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Reportage

Eine Coiffeuse erweiterte das Sortiment ihres Geschäfts mit Kokain. Bild: PD

«Schnee» frisch aus dem Afroshop

Von: Isabella Seemann

28. Juni 2016

IM GERICHTSSAAL Die Bewährungsstrafe von einst hatte sie nicht beeindruckt: Erneut dealte die Besitzerin eines Afroshops im Langstrassenquartier mit Kokain.

Der Klinkerboden des Bezirksgerichts ist so glatt gefegt, als wollte es all die Gestrauchelten, die sich hier einfinden, gleich noch einmal zu Fall bringen. Die Angeklagte läuft jedoch nicht in Gefahr, zu fallen, sie kommt in Nike-Basketballschuhen mit dicken Sohlen.

Frau Kareyce Steiner* ist eine kernige Person von 51 Jahren, trägt Dutzende farbige Zöpfchen, Jeanshose und Jeansjacke. Und trotzdem macht sie einen ungeschützten Eindruck, zieht die Schultern hoch, kreuzt die Arme und beginnt sie zu streicheln, als wolle sie sich trösten. «Ich habe mein Leben lang gekämpft und mich alleine durchgeschlagen», erklärt die Kamerunerin mithilfe einer Französisch-Dolmetscherin. Tränen schiessen ihr in die Augen, der früh verbitterte Mund bebt. «Immer habe ich gekämpft.» Das beantwortet zwar nicht die zweimalige Frage des Richters, weshalb sie trotz einschlägiger Vorstrafe erneut mit Drogen dealte, doch Frau Steiner lässt sich nicht beirren. «Ich muss Ihnen meine ganze Lebensgeschichte erzählen, damit Sie verstehen.»

Sie ist nicht glücklich. Sie ist einsam. Sie hat die falschen Freunde. Wissen kann man das nicht, nur vermuten, wenn man ein paar Fakten hört. Über sich selbst sagt sie nur das Nötigste, nicht das Wesentliche. Als Teenager verliess sie ihr Elternhaus in Yaoundé, wo sie mit einem Dutzend Geschwistern aufgewachsen war, bekam eine Tochter, die an Aids erkrankte, und heiratete mit 25 einen Zürcher, «der mich fast totschlug». Mit dem Afroshop im Langstrassenquartier habe sie sich nach der Scheidung eine eigene Existenz aufgebaut – und jetzt sei sie wieder bei null. «Als hätte ich nichts gelernt in all diesen Jahren», sagt sie mit einem Zittern in der Stimme. Sie wollte sich nicht ­bereichern, sondern habe aus Not ­gehandelt. Das Geschäft mit den Flechtfrisuren, Haarglättern und Haut­aufhellern lief mehr schlecht als recht. Die Schulden drückten, die monatlichen Fixkosten überstiegen bei weitem das Einkommen, die Verwandtschaft in Afrika forderte mehr finanzielle Unterstützung, die Tochter brauchte Medikamente, die Enkelin Schulgeld.

Von «Amore» verführt

Das Unglück war gross, mit und ohne eigene Schuld. Und dann kam ein Mann des Weges, der sich als «Amore» vorstellte und sie verführte. Warum nicht Kokain ins Ladensortiment aufnehmen, um das Geldproblem zu lösen? Das Drogenbusiness floriert in Zürich. Die Nachfrage steigt gar. So kaufte sie bei «Amore», dessen richtigen Name sie nicht kennt oder nicht verraten will, 50 Gramm Kokain, das sie im Afroshop portionierte und zu 80 Franken pro Gramm verkaufte. Bald schon war das Kokainlager aufgebraucht, derweil die Perücken im Regal verstaubten, und so bezog sie von «Amore» weitere 50 Gramm. Doch die Freude über die wachsende Kundschaft war von kurzer Dauer, denn die Polizei hatte sie im Auge. Einige Monate zuvor war sie zu einer bedingten Strafe wegen Verbrechen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. «Das hat mich nicht beeindruckt», gibt Frau Steiner unumwunden zu. «Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann, der mir zuhört. Deshalb geriet ich erneut in Versuchung.»

Aber diesmal sei es ihr eine Lehre. Sie hebt hilflos die Hände, weint – «bitte, bitte berücksichtigen Sie meine Situation». Der Richter tut genau das – und erkennt keine günstigen Umstände, nur Absichtserklärungen. Der Laden läuft noch immer nicht, und sie lebe weiterhin weit über ihren finanziellen Verhältnissen. Seit der letzten Verurteilung habe sie nichts geändert in ihrem Leben, sagt er und verkündet das Urteil: 18 Monate Freiheitsstrafe unbedingt. «Es ist davon auszugehen, dass Sie weiter delinquieren würden, wenn die Strafe bedingt ausfällt.»

* Alle persönlichen Angaben geändert

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