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Reportage

Rent a Lover

Von: Ginger Hebel

12. September 2012

Wie viele Frauen sich in Zürich genau als Sexarbeiterinnen verdingen, ist statistisch nicht erhoben. Letztes Jahr gab es 1170 Neueinsteigerinnen. Aber auch immer mehr Männer verkaufen ihren Körper. Drei Callboys erzählen dem «Tagblatt», warum sie das tun.

Callboy Gabor, 25

«Ich frage nicht am Telefon, was Frauen wollen, ich möchte es persönlich herausfinden», sagt Gabor und nippt an einem stillen Wasser. Er ist 1,88 Meter gross. Durch sein knallenges blaues Langarmshirt erahnt man seinen durchtrainierten Oberkörper. Ein guter Body ist ihm wichtig. Gabor ist Callboy. Frauen zahlen ihm 200 Franken pro Stunde, um ihn für sich zu haben. Der 25-Jährige weiss, dass es denen, die ihn buchen, nicht nur darum geht, mit ihm eine heisse Nacht zu verbringen. «Sie suchen einen Partner für ein paar Stunden, der auf sie eingeht, ihnen zuhört, zärtlich ist. Sich für ihre Sicht der Dinge interessiert.»

Gabor ist gebürtiger Ungar. Obwohl er noch nicht lange in der Schweiz lebt, spricht er sehr gut Deutsch. Beim Reden schaut er seinem Gegenüber immer schön in die Augen, lächelt. Er wuchs an der ukrainischen Grenze auf. Sein Vater war plastischer Chirurg. Gabor hatte eine unbeschwerte Kindheit, eine schöne Jugend, bis ein Verkehrsunfall vor sechs Jahren ihm seine Familie nahm. «Unser Auto kollidierte mit einem LKW», erinnert er sich. Sein Vater, seine Mutter und seine Schwester starben, Gabor überlebte schwer verletzt. Von einem Tag auf den andern war er auf sich allein gestellt. Er absolvierte eine LKWSchule, fuhr durch Russland, nach China, Aserbaidschan. «In Ungarn hat man als junger Mensch kaum Chancen, wenig Perspektiven.» In Österreich arbeitete er als Küchengehilfe. Seine Chefin sagte ihm damals: «Gabor, du bist ein spezieller Mensch mit einem guten Herzen.» – «Ich dachte, wenn sie sich wohlfühlt in meiner Gesellschaft, dann ergeht es anderen Frauen vielleicht genauso.»

Im Internet stiess er auf eine Schweizer Callboy-Plattform und meldete sich. Die Frauen buchen ihn gerne und oft, drei bis sechs sind es durchschnittlich pro Woche. Sie zahlen ihn für Gespräche, Zärtlichkeiten, Sex. Meistens treffen sie sich bei ihm, oft im Hotel, selten bei ihr, damit es nicht auffliegt – Diskretion geht über alles. «Callboy zu sein, macht Spass, weil ich den Frauen ein gutes Gefühl schenken kann.»

Es passiere alles nur im Kopf – reine Einstellungssache. Jetzt im Sommer buchten ihn vorwiegend europäische Touristinnen, die Zürcherinnen waren im Urlaub; jetzt sind sie wieder da, das spürt er. Sein Handy surrt – es sind Anfragen per SMS. Gabor ist Single, eine Beziehung eingehen möchte er nicht. Er wäre dann auch nicht frei im Kopf für diesen Job. Nicht frei für die Frauen, die ihn als Lover buchen. Er nippt erneut am stillen Wasser. Sein Blick schweift umher und bleibt kleben. Nicht am Po einer Frau, sondern an einem BMW X6. «Mein Traumauto», verrät er. Leisten kann er es sich noch nicht. «Ich brauche keinen Luxus, aber ein geordnetes Leben. Ein gutes Bett und eine gute Matratze.»

Callboy Renato, 33

«Es ist eine schöne Bestätigung, wenn mich eine Frau attraktiv findet. Und sie zahlt, damit ich mich mit ihr treffe », sagt Renato. Er arbeitet seit August 2011 als Callboy und ist seit Juni vergangenen Jahres Besitzer einer Callboy-Werbeplattform. «Die Nachfrage nach Callboys wächst von Monat zu Monat», stellt der 33-Jährige fest. «Frauen wollen eine schöne Zeit verbringen, Spass haben, ohne Verpflichtungen. Und nach dem Treffen nicht mit SMS und Anrufen bombardiert werden. Wir Callboys stalken die Frauen nicht.» Die meisten, die ihn buchen, sind zwischen 30 und 50 Jahre alt, viele davon sind verheiratet und besuchen ihn in seiner Singlewohnung. «Frauen, die in langjährigen Beziehungen stecken, vermissen oft Zärtlichkeiten wie Küssen. Das bekommen sie von mir.»

Renato stellt fest: Frauen buchen einen Callboy, weil sie wissen wollen, wie das ist, wenn man für Sex bezahlt. Wie sich das anfühlt, von einem Fremden verführt zu werden. Einen Callboy angelt sich Frau ganz leicht: Im Internet preisen sich die Männer mit Steckbrief und Fotos an. Manche Boys locken mit ihren nackten Oberkörpern, andere zeigen sich souverän im Anzug. «Beim Chatten weiss man nie genau, wie das Gegenüber aussieht. Einen Callboy kann man sich im Internet anschauen und nach Geschmack buchen, so kommt es weniger zu Enttäuschungen.»

Renato wurde offen erzogen, auch in sexueller Hinsicht. Experimentierfreudig war er schon immer. Er merkt, wenn eine Frau zum ersten Mal einen Callboy bucht – die Stimmung sei dann oft etwas verklemmt. Dann versucht er mit Small Talk das Eis zu brechen. Pro Stunde verlangt er 250 Franken. Er lässt sich aber auch «nur» als Begleitung buchen, zum Beispiel an ein Konzert oder an eine Party. Meist nutzen dieses Angebot alleinreisende Geschäftsfrauen aus dem Ausland. Renato arbeitet im Aussendienst und verdient sich als Callboy einen schönen Zustupf. Nicht alle seine Freunde wissen von seinem Nebenjob, und sein Arbeitgeber ahnt nichts. «Bei manchen ist man halt schnell verpönt, wenn man als Callboy arbeitet.» Doch er macht nicht alles fürs Geld, er hat seine Prinzipien, seinen Stolz. Dennoch schämt er sich nicht für das, was er tut, er hat auch nicht das Gefühl, sich zu verkaufen. «Ich hab Spass an Sex und tue es auch für mich. Das Finanzielle ist, zugegeben, aber ein Anreiz.»

 

Callboy Carlo, 54

Im Imagine im HB sitzt Carlo. Gross, schlank, silbergraues Haar, Bluejeans. Der Zürcher ist selbstständig im künstlerischen Bereich und arbeitet als Callboy – weil er gerne massiert und dafür kassiert. Den Mann kann Frau für Erotikmassagen mieten. Die meisten stammen aus dem indischen Tantrabereich, dazu gehört die Yoni- Massage, eine Ganzkörpermassage, bei der auch die Intimzone massiert wird. «Kein Sex, sondern anders schön», wie Carlo sagt. Es geht darum, den Körper intensiv kennen zu lernen oder traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Viele Frauen, die Carlo buchen, haben eine Scheidung hinter sich und suchen Nähe. Andere haben schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht, wurden körperlich oder emotional verletzt. Sie sind nicht mehr gewohnt, dass man sie zärtlich anfasst. Sie buchen sich einen Callboy, weil sie wissen, dass er nur macht, was sie wollen, weil sie für seine Dienstleistung zahlen. Sie können sich von ihm verwöhnen lassen, ohne dass es in der schnellen Nummer endet. «No risk, but fun», lautet Carlos Credo.

«Die moderne Frau überwindet Hemmungen, um mal wieder so richtig auf Händen getragen zu werden. » Meistens bucht er für seine Kundin und sich ein Kuschelzimmer. Für eine zwei- bis dreistündige Massage zahlen sie ihm 300 Franken. «Die Stimme eines Mannes ist den Frauen wichtig, darum möchten sie vorgängig gerne telefonieren.» Der 54-Jährige schlägt den Frauen meist ein Café-Date vor, um zu sehen, ob es passt, ob eine gewisse Anziehung da ist, von der Seite der Frau, denn er sieht in jeder etwas Schönes. Mal ist es ihr süsses Stupsnäschen, dann sind es die glänzenden Haare, die zarten Füsse.

Carlo ist seit 30 Jahren verheiratet, auch seine Frau bietet erotische Massagen an, für die Beziehung war das nie ein Problem. Sein Ziel ist es, eine Stammkundschaft aufzubauen. Bis jetzt buchen ihn vorwiegend Bernerinnen. Und Deutsche, die in Zürich leben. «Viele Frauen nehmen sich, was sie wollen.»

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Leserkommentare

Noah Danke - Ich bin selbst in der Branche als „Escortmann für Frauen“ tätig und kann vieles unterstreichen was in dem o.g. Artikel geschrieben wird. Ich denke es ist nicht notwendig sich ein Urteil darüber zu bilden oder Menschen deshalb zu verteufeln. Viele Damen
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Vor 9 Jahren 6 Monaten  · 
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