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Reportage

Das Cinema Walche gehört zu den letzten drei verbliebenen Sexkinos in der Stadt. Bild: JS

Porno über Mittag

Von: Jan Strobel

27. Oktober 2015

Sexkinos: Der Pornokonsum findet längst online statt. Wir wollten wissen: Wer geht eigentlich noch in diese aussterbenden Lichtspielhäuser?

Als es Mittag wird in der Walche erreicht die Vorfreude bei den Herren im halbleeren Saal 1 einen ersten Höhepunkt. Ihre konzentrierten Gesichter werden von der Leinwand bläulich beschienen. Dieses Licht ist die Schminke ihrer Sehnsucht, ihrer Träume, vielleicht auch von Erinnerungen an eine Zeit, als der Wind zärtlich das Haar einer jungen Frau streichelte. Eine verblassende Rückblende an ihre geschlossenen Augen, ihre vollen Lippen, die leicht geöffnet sind, bereit, wie eine in ihrer Lust Ertrinkende endlich den Kuss zu empfangen. Denn genau das spielt sich jetzt auf der Leinwand vor ihnen ab. Und gerade, als Klaviermusik einsetzt und sich ein Kerl am schwarzen Spitzen-BH der jungen Frau zu schaffen macht, setzt sich aus der Dunkelheit eine Dame im knappen Latexkleid neben mich. Sie streichelt meinen Arm und flüstert mir zärtliche Worte ins Ohr. «Wie wärs mit uns zwei? What do you think, Sugar?»     

Mittag in der Walche. Die Latex-Dame neben mir ist nicht die Einzige, die hier ein Auge auf die Männer im Sexkino geworfen hat. Ihre Koleginnen wandeln auf ihren High-Heels durch die Dunkelheit der drei Kinosäle, akustisch begleitet von Stöhnen und klatschender Haut. In einer Ecke in Saal 2 steht ein junger Mann im gestreiften Kapuzenpulli, die Hände über der Brust verschrenkt. Das Geschehen auf der Leinwand, wo es gerade ziemlich hart zur Sache geht, lässt ihn gleichgültig. In der Walche geht es ihm ums Geschäft. In einschlägigen Internetforen ist das Sexkino bekannt für seine Stricherszene. Ein User schreibt: «Besonders mittags ist immer eine Menge los. Stricher und Prostituierte sind dann zu Hauf da. Ich kann das Kino Walche nur empfehlen.»

Wie aus der Zeit gefallen
Die meisten dieser User sind über 50 Jahre alt. Das entspricht dem Altersspektrum der Walche-Besucher an diesem Mittag. Auch ältere Herren um die 70 im akkuraten Anzug sitzen in den Ledersesseln und schielen manchmal verstohlen zu den jungen Männern oder den Latex-Damen  hinüber. Während draussen die Stadt geschäftig dem Nachmittag entgegeneilt, entfaltet sich hier ein abgekapseltes Universum mit eigenen diskreten Regeln, die ganze Szenerie wirkt wie aus der Zeit gefallen. Vielen Männern hier scheint es weniger um die Filme zu gehen, als vielmehr um eine scheue Art des «Cruisings», der Suche nach schnellem Oralsex und nostalgischer Masturbation zu zweit im Dunkeln.  Immerhin ist es erstaunlich, dass sich Sexkinos wie das Walche in unserer Youporn-Gesellschaft, in der Internetpornos längst zum Alltagskonsum gehören, überhaupt noch existieren. Das Walche gehört zusammen mit dem Roland an der Langstrasse und dem Sternen in Oerlikon zu den letzten Sexkinos der Stadt.

In den 70er-, 80er-, und frühen 90er Jahren sah das freilich noch anders aus. Es waren die «goldenen» Jahrzehnte der Sexkinos in einem schon damals ziemlich «versexten» Zürich. Neben dem Roland, der Walche und dem Sternen flimmerten auch im Étoile und im Stüssihof im Dörfli, im Cinébref an der Beatengasse, im Sihl am Stauffacher und im Maxim an der Langstrasse heisse Streifen über die Leinwände. Bereits 1967 zeigte das Walche, überhaupt eines der ersten Lichtspielhäuser der Stadt, den «spannenden Sex-Krimi: Lola, das Mädchen von Piräus». 1987 präsentierte das Kino dann das absolute Highlight: den 3-D-Sex-Hit «Jungfrauen in der Liebesschule. Sex zum Anfassen!»

Als ich hinaustrete in den sonnigen Nachmittag vermischt sich ein süsslicher Parfümduft mit der Herbstluft. Ich höre noch einmal das Flüstern in meinem Ohr: «What do you think, Sugar?»

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Leserkommentare

Andre de Piedade - Ich war gerne Gast im Walche - genau wegen dem schnellen und heissen Sex - ob mit einem Mann der mir etwas gutes getan hatt oder mit einer Frau in einer der VideoKabinen ... einmal war eine Frau anwesend die sich im Saal von den anwesenden Maenner verwoenhen
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Vor 8 Jahren 5 Monaten  · 
Noch nicht bewertet.

Alfred Waldvogel - Sehr guter Kommentar. Ich wundere mich tatsächlich, dass es noch Sex Kino gibt, da doch bei "www.einfach porno" hunderte von Pornos gratis gibt.

Vor 7 Jahren 1 Monat  · 
Noch nicht bewertet.