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Reportage

Der Ökobeichtstuhl rät: Badet zu zweit, das spart Wasser. Bild: Balthasar Illustration

Sie sind ein Sünder

Von: Clarissa Rohrbach

01. November 2016

Im Ökobeichtstuhl kann man seine Sünden zugeben und wiedergutmachen. 64 Prozent der Besucher wollen ihr Verhalten verändern.

Essen Sie Tomaten im Winter? Dann sind auch Sie ein Sünder. Aber keine Sorge, im ersten Stock des Kulturparks Zürich wird Ihnen vergeben. Dort steht nämlich bis zum 15. November der Ökobeichtstuhl. Ich betrete die Box aus 700 (selbstverständlich) recycelten Plättli. Es ist dunkel. Ein streng aussehender Cartoon leuchtet auf dem Bildschirm. Ich soll meine Ökosünden beichten, sagt eine schmierige Stimme. «Jaja, man macht ja nicht alles richtig, jeder hat eine Schwäche.» Das klingt irgendwie tröstend, aber auch bevormundend. Das Beste, spornt mich die Stimme weiter an, mit einer guten Tat könne ich die Umweltbelastung wiedergutmachen.

Ich klicke mich also durch die Gräueltaten des konsumierenden Menschen durch. Am Rotlicht den Motor laufen lassen, die Wohnung zu fest heizen, immer farbig drucken: Gemütlichkeit ist wohl der grösste Feind der Umwelt. Passend dazu sind die ökologischen Fauxpas nach den Todsünden aufgeteilt. Ich wähle Gefrässigkeit, denn – oje – ich trinke mehrere Tassen Kaffee am Tag. «Ah! Du bist also ein Geniesser!», moniert die halb sympathisch, halb strenge Fratze aus Kartoffeldruck. Darunter stehen ein paar Zeilen über den Anbau von Kaffee, über das Düngemittel, das Wasser und Luft verschmutzt. «Aber hey! Nicht verzweifeln. Du kannst etwas Gutes tun, sucht dir was aus.» Ich schau mir die guten Taten an, die eigentlich alle aus Verzicht bestehen. Velo statt Auto fahren, die Treppe statt Lift nehmen, bei 20 statt 40 Grad waschen. «Komm, gibt dir einen Ruck, es tut nicht weh, wirklich nicht!» Die Stimme beginnt zu nerven. Ich entscheide mich dafür, das Wasser beim Einseifen abzustellen. Das spart pro Dusche acht Liter warmes Wasser. Dann erscheint meine Ökobilanz: «Herrje, die armen Eisbären!» – mit meinem geliebten Kaffee hätte ich ordentlich zur Klimaerwärmung beigetragen. Um das zu kompensieren, muss ich mich 65-mal ohne Wasser einseifen. «Gut gemacht!» Ich bekomme einen Ökoheiligenschein, gelte nun als Ökoheldin.

Ökologie sexy gemacht
«Wir wissen, was der Umwelt schadet, tun aber nicht genug dagegen», sagt Isabel Jaisli. Ein Jahr lang hat die Projektleiterin an der ZHAW Wädenswil am Ökobeichtstuhl gearbeitet. Für die Ökobilanz haben Wissenschaftler die Umweltbelastungspunkte jeder Tat berechnet.  «Die Leute sind überrascht, viele wissen zwar, was die Umwelt belastet, aber sie kennen die Verhältnisse nicht.» 90 Prozent der Besucher hätten den Ökobeichtstuhl positiv bewertet, 64 Prozent planten, die guten Taten auch wirklich umzusetzen. «Wir wollten Umweltschutz sexy machen», erklärt Jaisli. Bei diesem Thema sei das Risiko da, belehrend zu wirken. Die Anlehnung an die kirchliche Beichte sei ironisch gemeint und solle vor allem Spass machen.

Beichten kann man ab zwölf Jahren. Bereits die Kinder sollen sich schuldig fühlen. Etwa wenn die Eltern ein Schnäppchenflug nach London gebucht haben. «Oh, du bist also ein Geizkragen!», schilt die Stimme. Man erfährt: Fliegen ist die grösste Umweltsünde überhaupt. Vor allem bei Start und Landung werde viel CO2 ausgestossen, weshalb Kurzflüge am schlimmsten seien. Aber alles kein Problem: Es genügt, dass die Familie in Second-Hand-Läden einkauft, nicht mehr bügelt oder 102-mal auf Fleisch verzichtet. Ihr Vorhaben verschicken sich die Sündigenden praktisch per E‑Mail, damit sie es schwarz auf weiss haben. Ob sie sich dann mehr verpflichtet fühlen, sich zu geisseln? www.oekobeichtstuhl.ch

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