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Reportage

Viele Menschen mit Demenz stehen im Berufsleben

Von: Ginger Hebel

11. April 2017

Demenz ist eine Volkskrankheit. Seit 20 Jahren ist die Memory Clinic des Stadtspitals Waid die Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige. Die Früherkennung bei jüngeren Patienten hat zugenommen.

Plötzlich weiss man die PIN-Nummer nicht mehr, vergisst den Namen des langjährigen Kollegen, die Einzahlungen, da ist dieses Durcheinander im Kopf. Demenz ist die neue Volkskrankheit. «Wir behandeln in der Memory Clinic jährlich über 400 neue Patientinnen und Patienten, das ist eine enorme Zahl», sagt Dr. Irene Bopp Kistler.

Vor 20 Jahren baute sie mit der Psychologin Brigitte Rüegger-Frey die Memory Clinic im Stadtspital Waid auf, eine Anlaufstelle für Menschen mit Demenz. Die Krankheit nimmt mit steigendem Alter zu, trotzdem ist ein Drittel aller Betroffenen in der Schweiz jünger als 65. «Viele stehen noch mitten im Berufsleben», sagt Irene Bopp Kistler.

Ein Verlieren in Raten

In der Memory Clinic werden Menschen mit Demenzerkrankungen behandelt und oft über Jahre begleitet und unterstützt. Nicht zuletzt werden aber auch die Angehörigen intensiv betreut. «Das ist wichtig, denn sie verlieren ihre Liebsten in Raten», sagt Irene Bopp Kistler.

Albtraum: Digitalisierung

Personen mit Demenz leiden nicht nur unter Gedächtnisverlust, oft verändern sich auch ihre Gedanken, «viele schotten sich ab, sind antriebslos und reagieren weniger empathisch, was häufig zu Beziehungsproblemen führt». Die Krankheit macht sich oft dadurch bemerkbar, dass Menschen ihren Alltag nicht mehr im gewohnten Ausmass meistern können. «Die digitalisierte Welt ist für die Betroffenen ein Horror. Sie haben Mühe mit den Finanzen, weil sie vergesslich werden, aber auch damit, Tickets zu lösen oder im Internet etwas zu buchen.» Aus Angst zögern viele eine professionelle Abklärung hinaus, bis sich die Krankheit nicht mehr verstecken lässt. «Besonders in Städten sind viele Menschen alleinstehend, viele haben kaum Angehörige, das ist ein Problem», sagt Bopp Kistler.

Wichtig seien daher ergänzende Massnahmen. In der Stadt Zürich macht die SIL (Sozialmedizinische individuelle Lösungen) Hausbesuche, auch die Alzheimervereinigung setzt sich für Betroffene ein. Irene Bopp Kistler betreut Patientinnen und Patienten über Jahre, regelmässig schickt sie welche auf den Hof Obergrüt im Luzernischen, wo Pflegefachfrau Luzia Hafner Pionierarbeit leistet. Sie betreut Demenzkranke auf ihrem Bauernhof. Das sogenannte Care-Farming hat seinen Ursprung in Holland.

Täglich steht Irene Bopp Kistler vor der schwierigen Aufgabe, einer oder mehreren Personen die Diagnose Alzheimer zu übermitteln. Nach all den Jahren im Beruf gehen ihr persönliche Schicksale noch immer nahe. «Würden mich die Schicksale nicht betroffen machen, dann wäre ich keine gute Ärztin.»

Weitere Informationen: www.waidspital.ch/memory-clinic

Buch zum Thema: Demenz. Fakten. Geschichten. Perspektiven, von Irene Bopp Kistler, Rüffer-&-Rub-Verlag 49.90 Franken, im Buchhandel.

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