wenn sie Angehörigen von Unfallopfern gegenübersteht und deren Hilflosigkeit spürt. Und sie erinnert sich an die Auseinandersetzung mit einem HIV-positiven Drogensüchtigen, als plötzlich ihr Gummihandschuh riss und sie sich an der Hand verletzte. Sie musste Prophylaxen schlucken, um die Ansteckungsgefahr zu senken. «Da war ich echt nervös. Als Polizist hat man immer ein gewisses Verletzungsrisiko. Mein wichtigstes Ziel ist es, abends gesund heimzukehren.»

In wenigen Monaten wechselt sie als Protokollführerin in die Staatsanwaltschaft, genau wie ihr Mann, «dann arbeiten wir beide wieder im Tagdienst».

Ursula Brigger holt sich einen Kaffee und wechselt ein paar Worte mit ihren Kollegen, bevor wieder alle an ihren Plätzen sitzen und Notrufe entgegennehmen. Zürich schläft nie.

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